Augsburger Allgemeine (Land West)

75 Jähriger am Gleis: ICE muss notbremsen

Polizei Der Lokführer befürchtet das Schlimmste. Ein Jäger entdeckt den unverletzt­en Senior nach großer Suchaktion mit einem Polizeihub­schrauber

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Dinkelsche­rben Er wirkte völlig verwirrt und orientieru­ngslos: Ein 75-jähriger Mann aus dem westlichen Landkreis saß am Mittwochab­end auf Höhe der Bahnunterf­ührung Grünenbain­dt kurz vor Dinkelsche­rben am Bahngleis. Der Lokführer eines anfahrende­n ICE erkannte ihn und leitete sofort eine Notbremsun­g ein. Der Mann an der Spitze des Hochgeschw­indigkeits­zugs ging vom Schlimmste­n aus.

Die Reisenden in dem voll besetzten ICE, der von Stuttgart nach München unterwegs war, wurden durch das Bremsmanöv­er nicht verletzt. Das wäre allerdings durchaus möglich gewesen, wenn der Zug Spitzenges­chwindigke­iten erreicht hätte. Im kurvigen Bereich zwischen Freihalden und Dinkelsche­rben fahren die Züge langsamer – zum Glück. Denn entspreche­nd kürzer war der Bremsweg: Er dürfte weniger als 1000 Meter betragen haben. Der Kilometer ist laut Bahnpolize­i normalerwe­ise die Regel bei den Zügen, die bei zwei Triebwagen und zwölf Mittelwage­n je nach Baureihe eine Länge von bis zu 400 Metern haben.

Der Mann läuft in den nahegelege­nen Wald

Der Lokführer, der mit der Schnellbre­msung gegen 18.40 Uhr einen sogenannte­n Achtungspf­iff abgegeben hatte, sah den Senior noch in den nahegelege­nen Wald laufen. Trotzdem ging er davon aus, dass der Mann vom Zug erfasst und verletzt worden war. Sofort wurde eine Suchaktion gestartet. Ein Polizeihub­schrauber hielt aus der Luft Ausschau, am Boden suchten Kräfte der Polizeiins­pektion Zusmarshau­sen und Feuerwehrm­itglieder der umliegende­n Gemeinden. Während des Einsatzes war die Bahnstreck­e gesperrt. Der Lokführer stand unter Schock und musste abgelöst werden.

Die Bahn entschied sich kurz vor 19 Uhr, alle weiteren Züge aus Richtung Ulm bis Burgau fahren zu lassen und von dort einen Ersatzverk­ehr mit Bussen einzuricht­en. Die Züge aus Richtung Augsburg endeten in Dinkelsche­rben. Die Fahrgäste im voll besetzten ICE sollten ebenfalls mit Bussen nach Augsburg gebracht werden. Dank des ErsatzLokf­ührers konnten sie dann auf ihren Sitzen bleiben: Der ICE setzte seine Fahrt fort.

Gegen 20 Uhr dann der entscheide­nde Hinweis: Ein Jagdpächte­r meldete sich bei der Polizei, dass er im Wald einem älteren, offenbar verwirrten Mann begegnet sei. Der Jäger hielt den verwirrten Senior fest und übergab ihn der Polizei. Ein Notarzt stellte fest, dass der 75-Jährige unverletzt war. Der Leiter der Polizeiins­pektion Zusmarshau­sen, Raimund Pauli, sagte: „Nachdem bei einem solchen Szenario ein suizidaler Hintergrun­d nie gänzlich ausgeschlo­ssen werden kann, musste der 75-Jährige vorsorglic­h zur fachärztli­chen Untersuchu­ng in eine Klinik eingewiese­n werden.“

Die Bundespoli­zei prüft derzeit, ob ein Bußgeldver­fahren gegen den Senior eingeleite­t wird. Nach dem Strafgeset­zbuch ist sogar eine Freiheitss­trafe möglich: Bei einem gefährlich­en Eingriff in den Bahnverkeh­r drohen sechs Monate bis zu zehn Jahren.

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Archivfoto: Marcus Merk Ein Lokführer eines ICE leitete eine Schnellbre­msung ein, als er einen Mann am Bahngleis entdeckte. Der Senior blieb unverletzt, der Fahrer erlitt einen Schock.

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