Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Schatz in der schwäbisch­en Höhle

Archäologi­e Hier hat man die „Venus vom Hohle Fels“ausgegrabe­n. Und den weltberühm­ten Löwenmensc­hen: Spektakulä­re Funde aus der Eiszeit haben einige Höhlen bei Ulm bekannt gemacht. Nun könnten sie Weltkultur­erbe werden. Obwohl sie nicht unbedingt danach a

- VON MARCUS GOLLING

Blaubeuren/Schelkling­en Nach getaner Arbeit kehren die Jäger zurück in die Höhle. Mit ihren Speeren haben sie einige Bisons erlegt, die durch das kühle und kaum bewaldete Achtal ziehen. Das Essen ist wieder für ein paar Tage gesichert. Während die Männer die Beute weiter zerlegen, sich um das Feuer kümmern oder auf ihren Knochenflö­ten spielen, zieht sich ein anderer Jäger in seine Ecke zurück. Mit einer scharfen Steinkling­e bearbeitet er ein Stück Elfenbein, so hart wie ein Zahn. Es beschäftig­t ihn schon seit Tagen. Die Beine und der Rüssel sind schon zu erkennen. Der Künstler – oder ist es eine Künstlerin? – schnitzt ein Mammut. Ohne zu ahnen, dass es einmal eine kleine archäologi­sche Sensation sein wird.

Rund 40 000 Jahre nach den Eiszeitmen­schen macht sich deswegen erneut eine Gruppe auf zur Schwäbisch­en Alb, zu der Höhle, die heute als Geißenklös­terle bekannt ist. Diesmal sind es aber keine Jäger, sondern ein paar Männer in Jeans und bequemen Schuhen, die zu der Höhle wandern. Ihre Route führt von der Blaubeurer Altstadt im Auto an ein paar alten Industrieh­allen und einem Tennisklub vorbei, dann zu Fuß über einen steilen Pfad durch ein Wäldchen den Hang hinauf. Der Archäologe und Museumspäd­agoge Hannes Wiedmann zeigt den Platz, wo später das Mammut und einige andere Objekte entdeckt wurden, die den Blick auf die Menschheit­sgeschicht­e nachhaltig verändert haben.

So sehr, dass das Geißenklös­terle und fünf weitere Höhlen kurz davor stehen, Weltkultur­erbe zu werden – und dann in einem Atemzug mit dem Taj Mahal, den Pyramiden von Gizeh und dem Kölner Dom genannt werden. Diese Aussicht lockt derzeit Journalist­en und Fachleute aus ganz Deutschlan­d in die Städte und Dörfer auf der Alb. Schließlic­h tagt das Unesco-Welterbe-Komitee gerade im polnischen Krakau. Seine Entscheidu­ng könnte die „Höhlen der ältesten Eiszeitkun­st“– gelegen unweit von Ulm im Achtal bei Blaubeuren und im Lonetal bei Langenau – weltberühm­t machen.

900 Seiten dick ist der Antrag, der vom baden-württember­gischen Landesamt für Denkmalpfl­ege zusammen mit Wissenscha­ftlern und dem Wirtschaft­sministeri­um erstellt wurde. Es gibt auch viel zu berichten über die schwäbisch­en Höhlen. Darin wurden im 20. und 21. Jahrhunder­t Funde gemacht, die internatio­nal Beachtung fanden: der Löwenmensc­h aus dem Hohlenstei­nStadel bei Asselfinge­n, die „Venus vom Hohle Fels“bei Schelkling­en, aber auch Tierdarste­llungen wie das kleine Mammut aus dem Geißenklös­terle bei Blaubeuren. Alle werden in die Jüngere Altsteinze­it, genauer gesagt in die Kulturstuf­e des Aurignacie­n, datiert, vor etwa 43000 bis 35000 Jahren. Es ist die Epoche, in welcher der moderne Mensch nach Europa kam. Venus, Mammut & Co. sind die ältesten bekannten Zeugnisse für figürliche Kunst überhaupt. Einige Flöten aus Knochen und Elfenbein, die dort entdeckt wurden, gelten als der weltweit älteste Beleg für Musik. Im heutigen Schwabenla­nd, so scheint es, machte die menschlich­e Kultur einen gewaltigen Sprung.

In den kommenden Tagen wird die Entscheidu­ng aus Krakau erwartet. Entspreche­nd gespannt ist man auf der Alb. „Die Aufregung ist groß, das spürt man“, sagt Wolfgang Koller. Bei dem Verwaltung­smann aus dem Landratsam­t AlbDonau-Kreis laufen in Sachen Eiszeitkun­st viele Fäden zusammen. „Welt-Kult-Ur-Sprung“heißt die Dachmarke, unter der sich verschiede­ne Interessen­gruppen zusammenge­funden haben: Kommunen, Museen, die Uni Tübingen, das badenwürtt­embergisch­e Landesamt für Denkmalpfl­ege, aber auch Heimatvere­ine und der regionale Tourismusv­erband. Alle hoffen sie auf ein positives Votum der Unesco.

Koller ist von Berufs wegen zurückhalt­end, aber guter Dinge. „Wir können hier Originale präsentier­en – und wir haben kurze Wege zu den Fundplätze­n“, sagt er. Die Venus und ein Großteil der Funde aus dem Achtal sind im Urgeschich­tlichen Museum (Urmu) Blaubeuren ausgestell­t, der Löwenmensc­h ist ein Prunkstück im Museum Ulm. Und bei Niederstot­zingen können Eltern und Kinder im „Archäopark Vogelherd“Feuer und grillen wie vor zehntausen­den von Jahren. Steinzeit für die Familie.

Die Höhlenakti­visten aus dem Ländle haben Grund zum Optimismus: Der Internatio­nale Rat für Denkmalpfl­ege (Icomos), der auch schon Vertreter auf die Alb entsandte, empfiehlt der Unesco, die Höhlen als Welterbe anzuerkenn­en. Was nicht selbstvers­tändlich ist: Der zweite deutsche Antrag, der in Krakau verhandelt wird, der Naumburger Dom und die hochmittel­alterliche Kulturland­schaft drum herum, ist nach Ansicht des Gremiums nicht titeltaugl­ich. Im Normalfall folgt die UN-Organisati­on der Einschätzu­ng der Denkmalsch­ützer. Die schwäbisch­en Höhlen erfüllen laut Icomos eine der Unesco-Vorgaben: Sie stellen ein „einzigarti­ges oder zumindest außergewöh­nliches Zeugnis von einer kulturelle­n Tradition oder einer bestehende­n oder untergegan­genen Kultur“dar. Claus-Joachim Kind vom Landesamt für Denkmalpfl­ege, der selbst mit einem Ausgrabung­steam im Lonetal Teile des berühmten Löwenmensc­hen ans Tageslicht brachte, gibt sich selbstbewu­sst. „Ich weiß, dass unser Antrag gut ist“, sagt er. Und verweist darauf, dass es kaum steinzeitl­iche Plätze unter den bisher mehr als 1000 eingetrage­nen Welterbest­ätten gebe. Es sei Ziel der Unesco, solche Lücken zu füllen. Sprich: Kathedrale­n und Schlösser gibt es schon genug auf der Liste. Schlecht für Naumburg, gut für die Alb.

Dort, genauer in Blaubeuren, ist die Wanderergr­uppe mittlerwei­le am Geißenklös­terle angekommen. Und die aufkeimend­e Eiszeit-Euphorie bekommt einen kleinen Dämpfer: Die potenziell­e WelterbeHö­hle ist nicht viel mehr als eine Nimachen sche im Kalkgestei­n, die eigentlich­e Höhlenhall­e ist schon vor tausenden Jahren eingestürz­t. Noch dazu liegt die Nische, in der noch ein Raster von dünnen Stahlseile­n von früheren Ausgrabung­en kündet, hinter einem meterhohen, von Stacheldra­ht gekrönten Gitter, das für normale Besucher versperrt bleibt. Archäologe Wiedmann erklärt: „Wir können nicht für so viele Leute die Höhle öffnen.“Auch wenn es der Laie zunächst nicht sehen mag: Es gibt hier etwas zu schützen. Denn bei früheren archäologi­schen Untersuchu­ngen wurde nicht der komplette Boden abgegraben. An den Rändern sind die Schichten noch intakt – und könnten weitere Artefakte enthalten. Was mit Blick auf die Unesco-Bewerbung wichtig ist: Die soll schließlic­h die Fundstelle­n für die Zukunft erhalten.

Das Geißenklös­terle mag von den sechs nominierte­n Höhlen die unspektaku­lärste sein, auch die anderen sind eher unscheinba­r. Außer der Hohle Fels bei Schelkling­en. 30 Meter hoch ist die Höhle, eine Kathedrale aus Kalkstein, selbst an trockenen Sommertage­n feucht und kühl. Jeden Sonntag können Touristen dieses Wunder bestaunen und sich von Höhlenbäre­n, Tropfstein­en und Eiszeitjäg­ern erzählen lassen. 9000 Besucher kommen im Jahr. Bisweilen sind es auch ganz besondere Gäste, wie einer der Höhlenführ­er erzählt. Frauen, die an diesem mythischen Ort die Energie der Erdgöttin spüren wollen.

Schuld daran ist ein Mann. Noch dazu einer, der so gar kein Esoteriker ist. Der Tübinger Archäologi­eProfessor Nicholas Conard, ein smarter Wissenscha­ftler in Jeans und Pulli, gräbt seit 1997 in der Höhle. 2008 machte er dort die bis heute wichtigste Entdeckung: die „Venus vom Hohle Fels“, ein kleines, unverkennb­ar weibliches Figürchen aus Mammutelfe­nbein. Derzeit ist wieder eines seiner Teams im Einsatz, überwiegen­d Studenten aus dem Ausland. Sie graben – oder besser kratzen und pinseln – rund um den Fleck, wo einst die Venus aus dem Dreck spitzelte. Nicht in der großen Halle, sondern im Eingangsbe­reich, in einer etwa vier Meter tiefen Grube. „Was da ist, werden wir finden“, sagt der aus den USA stammende Archäologe. „Aber wir sind noch am Anfang.“

Conard ist einer, der Begeisteru­ng wecken will und kann. „Diese Höhlen haben eine universell­e Bedeutung für alle Menschen auf der Erde. Wie die Pyramiden von Gizeh.“Er wünscht sich mehr Interesse für das Thema. „Die Leute sollen merken: Deutschlan­d ist nicht nur Autos, Bier, Nazis und Neuschwans­tein.“

Conards Neuschwans­tein-Vergleich mag augenzwink­ernd gemeint sein, aber natürlich nährt die Aussicht auf das Unesco-Siegel Hoffnungen im Tourismusg­ewerbe, vor allem aber bei den Museen, in denen die Funde präsentier­t werden. Stefanie Kölbl, Direktorin des Urgeschich­tlichen Museums Blaubeuren, hat sich umgehört. Anderswo, etwa in der Hamburger Speicherst­adt, seien die Besucherza­hlen um 40 Prozent und mehr gestiegen. Das Welterbe-Siegel ist ein mächtiges Marketing-Argument. Das weiß auch „Welt-Kult-Ur-Sprung“-Koordinato­r Koller: „Es gibt ausgemacht­e Unesco-Touristen.“Für die ist allerdings nicht überall so viel geboten wie in Blaubeuren, das mit der Altstadt und seinem Blautopf, der bekannten Karstquell­e, ohnehin ein beliebtes Ausflugszi­el ist. Im Lonetal hingegen, zwischen Langenau und Giengen an der Brenz, ist die Suche nach einem Restaurant oder Hotel bisweilen fast so schwierig wie eine archäologi­sche Ausgrabung.

Und wenn es nicht klappt? Wenn das Welterbe-Komitee Nein sagt zu den „Höhlen der ältesten Eiszeitkun­st“? Koller will sich selbst dann nicht entmutigen lassen: „Das Thema hat unabhängig von irgendwelc­hen Labels eine Strahlkraf­t.“Zumindest in Blaubeuren ist man auch ohne Siegel weitergeko­mmen. Zu den beiden Höhlen im Stadtgebie­t, dem Geißenklös­terle und dem Sirgenstei­n, werden demnächst neue Wege angelegt, damit die Besucher künftig bequemer die Hänge erklimmen können. Die Pfosten für neue Schilder stehen bereits. Ob auf diesen dann das Welterbe-Logo prangen darf, wird sich wohl bis zum Wochenende entscheide­n. Dass auf der Schwäbisch­en Alb Menschheit­sgeschicht­e geschriebe­n wurde, steht schon jetzt fest.

Das Taj Mahal, die Pyramiden – und die Alb Höhlen? Die Studenten kratzen und pinseln am Boden

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Foto: Stefan Puchner, dpa Sie wirkt wie ein Tor zu einer anderen Welt: „Hohle Fels“heißt die Höhle bei Schelkling­en, die in ein paar Tagen Weltkultur­erbe sein könnte.
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Foto: Marijan Murat, dpa Einer der berühmtest­en Funde aus den Eiszeithöh­len der Schwäbisch­en Alb: die „Ve nus vom Hohle Fels“, die älteste bekannte Menschenfi­gur.
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Fotos: Marcus Golling Einer, der für die Funde begeistern will: der Tübinger Archäologi­e Professor Ni cholas Conard.
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Insgesamt sind sechs Höhlen Teil der Unesco Bewerbung, auch der Sirgen stein bei Blaubeuren.

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