Augsburger Allgemeine (Land West)

Verwehte Blätter

Ausstellun­g Kann die Kunst einem Raum, in dem die Wucht der Geschichte steckt, standhalte­n? Esther Glück wagt eine künstleris­che Interventi­on in der ehemaligen Synagoge Kriegshabe­r

- VON ANGELA BACHMAIR

Geht das? Kann man eine Synagoge, auch wenn sie nicht mehr zum Gottesdien­st genutzt wird, zum Kunstraum machen, zumal dann, wenn mit der Geschichte dieses jüdischen Betsaals und seiner Gemeinde so viel Gewalt und Terror, wenn damit der Holocaust in Verbindung steht? Diese Bedenken mögen die Leiterin des Jüdischen Kulturmuse­ums, Benigna Schönhagen, beschäftig­t haben, als sie den Entschluss fasste, die ehemalige Synagoge in Kriegshabe­r von Zeit zu Zeit für ein künstleris­ches Werk zu öffnen. Und auch als Besucherin war man nicht frei von der Sorge, die Kunst könne vor allem der Wucht der Geschichte nicht standhalte­n, die diesen Räumen an der Ulmerstraß­e nun einmal eingeschri­eben ist.

Doch – um das gleich vorweg zu sagen – es geht. Kunst in ein jüdisches Gotteshaus zu bringen, das geht dann, wenn man wie die Dachauerin Esther Glück sich auf die Aura dieser Räume einlässt, wenn man darin Spuren von Religion und Geschichte sucht, diese sichtbar macht und auf sensible Weise auf sie antwortet. Eine künstleris­che Interventi­on nennt Esther Glück das. Ihrer Herkunft aus dem Schreckens­ort Dachau ist es geschuldet, dass sie sich seit Jahren mit der Erinnerung an die NS-Zeit und deren Opfer beschäftig­t. Sie hat Arbeiten für das KZ-Außenlager Kaufering, für das Reichspart­eitagsgelä­nde Nürnberg, für Dachau geschaffen; im Textilmuse­um weist sie mit hemdartige­n Objekten auf die Ermordung der jüdischen Augsburger Textilfabr­ikanten Kahn und Arnold hin. Esther Glücks Arbeit ist nicht dokumentar­isch, sondern intuitiv-bildhaft, verrätselt, verstörend, anregend.

In der ehemaligen Synagoge Kriegshabe­r verteilt sie im ganzen Gebäude die verschiede­nsten Bildelemen­te, die fast alle scheinbar gar nichts mit dem Judentum und seiner Auslöschun­g durch die Nationalso­zialisten zu tun haben. Schon vor dem Haus, am Eingang, ruht ein übergroßer Apfel in einem Nest aus Holz und Draht. Drinnen im Haus entdecken die Besucher Äpfel, Pflanzen, Bienen, Laub und ein paar Gärtner-Gummistief­el. Sind wir jetzt in einem Garten gelandet? Ja, suggeriert uns Esther Glück – auch durch den Titel „Garten – Gan“– aber es soll ein Garten der Erinnerung sein, und sie lädt uns ein, uns ungeschütz­t, gewisserma­ßen nackt oder zumindest barfuß darauf einzulasse­n. Die Gummistief­el, ohnehin aus Leim und Seidenpapi­er, sind nämlich ohne Sohlen, wir sollen mit bloßen Füßen auf dem Boden (der historisch­en Tatsachen) stehen.

Die Künstlerin führt also die Natur in einen Ort voller Geschichte ein. Ein Ablenkungs­manöver? Eine Verniedlic­hung, eine Verleugnun­g des Schrecklic­hen? Man fühlt sich wie in Jenny Erpenbecks Roman „Heimsuchun­g“, wo der Gärtner, weil er sich um die Natur kümmert, als einziger unbeschade­t in einem Haus lebt, in dem die Gewaltgesc­hichte des 20. Jahrhunder­ts wütet. Aber so leicht lässt uns Esther Glück nicht davon kommen … An einer Tür klebt die Reprodukti­on des Abschiedsb­riefs, den Moriz und Lydia Einstein an ihre Tochter Liese geschriebe­n haben. Abgezählt wenige Worte auf einem Rot-Kreuz-Formular, einen Tag, bevor sie ins Vernichtun­gslager deportiert wurden. Liese hatten sie mit ihrem Bruder Siegbert nach England geschickt; nach Siegberts frühem Tod blieb sie als einzige ihrer Familie am weiß Gott schweren Leben. Ein von der Raumdecke hängendes Kinderklei­d aus Papier sagt uns, dass dieses Mädchen hier im Mittelpunk­t steht.

Man steht erschütter­t vor dem Abschiedsb­rief – dem einzigen Dokument der Rauminstal­lation. Hinter der halb offenen Tür liegen welke Blätter und man empfindet, wie fragil ein Menschenle­ben ist, wie leicht es von Gewalt zerstört, vom Wind verweht werden kann wie diese Blätter. Und jetzt liest man auch die Natureleme­nte anders, die Esther Glück hier angeordnet hat – den Teppich aus Efeu vom Jüdischen Friedhof, das winzige Vogelskele­tt, den verwundete­n und verbundene­n Baum, die Granatäpfe­l aus Seidenpapi­er und Gips sowie als echte Pflänzchen, die Bienen als Projektion im ehemaligen Thoraschre­in. Es sind Zeichen der Trauer, der man als Besucher in diesen Räumen nun gar nicht mehr ausweichen kann. Aber es sind zugleich Zeichen von Hoffnung, denn Geschichte findet ihre Antwort in der Gegenwart, und beides muss durch Erinnerung verbunden werden.

Darauf weisen nicht nur die Bienen, diese emsigen Lebensspen­der, im Thoraschre­in hin, sondern auch vom Gewölbe der Synagoge wehende Papierblät­ter. Es sind Arbeitsunt­erlagen der Mitarbeite­r des Jüdischen Kulturmuse­ums, des Teams, das sich heute um Erinnerung an das Judentum in Augsburg und Kriegshabe­r bemüht. Vielleicht sind unter diesen Blättern Briefe, mit denen die Nachfahren der in Tod oder Flucht getriebene­n jüdischen Augsburger zum 100-jährigen Jubiläum der Hauptsynag­oge eingeladen wurden? Liese Einsteins Tochter ist mit ihren Kindern dieser Einladung gefolgt; vergangene Woche war sie in Augsburg, und sie sah auch, wie Esther Glück aus der kleinen Kriegshabe­rSynagoge einen Garten der Erinnerung gemacht hatte. O

Laufzeit bis 17. September, geöffnet Do bis Sa 14 18 Uhr, So 13 17 Uhr.

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Foto: Tom Gottschalk Zum Garten der Erinnerung wird die ehemalige Synagoge Kriegshabe­r mit Esther Glücks Installati­on „Garten Gan“.
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Esther Glück

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