Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Würde zurückerobern
Interview Helen Hockauf hat Flüchtlings-Autobiografien analysiert. Dafür erhielt sie einen Preis
Gestern Abend verliehen die Universität Augsburg, das Forum Interkulturelles Leben und Lernen und die Stadt Augsburg im Goldenen Saal den Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2017. Den Preis erhielt Ilka Sommer für ihre an der Berliner Humbolt-Universität vorgelegte Doktorarbeit „Die Gewalt des kollektiven Besserwissens – Klassifikationskämpfe um die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen in Deutschland“.
Der Förderpreis ging an die Literaturwissenschaftlerin Helen Hockauf. Ihre Masterarbeit im Elitestudiengang Ethik der Textkulturen an der Universität Augsburg mit dem Titel „Die Präsentation von Flüchtlingen in der zeitgenössischen Literatur“wurde mit 1500 Euro prämiert.
Wir sprachen mit ihr über Fluchten, Menschenwürde und das Schreiben als ethischen Prozess.
Frau Hockauf, Sie haben zwei autobiografische Bücher von und eine deutsche Reportage über Flüchtlinge untersucht. Wie kamen Sie auf das Thema?
Helen Hockauf: Ich habe ja einen Bachelor in Theaterwissenschaft, war auch eine Zeit als Regisseurin bei dem Augsburger Bluespots-Ensemble aktiv. Ich denke, wenn Theater nicht nur Unterhaltung sein soll, sondern auch neue Perspektiven öffnet, kann es die Welt und den Blick auf sie verändern. Auch in der Masterarbeit war ich interessiert an neuen Perspektiven auf Flüchtlinge. Wir verbinden mit ihnen ja „Opfer“oder auch „Kriminalität“. Dabei sind sie zuerst sie selbst und haben umgekehrt auch einen Blick auf uns. Mich interessiert, wie Literatur an dieser Stelle auf Gesellschaft wirken kann.
Welche Autoren haben Sie ausgewählt?
Hockauf: In meiner Arbeit geht es um den Iraner Shahram Khosravi, der eine Auto-Ethnografie über seine Flucht in den 1980er Jahren verfasste. Sie erschien 2010. Khosravi floh als junger Mann vor den Islamisten nach Schweden und ist dort inzwischen Professor für Anthropologie. Sein Buch verbindet die Fluchterfahrungen mit seinem wissenschaftlichen Interesse an Grenzen, Identität und Staat. In seinem Buch wird deutlich: Grenzen zeigen, wer dazu gehört und wer draußen ist. Er beschreibt sein Anfangsleben in einem Lager in Nordschweden, über die Untätigkeit und die Entwürdigung, unselbstständig gehalten zu werden. Und über den ganzen kalten Schnee, in dem Dunkelhäutige wie er noch einmal mehr als „die anderen“auffallen.
Welche Folgen hatte das Schreiben für ihn?
Hockauf: Es war, genau wie bei dem anderen Autor, dem Kongolesen Emmanuel Mbolela, eine Strategie, aus der Demütigung und den Zuschreibungen auszubrechen, sich wieder als politisches Subjekt zu begreifen und zu zeigen. Ich nenne das „Schreiben als ethischen Prozess“. Die Produktion der Texte selbst und die Interaktion ihrer Literatur mit den Lesern gibt ihnen ihre Würde zurück.
Wie passt die Reportage des deutschen Journalisten zu diesen beiden?
Hockauf: Wolfgang Bauer begleitete Syrer über das Mittelmeer nach Europa. Auch er will über Flüchtlinge als Individuen informieren. Durch die Reise erhält er eine Art Binnenperspektive. Aber seine Geschichte hat eben nicht – wie die beiden Autobiografen – die Wiederherstellung der eigenen Würde zum Ziel.
Interview: Stefanie Schoene