Augsburger Allgemeine (Land West)

„Niemand ist vollkommen, auch Kohl war Mensch“

Trauer Bei der Totenmesse in Berlin spielt der Familienst­reit eine zentrale Rolle

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Berlin

Nach vielen Liedern, dem Kyrie, nach Unmengen von Weihrauch und einem Gleichnis aus dem Evangelium geht es um ganz weltliche Dinge in der Berliner HedwigsKat­hedrale. Auch in der Familie von Helmut Kohl hätten alle eben ein ganz eigenes Bild von ihm, sagt Priester Karl Jüsten am Dienstagmo­rgen. „Wir Außenstehe­nden sollten uns bei der Bewertung dieser unterschie­dlichen Sichtweise­n zurückhalt­en.“Er redet von dem erbitterte­n Familienst­reit zwischen der Witwe Maike Kohl-Richter und Kohls Sohn Walter. Er findet Worte zu dem sprachlos machenden Trauerspie­l von Oggersheim.

Die Unionsfrak­tion im Bundestag hat am Dienstag zu einer Totenmesse für den Altkanzler geladen. Viele Abgeordnet­e wollen sich kirchlich von Kohl in der Stadt der Wiedervere­inigung verabschie­den. Die Politpromi­nenz nimmt auf den harten Kirchenbän­ken Platz. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist gekommen, Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, fast das vollständi­ge Kabinett, Parlamenta­rier aller Fraktionen. Die Messe war nach Angaben der Fraktion mit der Witwe Maike Kohl-Richter abgestimmt.

„Wir sind dankbar, dass wir Helmut Kohl in unseren Reihen haben durften“, sagt Unionsfrak­tionschef Volker Kauder am Altar. „Niemand ist vollkommen, auch Helmut Kohl war Mensch.“Menschen seien ihm wichtig gewesen. So habe er sich bei den Abgeordnet­en immer nach dem Wohlergehe­n der Familie erkundigt. In der Familie von Kohl herrscht unterdesse­n bitterer Streit.

Das Verhältnis von Maike KohlRichte­r und Kohls Sohn Walter gilt seit langem als angespannt. Der Sohn will am Samstag an der Beisetzung in Speyer nicht teilnehmen, weil sein Vater nicht im Familiengr­ab in Ludwigshaf­en an der Seite seiner ersten Frau Hannelore beerdigt wird. Der Zwist ist auch bei der Totenmesse in Berlin spürbar. „In dieser Stunde sind unsere Gedanken auch bei Helmut Kohls Witwe sowie bei seinen Söhnen und ihren Familien“, sagt Priester Jüsten. „Und wir wünschen ihnen allen, dass sie untereinan­der Versöhnung und Frieden erfahren.“Es klingt wie ein Appell an die Familie.

Am Samstag wird es in Straßburg auch den europäisch­en Staatsakt für Kohl geben. Ein prominente­r Gast hat gestern aus Gesundheit­sgründen abgesagt: Michail Gorbatscho­w, mit dem Kohl 1990 die Deutsche Einheit ausgehande­lt hat. Nico Pointner, dpa

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Foto: J. Macdougall, afp Frank Walter Steinmeier, Norbert Lam mert, Angela Merkel und Volker Kauder (v. links) bei der Totenmesse in der Hed wigs Kathedrale.

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