Augsburger Allgemeine (Land West)
Wem gehört der Helmut-Haller-Platz?
Debatte Seit Jahren sorgen die Drogen- und Alkoholkranken vor dem Oberhauser Bahnhof für Diskussionen. Jetzt nahmen Studenten den Ort unter die Lupe. Wie die Stadt die Situation verbessern will
Kati Wimmer kennt die Szene am Helmut-Haller-Platz seit fast zehn Jahren. Die Streetworkerin der Drogenhilfe Schwaben kümmert sich mit Kollegen des Sozialverbands SKM um Menschen, die dort nicht gern gesehen sind – die Drogen- und Alkoholkranken. Manchmal muss sie sich vor Außenstehenden für ihren Job sogar rechtfertigen. Warum sie überhaupt Geld bekomme, wo sich hier doch gar nichts zum Positiven verändere, wird sie schon mal angefrotzelt.
Tatsächlich vergeht vor dem Oberhauser Bahnhof kaum ein Tag ohne Polizei- und Notarzteinsätze. Das veränderte Drogenkonsumverhalten (etwa durch die zunehmende Beliebtheit von sogenannten „Badesalzen“) fordert hier seinen Tribut und lässt die Abhängigen reihenweise umkippen.
Man muss weder Sozialpädagogin noch Soziologe sein, um sich eine Meinung über den Platz mit der dort ansässigen Szene zu bilden. Das Areal ist jedoch ein dankbares Betätigungsfeld für all jene, die mit wissenschaftlichen Methoden das Zusammenleben von Menschen untersuchen. Genau das haben jetzt 17 Studierende der Uni Augsburg unter Leitung von Dr. Alexander Jungmann getan. Sie nahmen den Treff- und Verkehrsknotenpunkt im Rahmen eines einjährigen Forschungsprojektes aus mehreren Perspektiven unter die Lupe. Sie sprachen mit Experten, Politikern, sie teilten den Platz in die verschiedenen Nutzungsbereiche auf. Und sie kamen auf dem ehemaligen Spielplatz hinter dem Bahnhofsgebäude mit den Süchtigen in Kontakt, die sie als „ganz unterschiedlich und offen“wahrnahmen. Zur Präsentation der Ergebnisse unter dem Motto „Helmut-Haller-Platz für alle?“waren zahlreiche Personen gekommen, die mit der Thematik vertraut sind – etwa Politiker, Anwohner und Streetworker.
Sie bekamen keine grundlegend neuen Erkenntnisse zum Oberhauser Brennpunkt geliefert. Auch die Empfehlung der jungen Foreinem scher, den Platz stärker zu beleben, um ihn zu einem Ort für alle Bevölkerungsgruppen zu machen, ist nicht neu. Seit Jahren mühen sich beispielsweise die Arge Oberhausen und der Gastronom Bob’s mit Veranstaltungen wie Kirschblütenfest oder Sommer am Kiez, den Platz in ein besseres Licht zu rücken.
Der Notarzt rückt dennoch weiterhin regelmäßig an. Die Tatsache, dass die Polizei den Platz nicht als Kriminalitätsschwerpunkt einstuft, vermag die Bevölkerung nicht zu beruhigen. Stadtrat Peter Grab sowie Anna Tabak von der Wählergruppierung „Wir sind Augsburg“(WSA) starteten deshalb kürzlich bei einem Bürgertreff im Bahnhofsgebäude eine Unterschriftenaktion. Sie fordern darin die schnellstmögliche Umsetzung eines Gesamtkonzepts für den Platz – angefangen bei baulichen und pflegerischen Maßnahmen bis hin zu Einsatzplan für die Betreuer. Dieses Gesamtkonzept gibt es bereits. Laut Ordnungsreferent Dirk Wurm wurden einige Punkte daraus umgesetzt, weitere Maßnahmen sollen folgen. Von einer „Verschlimmerung der Situation“aktuell will der Referent nicht sprechen. Eher sei das Gegenteil der Fall. „Durch den Biergarten von Bob’s hat der Platz auf jeden Fall gewonnen.“Dieser ist Schauplatz für das Festival „Sommer am Kiez“vom 22. Juni bis 29. Juli.
Für Entspannung am Oberhauser Bahnhof soll zudem ein betreuter Treffpunkt für die Suchtkranken sorgen. Die Drogenhilfe und der Sozialverband SKM werden das im Vorfeld kontrovers diskutierte Angebot für die Stadt betreiben. Die Stadt hat dafür mehrere Immobilien in der Nähe des Platzes im Auge. Der Ordnungsreferent geht davon aus, dass in den nächsten Wochen eine Entscheidung fällt. Die Räume – von Wurm als Café, von anderen als „Trinkerstube“bezeichnet – sollen je nach Umfang der Sanierungsarbeiten im Herbst oder Frühwinter 2017 eröffnet werden. Dass dadurch die Szene völlig vom Oberhauser Bahnhof verschwindet, ist unrealistisch. Busse, Straßenbahnen und Züge halten dort nahezu rund um die Uhr und lassen die Frauen und Männer aussteigen, die von der Drogenklinik am Bezirkskrankenhaus kommen oder den nahegelegenen Substitutionsarzt aufsuchen. Oder die sich einfach zwanglos treffen wollen, ohne betreut zu werden. Dennoch: Die Suchtkranken sehen das geplante Angebot nach Einschätzung von Kati Wimmer positiv: „Sie merken, dass etwas für sie getan wird.“
Was den Helmut-Haller-Platz angeht, appelliert die Streetworkerin der Drogenhilfe an Außenstehende, der Szene „respektvoll“zu begegnen, auch wenn man persönlich derartige Lebensentwürfe nicht gutheißt. Mit einer mobilen Suppenküche haben vor einigen Wochen Jugendliche der nahegelegenen Kapellen-Schule eindrucksvoll gezeigt, wie dies aussehen kann.
Das Grundproblem aber bleibt, weil es in Großstädten immer Treffpunkte von Randgruppen geben wird. Dazu zählt in Augsburg neben dem Oberhauser Bahnhof auch der Königsplatz.