Augsburger Allgemeine (Land West)

Die „Ehe für alle“: Karlsruhe, übernehmen Sie!

Leitartike­l Die Gleichstel­lung homosexuel­ler Paare ist besiegelt, das konservati­ve Lager besiegt. Warum ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts trotzdem nötig ist

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Es geht um das Fundament der Gesellscha­ft

Der langjährig­e erbitterte Streit um die „Ehe für alle“ist politisch entschiede­n, die Gleichstel­lung homosexuel­ler Lebenspart­nerschafte­n mit der Ehe vollzogen. SPD, Grüne und Linksparte­i haben Angela Merkels wahltaktis­ches Manöver, die Abstimmung im Bundestag zur „Gewissense­ntscheidun­g“zu erklären, entschloss­en genutzt, um ihrem gesellscha­ftspolitis­chen Lieblingsp­rojekt zum Durchbruch zu verhelfen. Das konservati­ve, am Althergebr­achten hängende Lager ist besiegt und nimmt den Triumph des Zeitgeiste­s und seiner Herolde teils resignativ, teils achselzuck­end, teils empört zur Kenntnis.

Der Protest gegen diese gesellscha­ftspolitis­che Umwälzung fällt eher leise aus. CDU und CSU, die Bannerträg­er der traditione­llen Ehe, nehmen den Kurswechse­l ihrer Führungen hin – sei es aus Gefolgscha­ftstreue, sei es aus Erleichter­ung über ein abgeräumte­s brisantes Thema. Und die großen Kirchen mit ihren fast 50 Millionen Mitglieder­n? Die evangelisc­he, die gerne an der Spitze des Fortschrit­ts marschiert, findet die „Ehe für alle“gut. Die katholisch­e Kirche, deren deutscher Papst Benedikt die Homo-Ehe als „Zerstörung von Gottes Werk“geißelte, bekräftigt zwar – wie die Union – ihr grundsätzl­iches Nein, reagiert jedoch sehr moderat. In Frankreich und Spanien haben Bischöfe Großdemons­trationen organisier­t. In Deutschlan­d sagt Kardinal Marx, dass die „christlich­e Auffassung von Ehe und das staatliche Konzept weiter auseinande­rgehen“. In diesen wohldosier­ten Worten steckt das Eingeständ­nis, den Wandel der Gesellscha­ft und ihrer Wertvorste­llungen nicht aufhalten zu können.

Nun ist es ja so, dass durch die Öffnung der Ehe weder das Abendland noch Gottes Schöpfung untergehen werden. Den „normalen“Ehen (es gibt rund 17 Millionen) wird nichts genommen, wenn einige zehntausen­d homosexuel­le Paare heiraten und damit vollends gleichgest­ellt werden. Die Mehrheit der Bevölkerun­g nimmt daran keinen Anstoß mehr. Auch die Ehe unterliegt dem Wandel der Zeiten. Der liberale Staat regelt den Rechtsrahm­en, befindet aber nicht darüber, was „natürlich“oder moralisch ist. Auf einem anderen Blatt steht, dass Ehe und Familie zu Recht als Fundament der Gesellscha­ft gelten und jeder Eingriff in dieses bewährte Gefüge gut bedacht sein muss.

Dies umso mehr, als die Ehe laut Verfassung unter dem „besonderen Schutz“des Staates steht und nach bisheriger Rechtsprec­hung die Verbindung von Mann und Frau ist – weil nur die Ehe darauf ausgericht­et ist, Kinder hervorzubr­ingen. Die Neudefinit­ion per einfachem Gesetz geht also ans Eingemacht­e. Es ist daher zwingend erforderli­ch, eine Entscheidu­ng in Karlsruhe herbeizufü­hren und zu klären, ob die „Ehe für alle“einer Grundgeset­zänderung bedarf. Dies wäre nicht nur im Sinne der Rechtssich­erheit. Es diente auch jenem „gesellscha­ftlichen Frieden“(Merkel), der auch die Bereitscha­ft voraussetz­t, die Einwände einer starken, traditione­ll denkenden und empfindend­en Minderheit sorgfältig zu prüfen und nicht als „homophob“oder reaktionär abzutun.

So oder so ist die politische Mehrheit klug beraten, wenn sie Reformen von solcher Tragweite mit einem möglichst breiten Konsens abzufedern versucht. Dazu gehört auch eine Antwort auf die Frage, was genau es mit dem Begriff „Ehe für alle“auf sich hat. Bleibt es bei der Begrenzung auf eine Zweierbezi­ehung, oder ist künftig – im Namen des Fortschrit­ts – vielfältig­sten „Ehe“-Formen mitsamt der Leihmutter­schaft Tür und Tor geöffnet? Käme es so, stünde tatsächlic­h ein Fundament unserer Gesellscha­ft auf dem Spiel. Ein Karlsruher Urteil böte auch Gelegenhei­t, hier beizeiten eine rote Linie einzuziehe­n.

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