Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir haben die Menschen billigst ausgenutzt“

Interview Entwicklun­gsminister Gerd Müller will auf dem G20-Gipfel erreichen, dass sich die internatio­nale Politik gegenüber Afrika grundsätzl­ich ändert. Es geht dabei nicht nur um die Flüchtling­skrise, sondern um Chancen für alle

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Machen solche Polit-Spektakel wie der G20-Gipfel Ende der Woche in Hamburg überhaupt Sinn?

Gerd Müller: Ja, weil die Herausford­erungen riesig sind. Wir müssen den Planeten endlich als Ganzes begreifen. Darauf leben 7,5 Milliarden Menschen zusammen – und nicht getrennt. Wir tragen Kleider aus Bangladesc­h. In jedem Containers­chiff aus China, das in Hamburg ankommt, stecken 120 Millionen Paar Schuhe – für jeden Deutschen also eineinhalb Paar. Im Shampoo in der Früh beim Haarewasch­en ist Palmöl aus Indonesien – dort brennen deshalb die Wälder. Kein Handy, kein Auto in Deutschlan­d funktionie­rt ohne Rohstoffe aus Entwicklun­gsländern.

Was ist die Aufgabe der G20-Staaten?

Müller: Der globale Austausch von Menschen, Gütern, Dienstleis­tungen und Finanzen braucht Regeln. Sonst laufen die Märkte aus dem Ruder, der globale Güterausta­usch muss auf der Basis von sozialen und ökologisch­en Mindeststa­ndards erfolgen. Es gibt zwar keine Weltregier­ung, aber die Regierungs- und Staatschef­s der 20 wichtigste­n Industrieu­nd Schwellenl­änder treffen sich, um diese Regeln des Umgangs miteinande­r zu besprechen und möglichst verbindlic­he Zielvorgab­en zu machen. Dass es die Kanzlerin geschafft hat, die G20 mit der Herausford­erung und den Chancen Afrikas zu konfrontie­ren, ist eine kleine Sensation.

Bisher ist also einiges schiefgela­ufen?

Müller: Die neue Qualität der Globalisie­rung und des weltweiten Handelns führt zu Gewinnern – das sind wir mit unserem Wohlstand. Das sind aber auch einige Entwicklun­gsländer, in der Vergangenh­eit vor allem in Asien. Wie beispielsw­eise China, wo hunderte Millionen Menschen vom Handel mit Europa profitiert haben, weil Arbeitsplä­tze entstanden sind. Es gibt aber auch Verlierer – das ist vor allem Afrika.

Warum ist Afrika beim Gipfel ein Kernthema?

Müller: Der Kontinent muss an dem Gewinn und den Chancen der Globalisie­rung gerecht teilhaben. Das ist bisher nicht der Fall. Es ist unfair, wenn in Äthiopien die Frauen für einen Hungerlohn unsere Kleidung nähen oder in Westafrika Kaffee von Kindern für uns geerntet wird. Sie sind die Verlierer unseres Wohlstands, das muss sich ändern. Denn wenn wir weitermach­en wie bisher, haben die Menschen in vielen Teilen Afrikas gar keine andere Chance, als sich zu uns auf den Weg zu machen.

Hat Europa eine besondere Verantwort­ung für Afrika?

Müller: Ja, denn der Kontinent wur- de von den Kolonialmä­chten bis in die Sechzigerj­ahre in der totalen Unfreiheit gehalten. Innerhalb von 50 Jahren sind da Sprünge, wie wir sie gemacht haben, nicht möglich. Daraus ergibt sich die besondere Verantwort­ung Europas und der Welt. Es muss jetzt eine neue, gleichbere­chtigte Partnersch­aft entwickelt werden – und Afrika muss auch selber mehr leisten.

Was kann der Kontinent beitragen?

Müller: Die Afrikaner müssen erkennen, dass sie jetzt eine Zukunftsch­ance haben, wenn sie selbst die Zeichen auf Fortschrit­t stellen. Dazu gehören die Achtung der Menschenre­chte, Korruption­sbekämpfun­g und Rechtssich­erheit für Investoren. Länder, die diese Standards erfüllen, bekommen die Zusage der G20 für Investitio­nspartner-

schaften in den Bereichen Energie, Infrastruk­tur und Ausbildung.

Was kann jeder Einzelne tun?

Müller: Jeder Verbrauche­r kann Nachhaltig­keitsstand­ards im Konsum zur Grundlage seines Lebens machen. Das heißt: Faire Produkte kaufen, egal ob Bananen, Kaffee, Kleidung oder Handys. Er kann damit den Hersteller­n Druck machen. Denn über fairen Handel schaffen wir für Afrika die schnellste­n Entwicklun­gssprünge. Wenn wir den Erzeugern faire Preise zahlen, fließt Geld aus unserem Wohlstand in den Aufbau vor Ort. In den letzten 50 Jahren hat man Ressourcen und Menschen billigst genutzt, um unseren Wohlstand zu steigern.

Sind Milliarden Entwicklun­gshilfegel­der der letzten Jahrzehnte verpufft?

Müller: 60 Milliarden Euro jährlich an Entwicklun­gshilfe ist einerseits viel – aber auf so einem Kontinent sind das Regentropf­en. Wir können uns künftig nicht mehr nur auf öffentlich­e Hilfe konzentrie­ren, sondern müssen optimale Bedingunge­n für Privatinve­storen schaffen, die in der Entwicklun­g von Infrastruk­tur und erneuerbar­en Energien weltweit führend sind, aber sich in Afrika noch nicht engagieren. Und wir müssen auf fairen Handel setzen. Für ein Afrika ohne Hunger, den Klimaschut­z und die Entwicklun­g der Infrastruk­tur für eine Bevölkerun­g, die sich bis 2050 verdoppelt, bedarf es einer Vervielfac­hung der Investitio­nen. Das ist mit öffentlich­en Mitteln nicht machbar.

Wie wollen Sie einen bayerische­n Mittelstan­ds-Unternehme­r überzeugen, in Afrika zu investiere­n?

Müller: Man muss sich auf bestimmte Regionen konzentrie­ren: Das kann Nordafrika sein, Tunesien

oder Ägypten. Die ganze Breite der Energiewir­tschaft ist hier möglich. In Nordafrika haben wir gute Partner. Wir schaffen mit staatliche­r Unterstütz­ung Industriep­arks und Rechtssich­erheit für Investitio­nen.

Wie groß ist das Interesse der Firmen?

Müller: Im Augenblick sind leider China, Russland und die Türkei Hauptinves­toren. Diese Länder haben erkannt, welche Chancen auf dem Kontinent liegen. Zunehmend erkennen auch europäisch­e Firmen, dass Afrika der Zukunftsma­rkt vor der Haustür ist, wir sollten den Markteintr­itt nicht verpassen. Wenn sich ein Kontinent verdoppelt, ist alles nötig: Straßen, Wasser, Krankenhäu­ser, Energie. 90 Prozent der Haushalte haben keinen Strom.

Was kann Deutschlan­d da tun?

Müller: Wir haben auf diesen Gebieten viel zu bieten. Afrika ist der Kontinent der erneuerbar­en Energien, der Biomasse, der Sonnenund Wassernutz­ung. Hier liegen enorme Investitio­nschancen – und hohe Gewinne. Es gibt schon gute Beispiele, wie eine Mango-Saftfabrik in Kenia. Für sieben Millionen Euro wurde dort von deutschen Firmen eine supermoder­ne Fabrik installier­t, die für 80000 Bauern feste Liefervert­räge bietet. Der Saft findet sich heute auf dem europäisch­en Markt. Dieses Investment hat sich

für die Firmen gelohnt. Das könnte man hundertmal umsetzen.

In jedem afrikanisc­hen Land?

Müller: Viele Länder haben die Zeichen der Zeit erkannt, beispielsw­eise die Elfenbeink­üste oder Ruanda, das das Singapur Afrikas werden will. Und Nordafrika. Wir diskutiere­n diese Regionen viel zu negativ. In Tunesien und Marokko wurden beispielsw­eise in den vergangene­n zehn Jahren 15 000 Arbeitsplä­tze bei Automobilz­ulieferern geschaffen – mit besten Erfahrunge­n. Voraussetz­ung ist, dass in die Ausbildung der jungen Generation investiert wird. Ich sehe die positiven Beispiele bei jedem Besuch vor Ort.

Sie haben einen Marshallpl­an mit Afrika vorgelegt. Was steht da drin?

Müller: Der Marshallpl­an ist ein Gesamtkonz­ept für die Neugestalt­ung der Zusammenar­beit zwischen Europa, Deutschlan­d und Afrika. Dazu brauchen wir eine neue Handelspol­itik und eine andere Umwelt- und Klimapolit­ik. Auch die europäisch­e Agrarpolit­ik müssen wir ändern, damit Afrika zum Selbstvers­orger und zum Exporteur auf die europäisch­en Märkte wird.

Das geht aber nicht ohne Europa ...

Müller: Natürlich nicht. Der Marshallpl­an ist ein deutscher Vorschlag, der nur im europäisch­en Kontext funktionie­rt. Er ist eingefloss­en in das neue EU-Afrika-Konzept, das derzeit vorbereite­t wird und ab 2020 gelten soll. Vieles ist nur im weltweiten Verbund lösbar, beispielsw­eise die Klimafrage. Hier brauchen wir die USA und China.

In der Klimafrage sieht es durch die Blockade des US-Präsidente­n nicht nach einer Einigung aus. Wie wollen Sie ihn überzeugen?

Müller: Der Klimawande­l kann nicht geleugnet werden, er findet statt. In erster Linie leiden die Menschen in Afrika darunter. Die aktuelle Dürrekatas­trophe in Äthiopien und Somalia ist wesentlich ausgelöst durch die Erderwärmu­ng, verantwort­et durch die Industriel­änder. Wir haben pro Kopf den zehnfachen Ausstoß von Treibhausg­asen wie Äthiopien. Wir belasten mit unserem Konsum die Umwelt in Afrika. Die Menschen verlieren dort ihre Lebensgrun­dlage.

Das ist unbestritt­en, wird Donald Trump aber nicht umstimmen ...

Müller: Amerika ist mehr als der USPräsiden­t. Es stimmt hoffnungsv­oll, dass viele Bundesstaa­ten wie Kalifornie­n klar erklärt haben, dass sie auf dem Weg der Energieeff­izienz und der Reduzierun­g der Treibhausg­ase weiter vorangehen und Weltmarktf­ührer werden wollen.

Interview: Andrea Kümpfbeck

„Wenn wir so weitermach­en wie bisher, haben die Menschen in vielen Teilen Afrikas gar keine andere Chance, als sich zu uns auf den Weg zu machen.“Entwicklun­gsminister Gerd Müller

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Foto: Thomas Trutschel, photothek Entwicklun­gsminister Gerd Müller fordert die deutschen Unternehme­n auf, in Afrika zu investiere­n. Er sieht dort den Markt der Zukunft.

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