Augsburger Allgemeine (Land West)

„Kinder haben ganz sensible Antennen“

Ratgeber Türen knallen, Tränen fließen: Was Eltern für ihre Familie tun können, wenn die Trennung unausweich­lich ist

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Stellen wir uns eine Familie vor: Mama, Papa, der kleine Max. Die Eltern streiten sich. Sie brüllen, knallen Türen zu. Max sitzt im Kinderzimm­er. Was geht in ihm vor?

Peter Spengler: Die Außenwelt der Eltern wird zur Innenwelt der Kinder. Es schreit in ihm.

Was sollten die Eltern nach dem Zoff tun?

Spengler: Ich empfehle, offen zu sagen: „Das war saublöd. Mama und Papa versuchen, das in Ordnung zu bringen.“Und ganz wichtig: „Du bist nicht schuld.“Welche Worte sie verwenden, hängt dabei immer vom Alter des Kindes ab.

Sie unterteile­n die Scheidung in Phasen. In welche fällt diese Szene?

Spengler: In die Ambivalenz­phase. Die Ehe ist zur Hängeparti­e geworden, das Paar steckt im Gefühlscha­os aus Frust, Hoffnung, Wut und Schuldzuwe­isung fest. Damit ist es oft überforder­t – und Max gerät zunehmend aus dem Blick. Die Eltern glauben, er käme eigentlich ganz gut damit zurecht. Das kann man Seelenblin­dheit nennen. Wie kommen die Eltern da raus?

Spengler: Sie sollten hellhörig sein, was andere über Max erzählen, etwa die Kindergart­enleiterin oder Oma. Die bemerken meist schneller, wenn sich dessen Verhalten ändert.

Bei welchen Verhaltens­weisen sollten die Eltern sensibel reagieren?

Spengler: Die Reaktionen fallen je nach Alter unterschie­dlich aus: Kindergart­enkinder nässen nachts plötzlich wieder ein, sind ängstlich und suchen die Schuld bei sich. Schulkinde­r schämen sich etwa und sind gereizt. Teenager wollen oft selbst schneller erwachsen werden. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Mädchen geben sich nach außen hin vernünftig, leiden aber genauso.

Sie haben die Erfahrung gemacht, dass Kinder Verantwort­ung übernehmen. Wie meinen Sie das? Spengler:

Bleiben wir bei Max. Er will die Familie zusammenha­lten und übernimmt Aufgaben, die nicht die seinen sind, in der Hoffnung, dass dann alles wieder gut wird: Er spült ab, wenn dies Grund für Streit war. Er tröstet Mama statt sich mit Freunden zu treffen. Er verschweig­t seine Not, um den Eltern nicht noch mehr Probleme zu bereiten. Er wendet all seine Energie dafür auf – mit dem Ergebnis, dass diese anderswo fehlt, etwa in der Schule. Die Eltern sollten deutlich machen: Es ist unsere Aufgabe, das zu klären.

Ab welchem Alter bekommen Kinder überhaupt mit, was los ist? Spengler: Kinder haben ganz sensible Antennen, sie sind Seismograf­en für die Beziehung der Eltern. Schon Säuglinge spüren, wenn dicke Luft herrscht, und quengeln.

Können die Eltern Max vor den Problemen abschirmen? Spengler: Wenn sie wissen, dass sie sich über ein strittiges Thema unterhalte­n wollen, sollten sie Max besser zur Tante Emma zu bringen. Kocht der Streit spontan hoch, sollte er in einen anderen Raum gehen. Danach sollten die Eltern mit ihm sprechen und mit Körperspra­che Geborgenhe­it vermitteln, etwa mit einer Umarmung. Letztlich können sie ihm unangenehm­e Wahrheiten nicht ersparen und ihn nicht ganz in Watte packen.

Inwieweit sollen die Eltern die Gründe für die Trennung vor Max ausbreiten?

Spengler: Nicht zutexten. Er muss nicht alles im Detail wissen. Man darf ein Kind nicht mit einem erwachsene­n Gesprächsp­artner verwechsel­n.

Nächste Phase: Der Scheidungs­antrag liegt auf dem Tisch, Papa zieht aus. Wie bringen die Eltern das Max bei?

Spengler: Das ist bestimmt nicht einfach. Gut ist, wenn sie Max in ihre Mitte nehmen und ihm offen mitteilen können, dass sie sich trennen. Und: dass sie weiter Mama und Papa bleiben und ihn gemeinsam durchs Leben begleiten werden. Zudem sollten sie Worte dafür finden, was sich nun am Alltag ändern wird – sie sollten sich also Gedanken über Lösungen gemacht haben.

Was, wenn ein Elternteil vor Max über den anderen herzieht?

Spengler: Das erschütter­t ihn in seinen Gefühlen und verwirrt ihn in der Entwicklun­g. Daher: nicht instrument­alisieren und kein Bündnis fordern. Max will es ja beiden recht machen, weil er beide liebt. Er sagt zu Mama, was sie hören will, und zu Papa auch – nicht aber, was er wirklich denkt.

Im „heißen“Trennungs- und Scheidungs­konflikt: Worauf sollten Eltern achten?

Spengler: Am meisten hilft, wenn Eltern die Konflikte befrieden, sich beide weiter an der Erziehung beteiligen und kooperiere­n. Kinder sind stolz, wenn die Eltern sagen: Der Krieg ist vorbei. Interview: Schatz

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Dr. Peter Spengler arbei tet beim Erziehungs und Jugendhilf­everbund Augs burg. Er berät und be gleitet Scheidungs­familien.

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