Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie schwäbisch ist Gersthofen?

Kultur Ein einheimisc­her Künstler beklagt: Im Kulturprog­ramm gibt es zu viele Oberbayern. Aber damit nicht genug: Die Stadt hat auch noch einen Weltmeiste­r im Schuhplatt­eln und Trachten aus Miesbach

- VON GERALD LINDNER

Ein Heimatvere­in, der Gebirgstra­cht trägt und in dem jungen Maximilian Riedl einen Weltmeiste­r im Schuhplatt­eln hatte; Bürger, deren Vorfahren aus Oberbayern, aber auch aus Hessen stammen: Ist die Stadt Gersthofen noch schwäbisch genug? Diese Frage hat ein Leser zumindest wegen des Gersthofer Kulturprog­ramms aufgeworfe­n, das ihm zu stark oberbayeri­sch geprägt ist. Bei näherer Betrachtun­g erweist sich eine Antwort allerdings als schwierig.

Nicht zuletzt die Veranstalt­ungsreihe „AUSerLESEN“von Kulturamt und Stadtbibli­othek hat den Unmut des Hirblinger Musikers und Künstlers Hans-Rainer Mayer erregt. Sie bietet in diesem Jahr nur oberbayeri­sche Gäste. „Der mangelnde Proporz zwischen Altbairisc­hem und Schwäbisch­en in Ihrem Unterhaltu­ngsprogram­m ist mir ein Ärgernis“, kritisiert Mayer nun in einem Schreiben an das Gersthofer Kulturamt.

Die Kulturvera­ntwortlich­en sollten zur Kenntnis nehmen, dass auch Gersthofen zu Schwaben gehöre und nicht zu Ober-, Niederbaye­rn oder gar zur Oberpfalz. Immerhin machten die Schwaben 17 Prozent der Bevölkerun­g des Freistaats Bayern aus. Mayer setzt sich seit vielen Jahren für seinen Heimatdial­ekt ein, hat sogar Rockhits ins Schwäbisch­e übersetzt.

Doch das mit dem schwäbisch­en Gersthofen erfordert differenzi­ertere Betrachtun­g. Zum einen liegt die Stadt an einer Dialektgre­nze: Wenige Kilometer östlich des Lechs im Landkreis Aichach-Friedberg finden sich noch altbairisc­he Sprache und Redewendun­gen. Und ausgerechn­et der Heimat- und Volkstrach­tenverein trägt alpenländi­sche Tracht, wie sie in der Region um Miesbach üblich ist. Und das habe seinen Grund, erklärt Vereinsvor­sitzender Armin Hoppmann: „Um 1900 wurden im Zuge der Industrial­isierung für den Bau des Lechkanals Arbeitsplä­tze geschaffen.“Diese hätten Arbeiter vor allem aus dem Alpenland angezogen. Und diese brachten dann ihre Gepflogenh­eiten und Bräuche mit. „Bei uns waren das halt die Miesbacher Tracht aus dem Wendelstei­ngebiet sowie das Schuhplatt­eln.“Im Schwäbisch­en habe es zuvor nur Volkstänze ohne die Schenkelkl­opfer gegeben, so der Trachtenve­reinsvorsi­tzende. „Bei der Gründung unseres Vereins 1920 hätten sich die Mitglieder eigentlich zur Pflege der schwäbisch­en Tracht verpflicht­et, aber das hat nie funktionie­rt“, sagt Armin Hoppmann. Und er hat eine Begründung: „Die Bayerisch-alpenländi­sche Tracht war für die Menschen einfach interessan­ter.“Denn die Region sei damals noch sehr ländlich geprägt gewesen. „Die schwäbisch­e Tracht war damals noch ein absolutes Alltagsgew­and, also nichts Besonderes.“

Auch Reinhold Dempf, Trachtenve­reins-Ehrenmitgl­ied und lange stellvertr­etender Vorsitzend­er in Gersthofen, hat sich mit Bräuchen und Kultur in seiner Heimatstad­t und der Region befasst. „Seit dem letzten Jahrhunder­t ergab sich bei uns eine Mischung von mitteldeut­scher und schwäbisch­er Kultur. So kamen viele Mitarbeite­r der damaligen Farbwerke Hoechst im heutigen Industriep­ark Gersthofen unter anderem aus Hessen und brachten ihre Gepflogenh­eiten mit.“Zudem hätten sich inzwischen viele internatio­nale Unternehme­n angesiedel­t – und Menschen vieler Kulturen mitgebrach­t. „Ein bisschen schwäbisch­e Kultur gibt’s in Gersthofen schon. Aber man orientiert sich im Grunde doch mehr an den größeren Nachbarn Augsburg und München“, so Dempf. „Da ist es auch nicht mehr sinnvoll, ein rein schwäbisch­es Inseldasei­n zu pflegen.“

Brauchtum und Trachten, so ist Trachtlerv­orsitzende­r Armin Hoppmann überzeugt, dürfe man nicht streng regional betrachten, sodass nur Oberbayern Gewänder, Tänze und Lieder aus Oberbayern und Schwaben solche aus Schwaben verwenden dürften.

Ingrid Gölitz, die Leiterin der Gersthofer Stadtbibli­othek erklärt, wie es zu der bayerisch geprägten Veranstalt­ungsreihe „AUSerLESEN“gekommen ist. „Zwei Abende mit oberbayeri­schen Gruppen habe ich vom Kulturamt vorgegeben bekommen, dann habe ich noch weitere engagiert, um eine kleine Veranstalt­ungsreihe anbieten zu können.“

Dass die schwäbisch­en Akteure nicht vernachläs­sigt werden, betont sie: „Wir hatten unter anderem auch schon Maxi Schafroth hier.“Ingrid Gölitz kann sich auch durchaus vorstellen, einmal eine Themenreih­e „Schwäbisch“anzubieten.

»Aufgefalle­n

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Archivfoto: Marcus Merk Maximilian Riedl aus Gersthofen war Weltmeiste­r im Schuhplatt­eln – einer zu nächst oberbayeri­schen, nicht schwäbi schen Tradition.

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