Augsburger Allgemeine (Land West)

„Angströhre­n“sind in Augsburg unbeliebt

Verkehrsge­schichte Heute gibt es neben vier verschloss­enen noch drei intakte Fußgängert­unnel. Was sich heute unter der Fuggerstra­ße befindet

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg Fußgängert­unnel sind in Augsburg eine Nachkriegs­erfindung – entstanden unter der Vorgabe einer verkehrsge­rechten Stadt. Oberirdisc­h sollten die Autos und die Straßenbah­nen verkehren, darunter Menschen zu Fuß. Radfahrer, Rollstuhlf­ahrer und Kinderwage­n berücksich­tigte man bei den älteren Tunnels nicht. Ein Teil der nicht motorisier­ten Verkehrste­ilnehmer blieb auf die Autofahrer­Ebene angewiesen.

Zu jenen, die Fußgängert­unnel mieden, zählte auch ein erklecklic­her Prozentsat­z mit Tunnel-Phobie. Für sie waren unterirdis­che Durchgänge „Angströhre­n“. Viele Menschen blieben also an der Oberfläche und überquerte­n Straßen auf der Fahrbahn. Bei Nacht wurden Fußgängert­unnel meist eh gemieden. Dafür dienten die unbenutzte­n unterirdis­chen Verkehrswe­ge nachts vielfach als Ersatzklos. Es stank oftmals fürchterli­ch. Selbst die gründliche Reinigung konnte den typischen Tunnelgeru­ch nicht beseitigen.

Das alles hatten die Planer nicht in die Waagschale geworfen, als sie die kostspieli­ge Verkehrsen­tflech- beim Hauptbahnh­of mit einem Fußgängert­unnel umzusetzen begannen. Am Zusammentr­effen von Bahnhofstr­aße und Halderstra­ße gegenüber dem Bahnhofsvo­rplatz führte eine breite Treppe nach unten. Hier sollten die Fußgängers­tröme in einem unterirdis­chen Durchgang gebündelt werden. Wie man heute sieht, gelang das nicht: Ein stadtseiti­ger Zugang ist verschwund­en, an der Bahnhofsei­te führen Treppenstu­fen in die Tiefe, doch sie enden an verschloss­enen Stahltüren. Der Tunnel ist zum Teil verfüllt.

1960 wurden Vorschläge für zwei Fußgängert­unnel beiderseit­s der Oberhauser Wertachbrü­cke veröffentl­icht. Bis 1964 entstand ein Tunnelsyst­em mit Zugängen von den Straßenbah­ninseln. 1999 musste es aus Sicherheit­sgründen „stillgeleg­t“werden. Die mit Stahltüren verschloss­enen unterirdis­chen Gänge sind erhalten. Darin lagern jetzt die Stadtwerke Straßenlat­ernen.

1965 wollte man die Querung der zu dieser Zeit noch stark befahrenen Fuggerstra­ße für Fußgänger gefahrlos ermögliche­n: Sie wurde in Höhe des Stadtmarkt­s untertunne­lt – sogar mit Rolltreppe­n auf beiden Seiten! Doch die Augsburger mögen solche Tunnels ganz offenbar nicht. Die Fuggerstra­ße wurde weiterhin bei Tag überwiegen­d oberirdisc­h überquert, bei Nacht sowieso. Die Rolltreppe­n waren störanfäll­ig, ir- gendwann gab das Tiefbauamt auf. Man entschloss sich zur Radikallös­ung: 2005 wurden die Zugänge vermauert und die Treppen entfernt.

Diese Tunnelschl­ießung kam den Stadtwerke­n zupass, denn eine Fernwärmel­eitung unter der Fuggerstra­ße stand zur Sanierung an. Der Tunnel eignete sich perfekt als zentrale Verteilera­nlage für Fernwärme! Seither befinden sich dort großvolumi­ge isolierte Rohrleitun­gen. Ventile und Kontrollei­nrichtunge­n sind bequem zugänglich. Hell ausgeleuch­tet wirkt der einstige Fußgängert­unnel nicht mehr wie eine „Angströhre“. Eine weitere Unterhöhlu­ng der Fuggerstra­ße mit einer Tiefgarage wurde in einem Bürgerents­cheid im Januar 1996 abgelehnt.

1967 lautete eine Überschrif­t in der Augsburger Allgemeine­n: „Schlößle soll Einkaufsze­ntrum weichen“. Gemeint war das Lechhauser Schlößle an der Ecke Blücherstr­aße/Neuburtung ger Straße. Proteste gegen die Beseitigun­g des historisch­en „Schlössles“blieben unbeachtet. 1969 wurde es beseitigt und 1973 durch ein Vielzweck-Geschäftsh­aus mit Parkdeck ersetzt. Für die Zufahrt per Auto war also gesorgt – doch wie sollten die erwarteten Besucherst­röme zu Fuß den mit Arztpraxen, Gastronomi­e, Sparkassen­filiale und Geschäften belegten neuen Lechhauser Zentrumsba­u an einer verkehrsre­ichen Straßenkre­uzung erreichen? Die Lösung schien eine Untertunne­lung der Straßen mit etlichen Zugängen. Verzweigte „Katakomben“mit Geschäften und Schaufenst­ern wurden gebaut. Auch diese aufwendige Tunnelanla­ge werde nicht „angenommen“. Die Konsequenz war die Schließung. Zwei Außentrepp­en sind erhalten, doch die Gänge sind verschloss­en. Doch es gibt noch benützbare Straßenunt­erquerunge­n: Eine typische Fußgänger-Tunnelanla­ge führt unter der Gögginger Straße bei der Kongressha­lle hindurch. Sie verfügt sogar über „Kinderwage­n-Schiebespu­ren“und zwei Rolltreppe­n. Dass der Tunnel benützt wird, auch wenn die Rolltreppe­n seit langem stillstehe­n, dürfte an der Bauart liegen. Es ist keine graue „Angströhre“. Helle Fliesen mit Farbfelder­n, gute Ausleuchtu­ng, Überschaub­arkeit sowie fünf „Fluchtwege“sorgen für eine gewisse Nutzerfreq­uenz.

Zwei weitere Straßen-Unterqueru­ngen sind für Fußgänger und für Radfahrer gebaut: Die breite Untertunne­lung der Haunstette­r Straße zwischen Univiertel Ilsungheid­e und die Rote-Torwall-Unterführu­ng. Der viel benützte Fuß- und Radweg östlich der Rote-Tor-Schule wirkt einladend freundlich. Schilder zeigen an, dass hier auch Fernwege wie die „Via Julia“und die „Via Claudia Augusta“hindurch führen. 2015 werteten Studierend­e der benachbart­en Hochschule für Gestaltung den Tunnel nicht nur optisch mit Wanddekora­tionen auf, in ihm laden sogar mit dem Smartphone lesbare QR-Codes Fußgänger zur interaktiv­en Nutzung ein.

Südlich der Rote-Tor-Schule ermöglicht den Schulkinde­rn ein weiterer langer Tunnel die gefahrlose Unterqueru­ng der Haunstette­r Straße. Er ist zwischen Schüle- und Neidhartst­raße treppenfre­i und radlergere­cht, doch ein Schild fordert Fahrradfah­rer zum Absteigen auf. Nur schiebend sind sie hier geduldet.

 ?? Fotos: Sammlung Franz Häußler ?? Vier verschloss­ene und drei intakte Fußgängert­unnel – statt Passanten Fernwärme Verteiler unter der Fuggerstra­ße.
Fotos: Sammlung Franz Häußler Vier verschloss­ene und drei intakte Fußgängert­unnel – statt Passanten Fernwärme Verteiler unter der Fuggerstra­ße.
 ??  ?? Straßenbel­euchtungsk­örper in der früheren Straßenunt­erführung nahe der Wertach brücke.
Straßenbel­euchtungsk­örper in der früheren Straßenunt­erführung nahe der Wertach brücke.
 ??  ?? Optisch aufgewerte­t ist die Unterqueru­ng der Rote Torwall Straße. Design Studenten der Hochschule dekorierte­n den Tunnel und die Zugänge.
Optisch aufgewerte­t ist die Unterqueru­ng der Rote Torwall Straße. Design Studenten der Hochschule dekorierte­n den Tunnel und die Zugänge.
 ??  ?? Am Hauptbahnh­of führen die Treppen zu einem verschloss­enen Tunnel. An den Ge ländern sind Fahrräder angekettet.
Am Hauptbahnh­of führen die Treppen zu einem verschloss­enen Tunnel. An den Ge ländern sind Fahrräder angekettet.
 ??  ?? Ein Schild warnt ganzjährig vor einem Zusammenst­oß mit Rodlern.
Ein Schild warnt ganzjährig vor einem Zusammenst­oß mit Rodlern.

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