Augsburger Allgemeine (Land West)
Was Feuerwehr und Polizei mit Gaffern erleben
Einsätze Autofahrer spazieren zum Unfall oder rauschen an Sperren vorbei: Einsatzkräfte entlang der Autobahn haben alles erlebt. Wenn sie sehen, wie sich manch ein Verkehrsteilnehmer verhält, macht sie das zum Teil zornig
Gersthofen
Manchmal kann Wolfgang Baumeister, Kommandant der Feuerwehr Gersthofen und Kreisbrandmeister im Landkreis Augsburg, seinen Zorn nur schwer zügeln: Wenn da ein Wagen im Weg steht und sein Feuerwehrauto nicht vorbeikommt. Wenn kein Fahrer in dem Wagen sitzt, weil dieser ausgestiegen und zum Unfall gelaufen ist. Wenn bei der Aussicht auf ein Handy-Video der gesunde Menschenverstand aussetzt. „Dann schäumen bei uns – je nach Charakter – schon mal Schimpfworte über. Das ist eine Stresssituation“, sagt der 52-Jährige.
Verstopfte Rettungsgassen und Gaffer sind Ärgernisse, welche die Menschen erzürnen und die doch weit verbreitet sind. Auch bei dem Busunglück am Montag auf der Autobahn 9 nahe Münchberg, bei dem 18 Menschen starben, wurden Rettungskräfte behindert. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat nun angekündigt, die Strafen noch einmal drastisch erhöhen zu wollen. Feuerwehrmann Baumeister blickt auf einige Negativ-Erlebnisse zurück. Er erzählt von Autos, die sich „an das Feuerwehrauto kleben“und einfach mit durch die mühsam gebildete Rettungsgasse fahren. „Und fährt einer durch, ziehen andere nach“, sagt der Kommandant. Für Rettungskräfte, die ein paar Minuten später kommen, sei die Straße dann wieder dicht.
Auch sein Neusässer Kollege, Kommandant Christian Kannler, sagt, dass die Rettungsgasse meist nicht funktioniere. Viele wüssten schlichtweg nicht, wohin mit dem Auto. Und stehe der Verkehr erst einmal still, sei es schwierig, einen Lastwagen von der Mittelspur zur Seite zu bekommen. „Manche Fahrer reagieren aber auch mit Unverständnis. Dabei haben wir nicht die Zeit, Diskussionen zu führen“, sagt Kannler. Dass nicht einmal Vollsperren Autofahrer davon abhalten, weiter zu fahren, hat Baumeister schmerzlich selbst erfahren: Er wurde vor ein paar Jahren angefahren. Ein Fahrzeug hatte auf der A 8 auf Höhe der Raststätte Edenbergen Feuer gefangen. Ein Transporter war an der Sperre vorbei gerauscht – und hatte Baumeisters Arm gestreift, der gerade ein Zeichen geben wollte. Der Spiegel des Transporters zersplitterte, der Arm war leicht verletzt. „Er hat gemerkt, dass er einen Fehler gemacht hat – und hat Gas gegeben.“
Um Fahrzeuge aus dem Weg zu räumen, kommt notfalls Muskelkraft zum Einsatz: Die Feuerwehrmänner haben schon Autos zur Seite geschoben oder gar getragen. „Einen Jeep hebt man aber nun mal nicht so einfach weg wie einen Corsa. Darum haben wir uns jetzt einen Wagen zugelegt, den wir unter das Auto schieben“, sagt Baumeister. Und noch weitere spezielle Geräte haben Feuerwehren nur wegen teils unwissenden, teils skrupellosen Fahrern angeschafft. Etwa einen Rollwagen, mit dem die Rettungskräfte ihre Geräte im Ernstfall zu Fuß zum Unfallort schieben können. Oder einen Sichtschutz, mit dem sie Unfallopfer vor Gaffern auf der Gegenfahrbahn abschirmen. „Die Maßnahmen schränken unsere Bewegungsfreiheit manchmal ein, sind aber nötig“, sagt Kannler.
Wenn es um ein Menschenleben geht, nimmt die Feuerwehr in Kauf, ein anderes Auto zu beschädigen. Baumeister sagt: „Ein Fahrzeug stand im Weg, wir dachten: Da kommen wir schon noch vorbei. Am Ende war der Spiegel weg.“Meistens einigen sich Feuerwehr und Autobesitzer in solchen Fällen. „Genau genommen begehen wir aber Unfallflucht, wenn wir weiterfahren.“
Baumeister sagt, er habe sich nach der Bus-Tragödie viele Gedanken gemacht, was man tun könnte. Er ist skeptisch, ob höhere Strafen die gewünschte Wirkung haben. „Wie sollen wir die Straftaten beweisen? Wir können ja keine Kennzeichen aufschreiben, wenn wir zum Unfall müssen“, gibt er zu Bedenken.
Dieses Problem sieht auch Werner Schedel, Leiter der Autobahnpolizei Günzburg. „Die Rettungsmaßnahmen haben Priorität. Wir müssen koordinieren, den Unfall absichern und aufnehmen. Das Personal reicht nicht, um jemanden zu belehren.“Videoaufzeichnungen zu nutzen und erst später auszuwerten, sei eher Ausnahme als Regel. „Ein Hochsetzen der Bußgelder allein wird nicht ausreichen – es geht um die Umsetzung. Aber die Diskussion ist wichtig und setzt das Thema wieder auf die Agenda.“