Augsburger Allgemeine (Land West)
Eine Enthauptung, die man nicht sehen will
Sakralkunst Um ein barockes Altargemälde tobt seit Monaten ein Kampf: Soll es ins Depot oder wieder in eine Kirche?
Die Darstellung ist nichts für empfindsame Gemüter: Der Henker hat soeben getan, was seines Amtes ist. Von seinem Schwert tropft das Blut, mit der ebenfalls blutbeschmierten Linken legt er das abgeschlagene Haupt auf einer Schale ab. Vor ihm liegt der kopflose Leichnam des Gerichteten. Die beiden Frauen, die die Schale reichen, wirken alles andere als entsetzt, eher befriedigt über die vollzogene Hinrichtung. So stellt sich das barocke Gemälde „Die Enthauptung von Johannes dem Täufer“dar, um das in der Gögginger lutherischen Dreifaltigkeitskirche seit Monaten ein Kampf tobt.
Was soll geschehen mit dem monumentalen Kunstwerk in den Maßen 1,70 mal 2,80 Meter? Alfred Hausmann meint, es solle unbedingt weiterhin öffentlich zu sehen sein. „Denn es ist ein typisches Augsburger Barockbild“, sagt der engagierte Heimatforscher. Und zwar möglichst in einer Kirche, die dem heiligen Johannes dem Täufer geweiht ist. Hausmann fasst insbesondere die Johanneskirche in Inningen ins Auge. Sie gehört zum Gögginger Pfarrsprengel, dort wäre das Bild sozusagen zu Hause.
Jahrelang befand es sich auswärts in der Barfüßerkirche, 1969 kam es als Leihgabe dorthin und hatte an der hoch aufragenden Wand neben vielen anderen Gemälden auch gut Platz. Als im Jahr 2015 jedoch die Sanierung der gotischen Backsteinhalle anstand, ließ die Barfüßergemeinde erkennen, dass sie die „Enthauptung Johannis“wieder nach Göggingen zurückgeben wolle. Bei den Bauarbeiten wurde es wie alle anderen Bilder zum Schutz zunächst verkleidet, aber am 9. August 2016 trugen Bauarbeiter es kurzerhand in die Werkstätte der Restauratorin Charlotte Deininger. Diese liegt gleich um die Ecke am Hinteren Lech. Einen offiziellen Auftrag, das wuchtige Gemälde aus dem Besitz der Dreifaltigkeitsgemeinde zu sanieren, erhielt Deininger erst sehr viel später am 20. März 2017.
Dazwischen wogte ein Streit, der im Augsburger Südwesten immer noch Nachbeben erzeugt. Der Kirchenvorstand der Gögginger Dreifaltigkeitsgemeinde sieht keine Verwendung für das riesige Gemälde. „Wir haben im Kirchenvorstand so gut als möglich alle Positionen abgeklärt“, beteuert dessen Vertrauensfrau Beate Schabert-Zeidler. Kein erwogener Standort kam zur Hängung infrage. In der Johanneskirche hätte man auf der Empore die Bänke verkürzen müssen, sagt sie. Und in der Sakristei stünde das ehemalige Altargemälde bis zum Boden und riefe eine „bedrückende“Atmosphäre hervor. „Es ist kein Bild für einen Zwölf-Quadratmeter-Raum“, findet Schabert-Zeidler. Dazu käme noch das erhöhte Risiko, das derart platzierte Bild könnte durch eine Unachtsamkeit beschädigt werden. Mithin beschloss der Kirchenvorstand, das Gemälde ins Kunstdepot der Landeskirche zu geben.
Die Gegner dieses Planes wettern mit starken Worten. „Depots sind die Friedhöfe der Kunst. Unser Bild wird für lange Zeit oder für immer in der Münchner Gruft bleiben und ein zweites Mal aus dem Gedächtnis der Gemeinde verschwinden“, heißt es in einem Flugblatt. Alfred Hausmann als ihr Wortführer beschwört die Geschichte des Altargemäldes. Seinen ersten Standort hatte die „Enthauptung Johannis“unbestritten in der Johanneskirche am Dom, die 1808 abgebrochen wurde und nur noch in den wieder freigelegten Fundamenten existiert. 1689, so hat es Hausmann recherchiert, war die Pfarrkirche der Domgemeinde unter Bischof Christoph von Freyberg restauriert und mit barocken Altären ausgestattet worden. Das Gemälde gelangte in den Dom und später in den Dompfarrhof, dann in den Besitz des Grafen Edgar von Seyssel d’Aix, der es 1931 seiner Gögginger Dreifaltigkeitskirche schenkte.
Das Bild hat schon einiges durchgemacht. „Es war ursprünglich sehr viel höher, sicher um fünfzig Zentimeter“, sagt Restauratorin Charlotte Deininger. Ein Bogen wurde gekappt und auch auf der Seite verschwand Bildfläche. Mehrmals wurde es repariert und restauriert, mit Firnis überzogen und übermalt. Zuletzt sei es „extrem verschmutzt“gewesen, sagt die Restauratorin. Sie hat einiges abgetupft und die Malschicht gefestigt. Ihrem Urteil zufolge ist das Gemälde von relativ guter künstlerischer Qualität, „vor allem die Person der Salome und des Henkers“. In anderen Bereichen falle das Gemälde ab. Welcher Künstler hat es gemalt? „Ich kann es nicht wirklich zuordnen“, so Deininger.
Mindestens drei Namen werden in der Literatur genannt: Chronist Paul von Stetten schrieb es 1788 Johann Heinrich Schönfeld zu, Kurator Gode Krämer von den Kunstsammlungen hält Johann Christoph Storer für möglich, Alfred Hausmann favorisiert Jonas Umbach, weil es im Vergleich mit dessen anderen Gemälden und Grafiken auffallende Übereinstimmungen gebe.
Stadtdekanin Susanne Kasch bestreitet gar nicht den Kunstwert des Bildes, hält es aber für „höchst blutig“, weshalb es kaum geeignet sei für Verkündigung und Katechese. „Sein Evangeliumsgehalt ist schwer zu verstehen“, meint sie. „Eine Kirchengemeinde besteht nicht nur aus Kunstliebhabern, sondern auch aus Familien mit kleinen Kindern“, bestärkt sie Pfarrerin Andrea Graßmann von der Dreifaltigkeitskirche. Ihr setzt der Streit um die „Enthauptung Johannis“ziemlich zu. Sie hat die Angelegenheit vom Vorgänger Stefan Kirchberger „geerbt“und ist derzeit die einzige Seelsorgerin.
Ein „unendlich langer Prozess“habe mit der Rückgabe des Gemäldes angefangen. „Wir sind fast daran zerbrochen“, deutet Pfarrerin Graßmann die Dramatik an. Es gebe Mitglieder im Kirchenvorstand, die nichts mehr davon hören wollen, so oft kam das Thema auf die Tagesordnung. Eine relativ kleine Gruppe – höchstens vier, fünf Leute – stehe einer großen Mehrheit gegenüber. Immerhin wurde das Geld für die Restaurierung des Bildes bewilligt – die unter den Aktivisten schon gesammelten 1400 Euro hätten nicht gereicht. Jetzt ist es transport- und einlagerungsfähig.
Alfred Hausmann gibt trotzdem nicht auf. Gewisse Hoffnungen setzt er aufs Diözesanmuseum St. Afra, dessen Leiterin Melanie Thierbach sich interessiert gezeigt habe. Auch in evangelisch Heilig Kreuz sei noch eine freie Wand; Pfarrer Andreas G. Ratz ahnt aber noch nichts davon.
Bauarbeiter trugen das Gemälde zur Restauratorin Pfarrerin Graßmann hat den Streit vom Vorgänger geerbt