Augsburger Allgemeine (Land West)
Das Geheimnis der echten Wiener Schnitzel
Küchenklassiker Um die Leibspeise vieler Deutscher und Österreicher ranken sich zahlreiche Legenden. Der Chefkoch des weltberühmten Hotel Sacher verrät, wie das perfekte Original zubereitet wird. Woanders darf’s auch vom Schwein sein
Mehlspeis’ oder Schnitzel? In Österreich ist das nicht nur eine Geschmacks-, sondern eine Glaubensfrage. Im Osten steht das „Schnitzerl“ganz oben im Ranking, so wie in Salzburg die Nockerln, in Kärnten die Kasnudeln und auf der Alm der Kaiserschmarrn. Doch auch auf den Speisekarten der Wiener Beisl finden sich natürlich auch Gulasch, ein Beuscherl (ein Ragout aus Kalbslunge und -herz) mit Knödeln, Leber, Hirn mit Ei, Niernderl, Geselchtes oder ein frischer Schweinsbraten und nicht zu vergessen die Rindssuppe, das Backhenderl und der Tafelspitz.
Wien wäre nicht die Stadt der Raunzer und der Besserwisser, wenn es nicht viele Meinungen dazu gäbe, wie das perfekte Schnitzel auszusehen hat, woraus und wie es zubereitet wird und wie es zu schmecken hat. Das fängt schon einmal bei der Frage an, welches Fleisch sich empfiehlt. Das Original Wiener Schnitzel, das weiß jeder, stammt vom Kalb. Ist es vom Schwein, darf es sich auch in Österreich nur Schnitzel „Wiener Art“oder einfach Schnitzel nennen. Der bekannte Wiener Schnitzelwirt „Figlmüller“, vor dessen Lokalen die Touristen in Schlangen auf Einlass warten, verkauft Schnitzel vom Schwein, aus Kostengründen, sagt er. Dafür ist es meist schön saftig und so groß, dass der Rand über den Teller hängt.
Der Erdäpfel-Vogerl-Salat (Kartoffel-Feldsalat) dazu kommt „apart“, das heißt in einem extra Schüsselchen. Außerdem gibt es Preiselbeeren und Zitrone und auf Wunsch „Brat-Erdäpfel“, aber keine Pommes frites – was so manches Familiendrama bei Touristen mit Kindern hervorruft. Hungrig geht aus dem „Figlmüller“niemand nach Hause. Doch der Gast sollte wissen, dass erwartet wird, dass er nach Verzehr schnell das Weite sucht. Schließlich warten schon die Nächsten in der Schlange vor der Tür.
Im Gegensatz dazu darf man im holzgetäfelten Gasthaus Kopp im Arbeiterbezirk Brigittenau so lange bleiben, wie man mag. Und zahlt nur die Hälfte vom „Figlmüller“-Preis. Das Schnitzel „Wiener Art“ist köstlich, drei Millimeter dünn, mit einer Panier – wie die Österreicher die Panade korrekt nennen – von einem Millimeter Dicke. Auch hier ist das Schnitzel so groß, dass die Kellner bereits darauf eingestellt sind, die Reste einzupacken.
In der Wiener Innenstadt, wo die Fiakerpferde mit frisierter Mähne auf Passagiere warten, findet man in der mondänen Kulisse des Restaurants „Rote Bar“im berühmten Hotel Sacher das Original „Wiener Schnitzel“. Der elegante Küchenchef Dominik Stolzer verwendet Kalbsrücken und nicht das sonst übliche Fleisch aus der Oberschale.
„Bei uns hängt das Fleisch länger als anderswo, es wird deshalb zarter“, erklärt Stolzer geheimnisvoll. „Dann schneiden wir es quer zur Faser und drücken es mit dem ein Kilo schweren Plattiereisen flach“, beschreibt er die Arbeit am Schnitzel. „Nach dem Plattieren ist das Fleisch zwei Millimeter dick. Wir feuchten es mit etwas Wasser an, salzen es und wenden es in griffigem Mehl, dann legen wir es in aufgeschlagenes Ei und besonders fein gemahlene Semmelbrösel.“Griffiges Mehl – in Deutschland auch Spätzlemehl, Instand-Mehl oder Weizendunst genannt – ist etwas gröber gemahlen als das glatte Standardmehl.
In Wien schreibt der Lebensmittelkodex vor, dass das Wiener Schnitzel nur mit Ei und Semmelbröseln paniert wird, Kräuter oder Käse dürfen nicht daruntergemischt werden.
So paniert wird das Schnitzel im „Sacher“in einer Pfanne von 25 cm Durchmesser in zwei Zentimeter hohem heißen Butterschmalz „schwenkend ausgebacken“, sagt Küchenchef Stolzer. „Das heißt, die Pfanne rotiert auf der Platte.“Es wird einmal gewendet und schließlich stellt er das Schnitzel mit einer Fleischzange senkrecht auf ein Kü- chenkrepp. „Es hat die goldgelbe Farbe und die schönen Blasen, die mich an eine hügelige Landschaft erinnern wie in meiner Heimat, der Steiermark“, schwärmt er.
Im „Sacher“hängt das Schnitzel nicht über den Tellerrand. Zwei 80 Gramm schwere Stücke werden von der silbernen Platte nacheinander vorgelegt. Sie zergehen auf der Zunge. Dazu gibt es Petersil-Erdäpfel und einen kleinen gemischten Salat aus Rahmgurken, Kartoffelsalat, Radiccio, Lollobionda, Lollorosso und Häuplsalat (Kopfsalat) mit Kernöl. „Die Salate sind ganz frisch, maximal vier Stunden alt“, versichert Stolzer. Eine im Netz drapierte halbe Zitrone vervollständigt das Gericht.
„Auf Wunsch bekommen die Gäste auch Preiselbeeren oder etwas Tomatiges“, beschönigt Stolzer die simple Ketchup-Bestellung. Am letzten Wochenende hat seine Küchenmannschaft allein 370 Wiener Schnitzel zubereitet – und natürlich andere Gerichte. „Jetzt im Sommer möchten die Gäste gern etwas Leichtes“, erklärt Stolzer und empfiehlt Bier oder Spritzer (auf Deutsch: Schorle) als Getränk dazu.
Für Menschen, die Kalorien zählen, Low Carb-Fans oder gar Vegetarier und Veganer ist das Schnitzel natürlich nichts. Auch wenn man auf jede Form der Kartoffel verzichtet und sich auf den ebenfalls in Wien gern servierten Erbsenreis und Häuplsalat als Beilage verständigt – ein Schnitzel belastet manch ungeübten Magen. Ist man also mit Familien oder Freunden mit unterschiedlichen Bedürfnissen unterwegs, empfiehlt sich ein Ausflug in die Wiener Umgebung.
Eine knappe halbe Stunde von der Stadt entfernt, direkt an der Donau in Langenlebarn bei Tulln, kehrt man gern beim „Floh“ein und erlebt dort, was die moderne regionale Küche in Österreich zu bieten hat. Gastwirt Josef Floh hat das Dorfgasthaus seiner Eltern zum Treffpunkt der Kulinariker gemacht. Vier Prozent der Gäste steuern ihn per Boot und 17 Prozent per Rad an, ist in einer seiner Broschüren zu lesen. Natürlich gibt es hier auch Schnitzel, aber Floh will Österreichs Küche nicht darauf reduzieren. Auf seiner Karte sind ein Drittel der Gerichte vegetarisch. An den gescheuerten Holztischen bekommt man für 8,50 Euro wochentags zu Mittag ein Überraschungs-Dreigang-Menü. Hat man Gusto auf Schnitzel, kommen zwei mittelgroße goldbraune, leicht Blasen werfende Schnitzel vom Schwein aus der Küche mit einer ganzen Zitrone und Brat-Erdäpfeln. „Für mich ist es nicht entscheidend, ob das Fleisch vom Schwein oder vom Kalb stammt“, sagt Floh. Ich will wissen, woher das Fleisch kommt, welche Rasse es ist und welches Futter die Tiere bekommen haben.“
Floh bezieht fast alle Zutaten, die er verarbeitet, aus Betrieben im Umkreis. Statt Kochmütze trägt er einen Strohhut. Gäste, die sein äußerst nachhaltig organisiertes Wirtshaus betreten, begrüßt er durch eine gläserne Durchreiche zur Küche mit kurzem Winken. Sein Ziel ist es, im Zuge der Slow-Food– Bewegung kleine Produzenten zu vernetzen. Das rosagraue Bergkernsalz, das er benutzt, stammt aus Bad Aussee im steirischen Salzkammergut. Das Besondere daran: Es ist nicht raffiniert. Die Blüten auf dem Teller mit dem Saibling wurden in seinem Kräutergarten gepflückt, was man auch daran erkennt, wenn mal eine Ameise herauskrabbelt.
Wichtig ist für seine Panier vom Schnitzel, dass das Weizenmehl, die Weißbrotbrösel und das Ei selbstverständlich aus biologischer Haltung stammen. „Der Floh“, wie alle ihn nennen, ist der Meinung, dass man die Panier ganz leicht andrücken darf, bevor das Schnitzel ins Butterschmalz eintaucht. Seins kauft er im Waldviertel. Als Überzeugungstäter erklärt Floh den Gästen, dass es in Österreichs Küche sehr viel traditionellere Gericht gebe als das Schnitzel, das der Legende nach ursprünglich aus Mailand stamme, andere schreiben es der jüdischen oder spanischen Küche zu.
Österreichs Köche hätten die Einflüsse aus den Habsburger Kronlanden begeistert aufgesogen. Inzwischen seien sie Tradition wie das Gulasch. Floh gehört zum KochCampus, einer Gruppe, die sich vorgenommen hat, die hohe Qualität der Lebensmittel zu garantieren und die dagegen kämpft, dass Österreich nur als Schnitzelland wahrgenommen wird. Er plädiert für Kulinarik als Unterrichtsfach und veröffentlicht Kochbücher für Familien, die mit dem Nachwuchs nicht zur Kinderkost verbannt sein möchten.
Doch zugegeben, der Floh ist eine Ausnahme in der österreichischen Gastronomie. Angeblich isst jeder Österreicher durchschnittlich 30 Schnitzel im Jahr, die meisten davon sicherlich bei der Mama oder Omama, wo es am besten schmeckt.
„Die schönen Blasen auf dem goldgelben Schnitzel erinnern an eine hügelige Landschaft.“ Hotel „Sacher“Chefkoch Dominik Stolzer