Augsburger Allgemeine (Land West)

Der wildeste Lauf des Jahres

Formel 1 Sebastian Vettel verliert die Nerven und fährt Lewis Hamilton absichtlic­h in die Seite. Eine Entschuldi­gung? Aus Sicht des Deutschen unangebrac­ht. Der Sieg von Daniel Ricciardo gerät so zur Randnotiz

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Baku

Hitzkopf Sebastian Vettel gab auch im Ziel des irren Chaos-Rennens von Baku um keinen Meter nach. Von einer Entschuldi­gung für den Wut-Rempler gegen Formel1-Titelrival­e Lewis Hamilton mitten im Trümmer-Spektakel von Aserbaidsc­han war der WM-Spitzenrei­ter weit entfernt. „Wir sind doch alle erwachsen, wollen hier Rennen fahren und unsere Ellenbogen benutzen“, sagte Vettel, nachdem er am Sonntag mit Platz vier direkt vor Hamilton seine WM-Führung um zwei auf 14 Punkte ausgebaut hatte. Der britische MercedesPi­lot indes ätzte: „Er hat sich heute selbst beschämt. So sollte sich kein Weltmeiste­r benehmen.“

Längst lief die Party für Überraschu­ngssieger Daniel Ricciardo, der im Red Bull vor Silberpfei­l-Fahrer Valtteri Bottas und Williams-Neuling Lance Stroll gewonnen hatte, als Vettel und Hamilton ihre ganz unterschie­dliche Sicht der Dinge im nun vergiftete­n Dauer-Zweikampf schilderte­n. Inmitten einer Unfallseri­e, die später sogar für eine 23-minütige Rennunterb­rechung sorgte, hatte Vettel kurz die Nerven verloren. Zunächst fuhr er hinter dem Safety-Car auf Hamiltons Mercedes auf, dann setzte er sich neben ihn, drohte mit der Hand und rammte das linke Vorderrad des Silberpfei­ls.

„Wenn er zeigen will, dass er ein Mann ist, soll er aus dem Auto steigen und wir machen es von Angesicht zu Angesicht“, sagte Hamilton. Die Rennleitun­g verurteilt­e Vettel zu einer Zehn-SekundenSt­andzeit an der Box, damit war die Siegchance für den Hessen dahin. „Er hat zweimal hart gebremst. Das war nicht gut. Ich verstehe nicht, warum man nur mich bestraft“, sagte Vettel. Doch der von der Pole Position gestartete Hamilton, der die erste Rennhälfte kontrollie­rt hatte, konnte nicht von der Strafe profitiere­n. Wegen einer gelockerte­n Kopfstütze musste er einen Zusatzstop­p einlegen und verpasste ebenfalls seinen vierten Saisonsieg.

„Mir tut das für Lewis leid. Wir sind selber schuld. Aber da, wo Menschen arbeiten, passieren Fehler“, sagte Mercedes-Teamaufsic­htsrat Niki Lauda bei Sky. Immerhin durfte er sich über Bottas’ zweiten Platz freuen. Der Finne hatte auf den letzten Metern des spektakulä­rsten Rennens seit Jahren – noch vor einem Jahr war die Baku- Premiere ein Langweiler – den sensatione­llen Stroll abgefangen. Bottas krönte damit seine Aufholjagd, nachdem er nach einem Unfall mit Kimi Räikkönen zu Beginn das Feld komplett von hinten aufgerollt hatte. „Eine fantastisc­he Leistung“, meinte Lauda.

In der WM-Gesamtwert­ung führt Vettel nach dem achten Saisonlauf nun mit 153 Punkten vor Hamilton, der 139 hat. Auch Pascal Wehrlein ergatterte für Sauber dank zahlreiche­r Ausfälle der Konkurrenz als Zehnter noch einen WM-Zähler. Dagegen streifte Nico Hülkenberg mit seinem Renault eine Streckenma­uer und schied aus.

Angesichts der Turbulenze­n auf der Strecke kamen die Chronisten kaum nach. Immer wieder krachte es, Trümmertei­le flogen durch die Luft und die Streckenpo­sten mussten bei den Aufräumarb­eiten Überstunde­n machen. Kurz vor dem zweiten Neustart kam es dann zum Eklat zwischen Vettel und Hamilton. „Das war ein Revanchefo­ul“, sagte Lauda.

Vettel dagegen sah es anders. „Er hat beschleuni­gt nach der Kurve, dann gebremst. Das war unnötig. Ich glaube nicht, dass es Absicht war, aber es war einfach falsch“, sagte der 29-Jährige. Hamilton indes widersprac­h dieser These: „Ich habe keinen Bremstest gegen ihn gemacht. Dass er praktisch damit davonkommt, in einen anderen Piloten zu fahren, ist eine Schande.“Nach Wochen, in denen die beiden WMKontrahe­nten ständig ihren gegenseiti­gen Respekt versichert­en, ist die Stimmung nun vorerst explosiv. Völlig losgelöst war hingegen Sieger Ricciardo, der zum fünften Mal in seiner Karriere ganz oben auf dem Podium stand. Der Australier fuhr von Platz zehn noch ganz nach vorn und brachte es danach auf den Punkt: „Das war ein verrücktes Rennen.“Noch mehr in Ekstase war der Kanadier Stroll, der es als jüngster Fahrer der Formel-1-Geschichte in der Premierens­aison aufs Podium schaffte. „Mir fehlen die Worte. Das hätte ich nie erwartet“, sagte der 18-Jährige.

Fast schon vergessen war, dass ihm Mercedes-Mann Bottas auf den letzten Metern noch Platz zwei weggeschna­ppt hatte. So nahm Stroll dann auch einen tiefen Schluck Champagner aus dem Rennschuh von Ricciardo. „Das wird mich fürs Leben zeichnen“, scherzte der Youngster danach mit verzerrten Gesichtszü­gen.

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Foto: Imago Immer wieder flogen aufgrund zahlreiche­r Unfälle Autoteile auf die Strecke. Hier erwischt es Daniil Kvyat im Toro Rosso.
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Foto: dpa Teamchef Maurizio Arrivabene musste Sebastian Vettel beruhigen.
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Foto: dpa Daniel Ricciardo freut sich über seinen ersten Saisonsieg.

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