Augsburger Allgemeine (Land West)

Mama, Mami und zwei Kinder

Gesellscha­ft Vor wenigen Tagen verabschie­dete der Bundestag die „Ehe für alle“. Wie sich das Standesamt vorbereite­t und wie zwei Frauen den weiten Weg zur gesellscha­ftlichen und rechtliche­n Anerkennun­g ihrer Liebe erlebten

- VON STEFANIE SCHOENE

Die Juristin Susanne Fischer und die Sozialarbe­iterin Lisa Schuster sind glücklich. „Es ist fast unglaublic­h. Noch vor einer Woche war diese Kehrtwende, um die so viele Menschen so lange gekämpft haben, ja noch gar nicht absehbar“, erklärt Schuster. Jetzt ist die „Ehe für alle“beschlosse­n. Ihre Lebenspart­nerin hatte allerdings schon früh eine Ahnung. Sie sagte schon am Tag nach der Äußerung von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die alles ins Rollen brachte: „Da geht jetzt was. Mit einer Blitzabsti­mmung einfach den anderen Parteien dieses wichtige Wahlkampft­hema wegnehmen – das wäre politisch wirklich schlau“. Mit politische­n Strategien und Wahlkampf kennt sich Fischer aus. Zwölf Jahre saß sie ab 2002 für die SPD im Augsburger Stadtrat. Heute arbeitet sie in Düsseldorf in einer Führungspo­sition einer Zeitarbeit­sfirma.

2002 – das war das Jahr, in dem sich für die beiden rechtlich einiges änderte. Sie ließen ihre Partnersch­aft offiziell eintragen. Erst eineinhalb Jahre zuvor hatte der Bundestag das Gesetz über die „Eingetrage­ne Lebenspart­nerschaft“verabschie­det. „Zu dem Zeitpunkt waren wir schon acht Jahre zusammen – die Partnersch­aft war ein logischer Schritt“, erinnert sich Lisa Schuster. Der Notar kam zu ihnen, 70 Gäste bezeugten die „Hochzeit“.

Wie viele Paare diesen Weg über den Notar gewählt haben, weiß der Leiter des Standesamt­es der Stadt nicht. „Darüber haben wir keine Statistik“, erklärt Karl Krömer. Zwischen 2012 und 2016 wurden dann 109 Lebenspart­nerschafte­n im Amt geschlosse­n. Ab Oktober, so seine Einschätzu­ng, könnten sich homosexuel­le Paare in Augsburg die Ehe verspreche­n. Er erwartet allerdings keinen Ansturm. Lisa Schuster und Susanne Fischer werden vermutlich auch diesen Schritt gehen – die Kinder wünschen sich eine große Hochzeitsp­arty.

Vor allem für Lisa Schuster war der Schritt zur offenen lesbischen Beziehung kein leichter. Als Jugendlich­e hatte sie ein paar Jungs, merkte jedoch, dass die Beziehunge­n nicht ideal liefen. Mit 20 ver- liebte sie sich in eine Kollegin – ohne dass sie es so hätte bezeichnen können. Sie dachte, sie wären befreundet. „Doch wir waren natürlich auch intim. Da, wo ich aufgewachs­en bin, gab es für diese Beziehung kein Wort. Ich war sehr katholisch und dachte, ich bin falsch“, erklärt die 51-Jährige das emotionale Chaos ihrer Jugendjahr­e. „Bei der Beichte erfuhr ich vom Priester, dass der Körper der Tempel Gottes ist und ich diesen Versuchung­en widerstehe­n müsste.“

Schließlic­h verschlug es sie nach München. Dort lernte sie „frei zu Sie traf auf schwule Männer und lernte, dass es auch andere Menschen mit ihren Gefühlen gab. „Das hat mich sehr gefestigt und ich hoffe, dass sich mit dem jetzigen Bundestags­beschluss noch einmal ein Bewusstsei­nswandel in der Gesamtgese­llschaft einstellt. Dass eine 20-jährige Bekannte verschämt die Betten in ihrer Frauen-WG auseinande­r stellt, sobald die Eltern zu Besuch kommen – diese Verstecksp­iele und Leidensges­chichten von Betroffene­n und ihren Angehörige­n müssen aufhören“, wünscht sich die Sozialarbe­iterin.

Auch den nächsten rechtliche­n Teilerfolg auf dem Weg zur vollen Akzeptanz Homosexuel­ler nahmen die beiden mit. Sie adoptierte­n 2004 und 2008 Fedjina (heute 17) und Angeline (11) aus Haiti. Jeweils zwei Jahre dauerten die rechtliche­n Verfahren, Seminare, psychologi­sche und finanziell­e Gutachten, bis die beiden Mädchen, die in Haiti in einem Heim gelebt hatten, in Göggingen ankamen. Wer die Eltern sind, ist bisher unbekannt. Zwar wurde rechtlich nur eine Person, Lisa Schuster, als adoptionsb­erechtigt anerkannt. Im Alltag jedoch ist Suatmen“. sanne Fischer ebenso „Mami“wie Schuster „Mama“. Auch sie unterschri­eb Zeugnisse, Proben und Entschuldi­gungen. „Nur bei der Eröffnung eines Sparkontos musste ich Lisa zu Hilfe holen“, erinnert sie sich. Als sich 2015 die rechtliche Gelegenhei­t bot, beantragte auch sie die Adoption. Sie durchlief das gesamte Verfahren inklusive der Gutachten noch einmal. Jetzt ist auch sie vor dem Gesetz Mutter. „Mit der „Ehe für alle“werden alle diese Hürden der Vergangenh­eit angehören“, erklärt Lisa Schuster erleichter­t: „Endlich!“

Newspapers in German

Newspapers from Germany