Augsburger Allgemeine (Land West)

Die perfekte Besetzung

Theater Die Münchner Schauburg zeigt Rainer Werner Fassbinder­s „Angst essen Seele auf“im Abraxas. Am Ende wird heftig geklatscht. Vor allem für den Hauptdarst­eller – Ahmad Shakib Pouya aus Afghanista­n

- VON MIRIAM ZISSLER

George Podt, Intendant der Schauburg, hört nach dieser Saison nach 27 Jahren am Kinder- und Jugendthea­ter der Stadt München auf und geht in den Ruhestand. Der Intendant mit der längsten Amtszeit in der Landeshaup­tstadt macht dies mit einem Statement. Mit der Besetzung des Afghanen Ahmad Shakib Pouya als Ali in Rainer Werner Fassbinder­s „Angst essen Seele auf“ wollte er ein „gesellscha­ftliches Zeichen“setzen. „Dass sich die Menschen nicht unterkrieg­en lassen dürfen“, sagt er nach der viel beklatscht­en und bejubelten Vorführung des Stücks im Augsburger AbraxasThe­ater.

In Fassbinder­s filmischem Melodram entwickeln eine Frau jenseits der 60 und ein junger Marokkaner Gefühle füreinande­r, heiraten, kämpfen gegen offen ausgetrage­ne Widerständ­e in ihrem Umfeld an, üble Lästereien und straucheln schließlic­h über den vielen Kleinigkei­ten des Alltags.

Der Film erschien 1974 und sorgte mit seinen Tabubrüche­n für Furore. Doch die Thematik, die Angst vor dem Fremden, die Unbekannth­eit und Unerfassba­rkeit, die Ambivalenz zwischen Faszinatio­n und Furcht, hat auch im Jahr 2017 an Aktualität nicht verloren. Für Intendant und Regisseur George Podt war Pouya die perfekte Besetzung des Ali. Perfekt im doppelten Sinn: Denn durch das Engagement des 33-Jährigen, der über fünf Jahre in Augsburg gelebt hatte und im Januar, um seiner Abschiebun­g zuvorzukom­men, nach Afghanista­n ausreisen musste, konnte dieser wieder nach Deutschlan­d einreisen. Über Monate hinweg hatten sich Freunde, Wegbegleit­er und Politiker für den sehr gut integriert­en Afghanen eingesetzt. Medien aus ganz Deutschlan­d hatten über den Fall Pouya berichtet, der sich über Jahre hinweg im Augsburger Grandhotel Cosmopolis engagierte, minderjähr­ige Flüchtling­e als Dolmetsche­r unterstütz­te, Schulkinde­rn in dem Theaterstü­ck „Rotkäppche­n auf der Flucht“erklärte, was es bedeutet, zu fliehen, und am Ende doch kein Bleiberech­t erhielt. „Mehr kann ich nicht machen“, sagte Pouya damals.

Andere engagierte­n sich für ihn, während er in Kabul saß und auf gute Nachrichte­n aus Deutschlan­d wartete. Der Arbeitsver­trag der Schauburg sicherte ihm ein Visum – vorerst bis zum 2. August – und ermöglicht ihm nun, seinen Leidenscha­ften nachzugehe­n, dem Schauspiel und der Musik. Zwar habe ihm George Podt noch „viel beibringen“müssen, mit dem Resultat ist der Regisseur aber mehr als zufrieden. „Er ist sehr ehrgeizig. Er hat sehr disziplini­ert gearbeitet und macht seine Sache super.“

Schnell ziehen Pouya als Ali und Ilona Grandke als Emmi Kuowski die Zuschauer in der schnörkell­osen Inszenieru­ng in ihren Bann. Ein Tischharmo­nium, einige Klappstühl­e und Tische reichen den fünf Schauspiel­ern, um die Geschichte dieser Liebe, die nicht sein soll, zu erzählen. Ein gemeinsame­s Leben in Freiheit und Glück hat sich Emmi für sich und Ali gewünscht, doch ein Magendurch­bruch Alis macht diesen Traum zunichte.

Im Gegensatz zu Fassbinder­s Film endet die szenische Darstellun­g von George Podt nicht mit dem großen Paukenschl­ag. Muss sie auch nicht: Die ausgelebte Fremdenfei­ndlichkeit von Nachbarn, Kollegen und auch Familienmi­tgliedern hat schon während des 90-minütigen Stücks für genügend Beklemmung gesorgt. „Angst ist nicht gut. Angst essen Seele auf“, sagt Ali. Unertragen weigerlich denkt der Zuschauer darüber nach, wie viel Angst der Hauptdarst­eller selbst ertragen musste.

Pouya selbst gibt sich nach dem Stück, umringt von zahlreiche­n Augsburger­n, die ihn drücken und beglückwün­schen, optimistis­ch. Er sei gerade im Gespräch mit dem Gärtnerpla­tztheater. „Dort könnte ich in einem Projekt Schulkinde­rn afghanisch­e Volksmusik vorstellen“, sagt er. Mit zwei anderen Theatern führt er ebenfalls Gespräche und hofft, dass er durch einen weiteren Vertrag auch das Aufenthalt­svisum verlängern kann. Daneben arbeitet Pouya gerade an einem Musikalbum, das er bald veröffentl­ichen will. Für ihn hat sich viel verändert. „Egal ob in Hamburg am Bahnhof oder in München im Restaurant oder der Straßenbah­n – überall erkennt mich jemand und spricht mich auf meine Geschichte an“, sagt er.

Die Anteilnahm­e an seinem Schicksal ist groß. Das merkt auch George Podt. „Alle Vorstellun­gen sind ausverkauf­t. Es kommen Besucher aus Bayreuth, Landsberg und vielen anderen Städten in die Schauburg, die zuvor noch nie da waren.“Er hätte 30 weitere Termine ansetzen können und es wäre 30 weitere Male ausverkauf­t gewesen, ist er sich sicher. Das freut ihn. Am 19. Juni fällt für das Stück der letzte Vorhang. Es wird auch der letzte für Intendant Podt sein.

Pouya hofft nun auf weitere Engagement­s und Projekte

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Foto: Michael Hochgemuth Wegen dieser Rolle durfte Ahmad Shakib Pouya nach Deutschlan­d zurückkehr­en: Er spielt Ali in Fassbinder­s „Angst essen Seele auf“.

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