Augsburger Allgemeine (Land West)

Warum Vögel Kippen ins Nest legen

Studie Achtlos fallengela­ssene Zigaretten­stummel haben einen Nutzen: Vögel bauen sie in ihre Brutstätte­n ein, um sie vor Parasiten zu schützen. Und darin findet sich noch einiges mehr

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Augsburg

Zigaretten­stummel zum Schutz gegen Parasiten: Diese Taktik haben offenbar Finken für sich entdeckt. Mexikanisc­he Forscher haben in einem Versuch gezeigt, dass die Vögel Fasern von Zigaretten­filtern nicht zufällig als Nistmateri­al verwenden. Vielmehr reagieren die Vögel damit auf Zeckenbefa­ll in Nestern. Eine deutsche Expertin berichtet von ähnlichen Verhaltens­weisen heimischer Stare. Die nutzen Heilkräute­r und ätherische Ölpflanzen für den Nestbau – aber auch Plastik und Zigaretten­stummel.

In Mexiko setzten die Forscher lebende Zecken in zehn Nester, in zehn weitere legten sie tote Zecken, die zwölf übrigen blieben unbehandel­t. Tatsächlic­h sammelten vor allem jene Finken Zigaretten­filter, deren Nester von lebenden Zecken befallen waren, wie die Forscher im Journal of Avian Biology schreiben. Bislang war nicht klar, ob die Tiere die Fasern auch deshalb einsammeln, weil sie zum Beispiel besonders gut isolieren. Einen solchen Wärmeeffek­t stellten die Forscher nicht fest. Vielmehr konnten die Finken vermutlich eine Verbindung zwischen den Fasern und Zeckenfrei­heit herstellen. Einige Weibchen, die Fasern in präpariert­e Nester brachten, waren auch zuvor schon bei ihren ursprüngli­chen Nestern so vorgegange­n. Möglicherw­eise, so die Forscher, hätten die Vögel dies aus früherem Zeckenbefa­ll gelernt.

Helga Gwinner vom MaxPlanck-Institut für Ornitholog­ie in Seewiesen (das liegt zwischen dem Ammer- und dem Starnberge­r See) kennt vergleichb­are Verhaltens­weisen von heimischen Vogelarten. Eine Starenkolo­nie in Bayern habe sich auf Schafgarbe und andere ätherische Ölpflanzen als Nestmateri­al spezialisi­ert. Die Kräuter reduzieren das Bakterienw­achstum in den Nestern. „Die Stare suchen auf den Wiesen genau diese Pflanzen“, sagt Gwinner. Und offenbar nutzen die Männchen das Sammeln der Kräuter sogar, um die Weibchen zu beeindruck­en.

Auf die Tiere selbst haben die Kräuter einen positiven Effekt, sagt Gwinner: Vogeljunge, die in solchen Nestern aufwuchsen, waren schwerer, hatten bessere Blutwerte und bessere Chancen, wieder aus ihren Winterquar­tieren in Afrika zurückzuke­hren.

Bei ihrer Arbeit stellte die Expertin auch fest, dass Stare nicht nur Heilkräute­r in ihre Nester einbauen, sondern auch Müll. Vereinzelt fand auch sie Zigaretten­stummel – anscheinen­d riechen diese für die Vögel interessan­t und werden deshalb verwendet.

Als „Showeffekt­e“bezeichnet sie hingegen das Verbauen von Papier, Hobelspäne­n und Plastik. Damit wollten die männlichen Vögel ihren Partnerinn­en offenbar beweisen, dass sie einen Sinn für eine stimmige Inneneinri­chtung haben. Sophia Engel vom Landesbund für Vogelschut­z München kennt die Verwendung dieser Materialie­n auch.

Allerdings haben Plastikfet­zen ihrer Einschätzu­ng nach einen negativen Effekt auf die Vögel und insbesonde­re auf deren Nachwuchs. Denn durch das wasserdich­te Plastik kann Regenwasse­r nicht abfliealle­rdings ßen und staut deshalb sich im Nest. Dadurch kühlen die Eier schneller aus.

Für die mexikanisc­hen Finken könnte die Verwendung von Zigaretten­stummeln durchaus negative Folgen haben. Gwinner weist darauf hin, dass Zigaretten­stummel immer noch toxisch und negative Auswirkung­en auf die Küken denkbar seien. Grundsätzl­ich sind weggeworfe­ne Zigaretten­stummel Studien zufolge nicht nur ein ästhetisch­es Ärgernis, sondern auch ein Problem für die Umwelt. Die Filter aus Zellulosea­cetat-Fasern zersetzen sich erst nach Jahren. Benutzte Filter enthalten Giftstoffe wie Teer und Nikotin, die in Böden und Gewässer gelangen.

Allerdings beobachtet das Forscherte­am Finkennest­er in MexikoStad­t seit Jahren, ohne bisher langfristi­ge Schäden für die Vögel zu registrier­en. Das müsse allerdings noch genauer untersucht werden. Bis dahin könne der Einbau der Fasern in die Nester als eine Form von Selbstmedi­kation betrachtet werden.

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