Augsburger Allgemeine (Land West)
75 Jähriger am Gleis: ICE muss notbremsen
Polizei Der Lokführer befürchtet das Schlimmste. Ein Jäger entdeckt den unverletzten Senior nach großer Suchaktion mit einem Polizeihubschrauber
Dinkelscherben Er wirkte völlig verwirrt und orientierungslos: Ein 75-jähriger Mann aus dem westlichen Landkreis saß am Mittwochabend auf Höhe der Bahnunterführung Grünenbaindt kurz vor Dinkelscherben am Bahngleis. Der Lokführer eines anfahrenden ICE erkannte ihn und leitete sofort eine Notbremsung ein. Der Mann an der Spitze des Hochgeschwindigkeitszugs ging vom Schlimmsten aus.
Die Reisenden in dem voll besetzten ICE, der von Stuttgart nach München unterwegs war, wurden durch das Bremsmanöver nicht verletzt. Das wäre allerdings durchaus möglich gewesen, wenn der Zug Spitzengeschwindigkeiten erreicht hätte. Im kurvigen Bereich zwischen Freihalden und Dinkelscherben fahren die Züge langsamer – zum Glück. Denn entsprechend kürzer war der Bremsweg: Er dürfte weniger als 1000 Meter betragen haben. Der Kilometer ist laut Bahnpolizei normalerweise die Regel bei den Zügen, die bei zwei Triebwagen und zwölf Mittelwagen je nach Baureihe eine Länge von bis zu 400 Metern haben.
Der Mann läuft in den nahegelegenen Wald
Der Lokführer, der mit der Schnellbremsung gegen 18.40 Uhr einen sogenannten Achtungspfiff abgegeben hatte, sah den Senior noch in den nahegelegenen Wald laufen. Trotzdem ging er davon aus, dass der Mann vom Zug erfasst und verletzt worden war. Sofort wurde eine Suchaktion gestartet. Ein Polizeihubschrauber hielt aus der Luft Ausschau, am Boden suchten Kräfte der Polizeiinspektion Zusmarshausen und Feuerwehrmitglieder der umliegenden Gemeinden. Während des Einsatzes war die Bahnstrecke gesperrt. Der Lokführer stand unter Schock und musste abgelöst werden.
Die Bahn entschied sich kurz vor 19 Uhr, alle weiteren Züge aus Richtung Ulm bis Burgau fahren zu lassen und von dort einen Ersatzverkehr mit Bussen einzurichten. Die Züge aus Richtung Augsburg endeten in Dinkelscherben. Die Fahrgäste im voll besetzten ICE sollten ebenfalls mit Bussen nach Augsburg gebracht werden. Dank des ErsatzLokführers konnten sie dann auf ihren Sitzen bleiben: Der ICE setzte seine Fahrt fort.
Gegen 20 Uhr dann der entscheidende Hinweis: Ein Jagdpächter meldete sich bei der Polizei, dass er im Wald einem älteren, offenbar verwirrten Mann begegnet sei. Der Jäger hielt den verwirrten Senior fest und übergab ihn der Polizei. Ein Notarzt stellte fest, dass der 75-Jährige unverletzt war. Der Leiter der Polizeiinspektion Zusmarshausen, Raimund Pauli, sagte: „Nachdem bei einem solchen Szenario ein suizidaler Hintergrund nie gänzlich ausgeschlossen werden kann, musste der 75-Jährige vorsorglich zur fachärztlichen Untersuchung in eine Klinik eingewiesen werden.“
Die Bundespolizei prüft derzeit, ob ein Bußgeldverfahren gegen den Senior eingeleitet wird. Nach dem Strafgesetzbuch ist sogar eine Freiheitsstrafe möglich: Bei einem gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr drohen sechs Monate bis zu zehn Jahren.