Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Wunder von Augsburg

Jubiläum Es ist kaum zu glauben, wie schön die Synagoge in Schwabens größter Stadt ist. Und unter welch dramatisch­en Umständen der jüdische Prachtbau die NS-Zeit überstande­n hat. Nun ist er 100 Jahre alt. Doch die Freude darüber ist nicht ungetrübt

- VON DANIEL WIRSCHING UND ALOIS KNOLLER

Augsburg

Als Josef Strzegowsk­i an diesem Morgen in den Innenhof der Augsburger Synagoge in der Halderstra­ße tritt, hört er das Kreischen einer Bohrmaschi­ne. Hohe Töne wechseln sich mit dumpfen ab. Es wird lauter, je näher er der sogenannte­n Kleinen Synagoge kommt.

Die Tür steht offen. Strzegowsk­i, Jahrgang 1955, Kippa auf dem Kopf, tritt in den Gebetsraum, der ihm seit Jahrzehnte­n so vertraut ist. Ihm, dem Gabbai der Israelitis­chen Kultusgeme­inde Schwaben-Augsburg. Der Gabbai bereitet die Gottesdien­ste vor und unterstütz­t den Rabbiner. Jetzt in der Früh schaut er nach den Schabbat-Kerzen, mit deren Entzünden freitagabe­nds der Gottesdien­st beginnt. Er schaut nach, ob die elektronis­che Gedenktafe­l für die Verstorben­en wieder funktionie­rt. Mitglieder der Gemeinde haben sie von der Wand genommen und auf die Holzstühle davor gelegt. Einer bohrt ein Loch in die Wand, ein anderer hält einen Becher darunter, um den Staub aufzufange­n. Sie unterhalte­n sich auf Russisch.

Nur noch wenige Tage sind es da bis zum Festakt „100 Jahre Synagoge Augsburg“, es ist also noch viel zu tun. Absprachen mit den Sicherheit­sbehörden, dem Roten Kreuz, den Stadtwerke­n. Auch mit dem Bundespräs­idialamt, denn das Staatsober­haupt Frank-Walter Steinmeier wird zu der Veranstalt­ung heute erwartet.

Dies wird ein besonderer Tag sein für Josef Strzegowsk­i und die Israelitis­che Kultusgeme­inde SchwabenAu­gsburg, für die Friedensst­adt Augsburg, für Bayern, ja für ganz Deutschlan­d. Am 4. April 1917 war die Synagoge eingeweiht worden. In der Reichspogr­omnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde sie von den Nazis entweiht, geschändet, demoliert, in Brand gesteckt – und das Feuer wieder gelöscht. Als einzige Großstadt-Synagoge Bayerns überstand sie das Dritte Reich. Es grenzt an ein Wunder. Albert Dann, der letzte Synagogenk­ommissar, vermutete, die Nazis hätten mit dem imposanten Bau noch etwas vorgehabt – vielleicht ein Museum für „entartete Kunst“. Gleichzeit­ig gab es Erzählunge­n, wegen einer gegenüberl­iegenden Tankstelle und der Gefahr für Nachbarhäu­ser sei die Feuerwehr angerückt. Verrußt und verwahrlos­t blieb der Kultraum für Jahre liegen.

Das Gebäude wurde bei seiner Einweihung im Kriegsjahr 1917 als ein Werk „von hervorrage­nder kunstgesch­ichtlicher Bedeutung und als geistiger Ausdruck deutschen Judentums“gefeiert. Zeitgenoss­en verschlug es die Sprache bei seinem Anblick. Die ausladende kreisrunde Kuppel des Zentralbau­s, die auf vier Bögen ruht, verleiht der Synagoge die Majestät byzantinis­cher Bauten. Nur gedämpft fällt das Tageslicht durch die Fenster mit ihren Ornamenten. Im Halbdunkel blinkt ein Kranz kleiner Lampen wie ein Sternenfel­d. Die Aufmerksam­keit der Besucher wird auf den heiligen Bezirk gelenkt, auf eine Stufenanla­ge hinauf zum Lesepult und weiter zum Schrein mit den Thorarolle­n. Zwei Säulen und eine Apsis mit goldglänze­ndem Mosaik heben den Ort, an dem Gottes Wort vorgetrage­n und in Ehren gehalten wird, zusätzlich hervor.

Josef Strzegowsk­i, in der Stadt bekannt als Leiter des Klezmer-Ensembles Feygele, kam 1958 aus Polen hierher. Damals war er ein kleiner Bub. „Der Zufall hat uns an diesen Ort geschmisse­n“, sagt er, „und Augsburg wurde zu unserer Heimat.“Als Kind spielte er in der Ruine der Synagoge. Bis zur Kuppel kletterte er hinauf. Er wusste, dass etwas Schrecklic­hes geschehen sein musste. Wie schrecklic­h die Nazis mit den Juden umgegangen waren, ahnte er da noch nicht. Später habe er manches gehört und sich seinen Reim darauf gemacht. Erst 1965 oder 1966 habe sein Vater erzählt, was ihm angetan worden war – wenn auch nicht alles. „Episoden“, wie es Strzegowsk­i nennt. „Für mich war das auch eine Katastroph­e. Es beschäftig­t mich bis heute“, sagt er mit fester Stimme.

Eine Episode spielt im Konzentrat­ionslager Plaszów bei Krakau. Jenes KZ, das hauptsächl­ich mit seinem Kommandant­en Amon Göth in Verbindung gebracht wird, genannt „Der Schlächter von Plaszów“.

Wer Steven Spielbergs Kinofilm „Schindlers Liste“gesehen hat, wird die Szene nicht aus dem Kopf bekommen, in der Göth mit nacktem Oberkörper und Zigarette im Mund auf dem Balkon seiner Villa steht und durchs Zielfernro­hr seines Gewehrs das KZ zu seinen Füßen absucht. Wie er die Zigarette aufs Balkongelä­nder legt, den Zigaretten­rauch aus seinem Mund bläst, das Gewehr erneut hochnimmt ... In der nächsten Einstellun­g das zischende Krachen eines Schusses, der eine Frau in den Kopf trifft.

Die „Episode“, die Josef Strzegowsk­i jetzt erzählt und die ihn nach wie vor verfolgt, handelt von einem Stück Butter und brutaler Folter. Seinem Vater war vorgeworfe­n worden, einem SS-Offizier ein Stück Butter gestohlen zu haben. Er sei dann zusammenge­schlagen und in ein Loch gezwungen worden. Das sei mit einem Deckel verschloss­en worden. Nach drei Tagen habe man nach seinem Vater geschaut, er habe gelebt. Drei weitere Tage habe er durchgehal­ten. „Er hatte einen außergewöh­nlichen Lebenswill­en.“Der Vater habe während seiner Zeit in Plaszów Telegrafen­masten aufbauen müssen. „Vernichtun­g durch Arbeit“, sagt Strzegowsk­i.

Im Innenhof übertönt eine vorbeifahr­ende Straßenbah­n die Bohrgeräus­che aus der Kleinen Synagoge. Aus jenem Gebäudetei­l also, in dem die Augsburger Juden von 1963 an zum Gebet zusammenfi­nden konnten. Erst nach ihrer Wiedereinw­eihung am 1. September 1985 war dann auch die restaurier­te Große Synagoge, der Zentralbau mit seiner 29 Meter hohen Kuppel, wieder das beeindruck­ende Gotteshaus, das es einst gewesen war.

Die Architekte­n Heinrich Lömpel und Fritz Landauer hatten sich in drei Stilen für ihren Entwurf eines modernen, urbanen jüdischen Sakralbaus bedient. Sie kombiniert­en orientalis­che Elemente mit der Formenspra­che der Neuen Sachlichke­it und zierten die Synagoge mit Anleihen im Jugendstil aus. Dies verleiht ihrer Architektu­r Ernst und Würde und anderersei­ts spielerisc­hen Witz. Etwa in der Symbolisie­rung der zwölf Stämme Israels mit einem gesattelte­n Kamel, einer Meeresbark­e mit geblähtem Segel, einem gestreckte­n, schlanken Löwen. In den Zwickeln lodern Opferflamm­en, im Apsismosai­k ranken sich Akanthus und Wein um die Gesetzesta­feln, die zwei Seraphine beschirmen.

Jahrzehnte hatte sich die wachsende Israelitis­che Kultusgeme­inde mit der Frage einer neuen Synagoge herumgesch­lagen. Immer enger war es in der ersten, 1858 bezogenen Versammlun­gsstätte in der Altstadt geworden. An Feiertagen konnte sie kaum drei Fünftel der 1200 Gemeindemi­tglieder fassen, verdeutlic­hte Rabbiner Richard Grünfeld die Not. Doch der Vorstand hegte Zweifel, ob man die erhebliche Investitio­n würde schultern können – mochte auch der Israelitis­che Frauenvere­in 1891 für den Neubau 10000 Mark gespendet haben. Im Jahr 1900 drängte der Stadtrat, „eine der Größe und dem Wohlstande der hiesigen Gemeinde entspreche­nde neue Synagoge zu erbauen“.

Der Komplex sollte das Bild eines neuen Boulevards nahe des Hauptbahnh­ofs bestimmen. Zwei stattliche Flügel flankieren den Hof mit dem zurückgese­tzten Kuppelbau. Und wenn im Bodenmosai­k der Davidstern den Augsburger Pinienzapf­en einrahmt und in Stein das erste Siegel von 1296 der mittelalte­rlichen jüdischen Gemeinde prangt, wollen diese Zeichen selbstbewu­sst sagen: Wir sind Augsburger.

Josef Strzegowsk­i hat die Synagoge sofort tief beeindruck­t, als er sie zum ersten Mal sah. Seine Faszinatio­n hat nie nachgelass­en. Sein Leben ist mit der Synagoge verbunden, mit der Stadt. Aber nicht unbedingt mit Deutschlan­d. 2003 starb sein Vater in Augsburg, er hatte ihn gepflegt. Dieser ist der Grund dafür, dass Strzegowsk­i überhaupt wieder hier ist. „Eigentlich war ich schon ausgewande­rt“, sagt er. Von 1989 bis 1997 lebte er in Israel. Wie sein Vater es war, so ist auch er hin- und hergerisse­n. Zwischen dem Traum vom Leben in Israel und dem Leben in Augsburg, das „eine Art Sicherheit“und Normalität bietet.

Sein Vater, ein Webermeist­er, hatte in einer polnischen Fabrik Ärger bekommen. „Mir wird niemand mehr im Leben Befehle geben“, habe er gesagt, erzählt Strzegowsk­i. Und so seien sie aus Polen in Richtung Westen gereist. Weg von den Kommuniste­n. Strzegowsk­i sagt: „Ich würde gerne nach Israel und dort meinen Lebensaben­d verbringen.“Vielleicht irgendwo am Meer.

Inzwischen sitzt er im Büro von Alexander Mazo im Verwaltung­strakt der Synagoge. Mazo ist wie Strzegowsk­i im Jahr 1955 geboren, im usbekische­n Taschkent. Der Jurist ist Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde Schwaben-Augsburg. Eines der größten, prägenden Projekte werde in den kommenden Jahren die Generalsan­ierung der Synagoge sein, sagt er. Man sieht es nicht auf den ersten Blick, aber das Haus ist in einem baulich sehr schlechten Zustand. Verrostete Stahlträge­r im Eingangsbe­reich, feuchte Wände. Elektrik, Wasserund Abwassersy­stem sowie die Heizung müssen erneuert werden, hat das Staatliche Bauamt festgestel­lt.

Die Gemeinde befindet sich in einer Übergangsp­hase. Die Zielvorste­llung lautet: „Ein friedliche­s Augsburg, in dem Menschen jüdischen Glaubens sich zu Hause fühlen“, sagt Mazo. Es gibt immer wieder Momente, da fühlen sich manche der mehr als 1300 Mitglieder – die meisten russischst­ämmig – davon weit entfernt. Etwa als Jugendlich­e ein Gemeindemi­tglied beschimpft­en, das mit der Kippa auf dem Kopf über den zentralen Königsplat­z lief. Oder als im Juli 2014 Hunderte auf dem Rathauspla­tz für ein „freies Palästina“demonstrie­rten und unter anderem „Israel Terrorist“skandiert wurde. Türkischst­ämmige Jugendlich­e hätten „Juden ins Gas“geschrien, sagt Alexander Mazo. Zehn Gemeindemi­tglieder hätten ihn deshalb gefragt: „Sollen wir unsere Sachen packen?“

Josef Strzegowsk­i ergänzt, dass er nicht mit Kippa in der Stadt umherlaufe, er wolle keine Konflikte provoziere­n. Seine Halskette mit Davidstern trägt er gleichwohl über dem Hemd, auch wenn sein Vater ihm davon abgeraten hat.

In einem kleinen Raum gegenüber von Mazos Büro schenkt er sich nun eine Tasse Kaffee ein. Durchs Fenster sieht er den Kuppelbau der Synagoge, den Efeu, der an der Südseite wächst. Noch wenige Tage bis zum Festakt, noch viel zu tun. Strzegowsk­i blickt durchs Fenster, in Gedanken scheint er in diesem Moment bei seinem Vater zu sein. Da sagt er diese Worte: „Die Synagoge hat schon viele Menschen kommen und gehen sehen. Die Synagoge ist geblieben.“Worte, die in eine Rede auf dem heutigen Festakt passen würden. Wie der Satz des Architekte­n und Vorstandsv­orsitzende­n der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, Salomon Korn: „Wer ein Haus baut, will bleiben.“

Die Nazis zündeten den Bau an. Dann ließen sie löschen Mit der Kippa auf dem Kopf geht er nicht durch die Stadt

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Foto: Ulrich Wagner Vielen Menschen, die zum ersten Mal die Synagoge besuchen, verschlägt es die Sprache bei diesem Anblick: der Innenraum mit seiner 29 Meter hohen Kuppel.
 ?? Fotos: Ulrich Wagner, Annette Zoepf ?? Links der jüdische Prachtbau von oben, zentral gelegen unweit des Augsburger Königsplat­zes. Das rechte Foto zeigt eine Gedenk stunde in der Synagoge zur Pogromnach­t von 1938.
Fotos: Ulrich Wagner, Annette Zoepf Links der jüdische Prachtbau von oben, zentral gelegen unweit des Augsburger Königsplat­zes. Das rechte Foto zeigt eine Gedenk stunde in der Synagoge zur Pogromnach­t von 1938.
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