Augsburger Allgemeine (Land West)
Sex, Drugs und Leistungssport
Als der Libero dem Innenverteidiger noch nicht weichen musste, als Spielgestalter mit wehenden Mähnen aus der Tiefe des Raums das Feld eroberten, als also noch alles besser war: Gab es mehr Typen. Also richtige Typen. Sagt der angegraute Fan. Bei Betrachtung des Phänomens „richtiger Typ“fällt auf: Dezenter Hang zum Alkohol, gerne mal ein Kippchen. Basler, Effenberg, Borowka, Wuttke – alles richtige Typen. Im näheren Sinne ist der Griff zur Flasche keine Charaktereigenschaft, trotzdem wird der Hang zum Absturz gerne als Lackmus-Test für echte Typen angewandt. Je voller, desto typiger. Heute: KörnerSchlucker wie Thomas Tuchel. Weichgespülte Socialmedia-Jünger. Facebook statt Fernet Branca. Keine Persönlichkeiten mehr.
Vor diesem Hintergrund müssen die Fans nun André Breitenreiter danken. Der Trainer der Hannoveraner erlaubt seinen Spielern einen Lebenswandel, der unter leistungssportlichen Gesichtspunkten kritisch zu sehen ist. Seine Spieler dürfen Nutella auf die Semmel schmieren. Wer eine Zigarette rauchen will, soll er das bitte machen.
Nuss-Nugat-Creme! Nikotin! Was kommt als Nächstes? Übernachtungen im eigenen Bett, trotz der erhöhten Verletzungsgefahr bei nur semi-sportlichen Aktivitäten? Rock’n Roll! Die Spieler des niedersächsischen Aufsteigers werden die Lieblinge des Boulevards.
In Wirklichkeit unterscheidet die heutige Spielergeneration schon jetzt wenig von den vorhergegangenen. Früher wurde mehr getrunken, ja. Auch häufiger geraucht. Die Entwicklung zu einem durchgehend gesunden Lebenswandel hängt aber einzig an den Anforderungen des Leistungssports. Anders als zu Netzers Zeiten, ist der Hauch eines Katers heute nicht mehr zu verbergen. Genauso wie früher aber laufen heute gewitzte, bornierte, glatte und spießige Typen gleichermaßen über das Feld.
Dass nun die entfesselten Hannoveraner zumindest in der Vorbereitung das Leben enthemmter Rockstars leben, ist unwahrscheinlich. Breitenreiter hat sie an der Nordsee in Sankt Peter-Ording einkaserniert. Bettruhe um 23 Uhr. Alkohol? Absolutes Verbot. In Gänze scheint der Trainer seinen Spielern dann doch nicht zu vertrauen. Wie das halt so bei echten Typen ist.