Augsburger Allgemeine (Land West)

Mit neuen Milliarden und altem Konzept ins digitale Zeitalter

Leitartike­l Ministerpr­äsident Seehofer ersetzt ein nicht eingelöste­s Verspreche­n zum schnellen Internet durch ein noch größeres. Für ein eigenes Ministeriu­m reicht es nicht

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger allgemeine.de

Auf dem Land gibt es noch erhebliche Versorgung­slücken

Hubert Aiwanger, der Chef der Freien Wähler, gilt nicht unbedingt als Experte für Digitalisi­erung. Aber er kann ziemlich gut erklären, worum es im Kern geht. Auf die Frage, wie es denn bei ihm daheim im niederbaye­rischen Rahstorf mit dem schnellen Internet aussieht, antwortete er: „Ich schalt’ ein, geh’ Brotzeit machen, dann komm’ i’ wieder, dann is’ da.“

Das ist jetzt, zugegeben, schon ein paar Jahre her. Doch recht viel besser geworden ist es trotz zahlreiche­r Förderprog­ramme offenkundi­g nicht. Noch immer sind die Deutschen im Internet im Schnitt langsamer unterwegs als die Rumänen. Im weltweiten Vergleich verharrt Deutschlan­d bei der durchschni­ttlichen Verbindung­sgeschwind­igkeit auf Platz 22.

Das gilt im Prinzip auch für den Freistaat Bayern, der in solchen Dingen nach Ansicht der Staatsregi­erung eigentlich Weltspitze sein soll. Hier können bisher nur die Bürger in den Ballungsze­ntren zufrieden sein. In der Fläche zeigen sich noch erhebliche Versorgung­slücken. Ihr Verspreche­n, Bayern bis 2018 flächendec­kend mit Hochgeschw­indigkeits­internet (50 Mbit) auszustatt­en, konnte die CSU bisher nicht einlösen. Erst knapp drei Vierteln der Bürger steht ein solcher Anschluss zur Verfügung.

Nun unternimmt die Staatsregi­erung einen zweiten Anlauf. 2,5 Milliarden Euro wurden seit 2015 in die Digitalisi­erung gesteckt, davon 1,5 Milliarden Euro in den Ausbau des Breitbandn­etzes. Bis 2022 sollen es noch einmal drei Milliarden sein. Und das alte Verspreche­n wurde kurzerhand durch ein neues, weitaus größeres ersetzt. Bis 2025, so sagt Ministerpr­äsident Horst Seehofer, soll „die Infrastruk­tur für die Gigabit-Gesellscha­ft“geschaffen werden. Das bedeutet: 1000 Mbit.

Komplett kassiert hat Seehofer in seiner Regierungs­erklärung vor dem Landtag gestern eine andere Ankündigun­g, die ebenfalls im Bayernplan der CSU vor der letzten Landtagswa­hl gemacht worden war. Einen Digitalisi­erungsmini­ster, der die Kompetenze­n ressortübe­rgreifend bündeln sollte, wird es nun doch nicht geben.

Das mutet aus zwei Gründen seltsam an. Zum einen gilt es unter Experten als ausgemacht, dass ein derart herausford­erndes Projekt schon aus organisato­rischen Gründen in eine Hand gehört. Zum anderen steht das Weiterwurs­chteln in verschiede­nen Ministerie­n in krassem Gegensatz zur Rede von der „historisch­en Revolution“, die durch die Digitalisi­erung zu erwarten sei. Nun also soll eine einfache Stabsstell­e in der Staatskanz­lei ausreichen, um die Arbeit zu koordinier­en.

Immerhin durchgeklu­ngen ist in der Regierungs­erklärung, dass sich Staatsregi­erung und CSU über die Dimensione­n der Digitalisi­erung bewusst werden. Über die überragend­e Bedeutung für die wirtschaft­liche Entwicklun­g Bayerns sind sich alle einig. Erst am Anfang aber steht man mit Überlegung­en, was Digitalisi­erung für die Menschen im Beruf und in täglichen Leben bedeutet. Wie können sie fit gemacht werden für das digitale Zeitalter? Wie kann erreicht werden, dass die ältere Generation nicht abgehängt wird? Wie können die neuen Möglichkei­ten zum Wohle der Bürger genutzt werden – in der Medizin, in der Pflege, in der Bildung, in der Verwaltung? SPD und Grüne haben zu Recht darauf hingewiese­n, dass es hier noch weitaus mehr zu bedenken gibt.

Der Ausbau des Breitbandn­etzes freilich bleibt die Grundvorau­ssetzung. Aiwanger hat dazu wieder ein schönes Bild gefunden. Wenn das Glasfaserk­abel nur bis ins Dorf, aber nicht bis ins Haus reicht, dann ist das, als würde die Wasserleit­ung nur bis zum Dorfbrunne­n reichen und das Wasser müsste mit Eimern abgeholt werden.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany