Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Trinkgeldkasse leer gelöffelt
Prozess Eine junge Frau beklaute mehrfach ihren ehemaligen Arbeitgeber. Erst zwei Kameras überführen die 20-Jährige
Finanziell sah es bei der jungen Frau nicht gut aus, dann ging auch noch ihr Auto kaputt. Was nun? Die 20-Jährige sah einen Ausweg, der allerdings wenig legal war. Sie erinnerte sich an die Trinkgeldkasse ihres früheren Arbeitgebers, bei dem sie als Reinigungskraft gearbeitet hatte. Außerdem wusste sie, dass ihre Mutter dort noch putzt und deshalb einen Schlüssel für die Büroräume hat. „Das kam mir dann sehr gelegen“, räumte die 20-Jährige unumwunden vor dem Augsburger Jugendgericht ein. Dank des passenden Schlüssels, den die Angeklagte ihrer Mutter weggenommen hatte, war es für sie kein Problem gewesen, in die Büroräume einzudringen. Außerdem wusste die Frau ja, dass sich in einem unversperrten Schrank im Büro dieses Pflegedienstes die Trinkgeldkasse für die Mitarbeiter befindet. Gleich dreimal räumte sie zwischen August und November des vergangenen Jahres die für die Mitarbeiter aufgestellte, mit einem eingefrästen Schlitz versehene Kasse leer. Dabei ging sie sehr geschickt vor: Mit einem Suppenlöffel fischte sie insgesamt 255 Euro zutage. Der vierte Versuch ging zwar finanziell gesehen ins Leere, dafür packte sie die von der Polizei installierte Kamera nebst Speicherkarte ein. Später warf sie das Gerät, das einen Wert von 200 Euro hat, im Bahnhofsbereich von Oberottmarshausen in die Büsche. Dann aber war Schluss. Denn aufgrund der Diebstähle waren in dem Büroraum nicht nur eine Wildkamera von der Polizeiinspektion Schwabmünchen, sondern auch eine USB-Kamera installiert worden.
„Da beklauen Sie die ehemaligen Kollegen, darüber hinaus bringen sie ihre Mutter in die Bredouille: Das ist moralisch verwerflich und zeugt von ganz schön krimineller Energie“, sagte Jugendrichter Bernhard Kugler fassungslos. Sicher sei das keine schlaue Aktion gewesen, gab die Angeklagte zu. Aber sie sei überzeugt, so etwas nie wieder zu tun; sie hat bereits einen Voreintrag wegen Diebstahls. Deutlich wurde während des Verfahrens, dass der betroffene ambulante Pflegedienst im südlichen Landkreis Augsburg die gestohlenen 255 Euro bereits vom letzten Lohn der Angeklagten einbehalten hat, aber etwaige Schadenswiedergutmachung wurde bislang nicht geleistet. „Sie setzen einfach die Prioritäten falsch. Statt sich um den angerichteten Schaden zu kümmern, finanzieren sie lieber ihr Auto. Das ist aber ein Luxusgegenstand!“, sagte der Jugendrichter energisch. Den bisherigen Lebensweg der Angeklagten zeichnete ein Vertreter der Jugendhilfe des Landratsamtes nach. Von sehr wenigen sozialen Kontakten war die Rede, auch von Ausbildungsplätzen, die nicht funktionierten. Doch jetzt mache sich ein gewisses Maß an Stabilität bemerkbar, da sie ihre derzeitige Ausbildung durchgehalten habe.
Verurteilt wurde die angeklagte 20-Jährige zu zwei Freizeitarresten und 80 Stunden Hilfsdienste. Darüber hinaus erhielt sie eine Gesprächsweisung, um bei der Brücke mit Pädagogen die Hintergründe der Tat aufzuarbeiten und, um sich mit dem Thema „Warum bringe ich mich mit meinem oftmals wenig angepassten Verhalten immer wieder zu meinem Nachteil in Schwierigkeiten?“, auseinanderzusetzen. Besonders die nach seiner Ansicht strukturierte, planmäßige Vorgehensweise kritisierte Staatsanwalt Benjamin Rüdiger. Als Auflage hatte er auch eine Schadenswiedergutmachung beantragt.