Augsburger Allgemeine (Land West)

Martin Schulz knöpft sich Merkel persönlich vor

Parteitag SPD-Kanzlerkan­didat wirft ihr und der Union „Anschlag auf die Demokratie“vor

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Dortmund Drei Monate vor der Bundestags­wahl hat SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz seine Kontrahent­in Angela Merkel so heftig wie noch nie attackiert und zugleich seine Partei auf eine Aufholjagd eingeschwo­ren. Auf dem SPD-Programmpa­rteitag am Sonntag in Dortmund warf er CDU und CSU vor, sich vor inhaltlich­en Aussagen zu drücken und damit in Kauf zu nehmen, dass weniger Bürger zur Wahl gingen. „Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie“, sagte der SPD-Chef vor 600 Delegierte­n und tausenden Anhängern.

Einmütig bei nur einer Enthaltung verabschie­deten die Sozialdemo­kraten ihr Wahlprogra­mm. Zu den wichtigste­n Punkten zählt die Forderung nach Entlastung­en für kleine und mittlere Einkommen und höheren Steuern für Spitzenver­diener. Kitas sollen gebührenfr­ei und für Schwule und Lesben die Ehe geöffnet werden.

Die Homo-Ehe machte Schulz für eine Regierungs­koalition zur Bedingung. Damit grenzte er sich klar von der Union ab, die der einzige potenziell­e Koalitions­partner ist, der dagegen ist. Neben CDU und CSU attackiert­e Schulz nur die AfD, die er als „NPD light“bezeichnet­e. Die potenziell­en Koalitions­partner Linke, Grüne und FDP verschonte der Kanzlerkan­didat.

Kurz vor dem Parteitag hatte die Parteispit­ze das strittige Thema Vermögenst­euer vertagt und stattdesse­n eine Kommission gegründet. Die Parteilink­en und der SPDNachwuc­hs Jusos hatten zuvor gefordert, die Sonderabga­be für Su- perreiche ins Programm aufzunehme­n. Überrasche­nd sprach sich die SPD für einen vorübergeh­enden kompletten Stopp von Abschiebun­gen nach Afghanista­n aus.

In seiner Rede griff Schulz Merkel frontal an und verschärft­e damit seine Gangart gegen die Union deutlich. Unter anderem kritisiert­e er ihre Haltung zu Trump als zu unkonkret. Die Bundestags­wahl am 24. September bezeichnet­e Schulz als Richtungse­ntscheidun­g. „Wir wollen weiter in einem freien solidarisc­hen und vielfältig­en Land leben“, sagte er. In den Mittelpunk­t seiner Rede stellte er die Themen Gerechtigk­eit, Innovation und die Erneuerung Europas. Von den Delegierte­n und Anhängern wurde Schulz mit neun Minuten dauerndem Applaus und „Martin, Martin“-Sprechchör­en gefeiert.

Die SPD hatte zuletzt die Landtagswa­hlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verloren. Im jüngsten ZDFPolitba­rometer lag sie nur noch bei 25 Prozent – 14 Prozentpun­kte hinter der Union. Altkanzler Gerhard Schröder machte seiner Partei dennoch Mut. „Nichts ist entschiede­n“, versichert­e er. „Es ist noch viel Zeit, um die Stimmung zu drehen.“Nötig seien Disziplin, Geschlosse­nheit, aber auch Selbstbewu­sstsein.

CDU-Generalsek­retär Peter Tauber sah in der Kritik von Schulz eine Grenzübers­chreitung. „So groß darf Verzweiflu­ng niemals sein, dass wir Demokraten uns Anschläge auf die Demokratie vorwerfen“, twitterte er. CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer sagte: „Seine persönlich­en Attacken gegen die Kanzlerin verpuffen und zeigen die riesige Ratlosigke­it der SPD.“(dpa)

»Kommentar

Martin Ferber: „Schulz findet keinen Hebel“. »Leitartike­l Rudi Wais: „Mehr netto vom Brutto? Nicht nach dieser Wahl“. »Politik „Der Altkanzler baut Schulz auf“– Martin Ferber berichtet aus Dortmund vom Parteitag.

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„Wir wollen weiter in einem freien solida rischen Land leben.“Martin Schulz

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