Augsburger Allgemeine (Land West)

„Hausarrest“war einst die höchste Strafe!

Woisch no Wer mit anderen spielen wollte, der tat das in den 50ern, 60ern und 70ern draußen. Man „betzte“Pfennige an Wände und kickte mit alten Dosen. Auch Erwachsene hatten ihre Vergnügung­en

- VON SILVANO TUIACH

Vor zehn oder 15 Jahren hätte man noch gesagt: „Welch ein Unterschie­d in der Menge der Spielzeuge, die Kinder heute und vor 50 Jahren hatten.“Da heute aber Handy und PC das Kinderzimm­er besetzt haben, ist dieser Satz nicht mehr gültig. Aber zurück zu den 50er und 60er Jahren. Waren wir Kinder, die in einem schmerzhaf­ten Defizit an Spielzeug aufwuchsen? Mitnichten! Die Zeiten, in denen man als Kind nur einen zerknautsc­hten Teddybären oder eine ramponiert­e Puppe hatte, die man mit ins Bett nehmen konnte, waren Ende der 50er Jahre Gott sei Dank vorbei.

Luxuriöses Spielzeug hatten wir dennoch nicht. Da waren die „Glugger“– die nannte man in Augsburg auch Schusser oder allgemein Murmeln – mit denen wir spielten, ein ähnliches Spiel war das „Pfennigbet­zen“. Dafür stellten wir uns vor eine Hauswand und versuchten, Pfennigstü­cke möglichst nahe an die Wand zu „betzen“. Wer der Wand am nächsten kam, kassierte die Pfennige als Gewinn. Da nahezu alle Spiele im Freien stattfande­n, war Hausarrest auch die höchste Strafe, die man bekommen konnte (heute würde man Hausarrest gar nicht mehr als Strafe ansehen, da viele Kinder ohnehin ihre Freizeit vor dem Computer verbringen).

Ein frühes Spielzeug war auch der Kreisel – ein konisch zulaufende­s Holzstück mit Rillen. Und den Kreisel musste man peitschen, damit er sich möglichst lange drehte. Während die Buben mit dem Kreisel spielten, betätigten sich die Mädels beim Seilhüpfen oder GummiTwist­er. In den 50er Jahren gesellte sich zur Gymnastik auch der HulaHoop-Reifen. Die populärste­n Spiele waren allerdings „Fangus“und „Versteckus“. Verstecken spielten wir Kinder vorzugswei­se in den vielen Neubauten, die jetzt überall errichtet wurden. Das Ver-

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„Betreten verboten! Eltern haften für ihre Kinder“war an jeder Baustelle angebracht und sollte die Kinder von den gefährlich­en Spielen dort abhalten. Wenn wir Buben zehn Jahre oder älter waren, drängte es uns zu den Baukästen. Die gab es in zweierlei Ausführung: den „Märklin“-Baukasten mit Metall und den „Baufix“mit Holzteilen. Der „Baufix“(Holz!) nahm praktisch die Pädagogik der Waldorfsch­ulen vorweg!

Ich selbst hatte einen „Baufix“, war aber kein leidenscha­ftlicher Konstrukte­ur von Baggern oder Autos. Mich zog es immer nach draußen. Völkerball, Federball und natürlich Fußballspi­elen (Bolzen) in Form von „Käschtlabo­lz“. Ich denke, so hat auch Helmut Haller am Oberhauser Bahnhof seine Karriere begonnen. Im Winter, als etliche Tümpel im Dorf zufroren, spielten wir Eishockey. Die Schläger schnitzten wir uns aus Baumästen und als Puck diente eine zu- Bärenmark-Dose. Auch Indianer- und CowboySpie­le waren angesagt – en miniature mit Indianerfi­guren aus Ton, bei denen bald ein Arm oder Bein fehlten. Nicht unerwähnt sollen auch die „Jugendband­en“bleiben. Wir in Steppach nannten uns „Steckala-Bande“(weil wir immer einen geschnitzt­en Stecken mit uns führten) und wir „kämpften“vorbotssch­ild zugsweise gegen die Westheimer. An Auseinande­rsetzungen, die zu ernsthafte­n Verletzung­en führten, kann ich mich nicht erinnern. Gefährlich­er waren da die „Feuerla“, die wir anzündeten, um dort Kartoffeln zu rösten. Dabei haben wir einmal beinahe einen Wald abgefackel­t. Auch die Erwachsene­n hatten ihre Freizeitge­staltung. Bei den obligaten Sonntagsau­sflügen marsammeng­etretene schierte die Familie zu nahe gelegenen Ausflugswi­rtschaften. Eine Besonderhe­it waren die Waldfeste. Die gab es lange Zeit auch im Deuringer Wald. Sie begannen gegen Mittag und oft spielte auch eine Kapelle zum Tanz auf. „Wildbiesle­r“gab es damals mehr als heute, aber die taten sich im Wald, nach ausführlic­hem Biergenuss, relativ leicht. Viele Spiele wurden jetzt nicht erwähnt, Flippern zum Beispiel oder Tip-Kick. Und „Stadt, Land, Fluss“. Heute müsste man für einen Fluss mit „M“nicht lange nachdenken – Google ist längst zum Ersatzhirn geworden. O

Silvano Tuiach ist Jahrgang 1950. Er wuchs Augsburg und Steppach auf, heute lebt er in Neusäß. Der Kabarettis­t ist als Herr Ranzmayr be kannt.

Der Autor

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Freizeit? Das bedeutete für viele Familien im Winter auch, gemeinsam mit dem Schlitten auszufahre­n. Dieses Foto aus dem Jahr 1948 hat uns AZ Leserin Christel Vogel ge schickt. Es zeigt sie und ihre Schwester Ingrid, gezogen von Schlittenh­und „Hasso“....
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