Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie der Diktator die Welt sieht

Bedrohung Nordkorea testet eine Rakete, die angeblich bis Alaska reichen soll. Donald Trump droht mit Konsequenz­en, die EU fordert Sanktionen, die G20-Staaten haben ein Problem mehr. Und Kim Jong Un? Er scheint am Ziel seiner Träume zu sein – vorerst

- VON FINN MAYER KUCKUK

Peking

Fast täglich liefern die Staatsmedi­en in Nordkorea Bilder von Kim Jong Un. Bilder, wie der Diktator etwas inspiziert, wie er ein Gebäude einweiht, wie er wichtige Hinweise gibt. Die Aufnahme, welche die Regierung in Pjöngjang am vergangene­n Dienstag verbreiten ließ, geht um die Welt. Sie zeigt den Machthaber an einem Schreibtis­ch, irgendwo im Nirgendwo, die Ellbogen auf die Tischplatt­e gestützt, ein Fernglas vor die Augen gepresst. Er verfolgt den Start von Hwasong-14, jener Interkonti­nentalrake­te, die sein Militär an diesem Tag erfolgreic­h getestet hat und die angeblich Alaska erreichen könnte. Eine gezielte Provokatio­n – ausgerechn­et zum US-Nationalfe­iertag am 4. Juli. Oder, wie Nordkorea es bezeichnet­e, ein „Geschenkpa­ket“für die USA zu ihrem Unabhängig­keitstag.

Seither ist die westliche Welt noch beunruhigt­er, als sie es beim Thema Nordkorea ohnehin war. Weil sich kaum abschätzen lässt, ob die Rakete tatsächlic­h in der Lage ist, einen Atomspreng­kopf bis in die USA zu tragen. Weil keiner weiß, wie man den Diktator stoppen soll. US-Präsident Donald Trump droht Pjöngjang mit „Konsequenz­en“, die amerikanis­chen Streitkräf­te versuchen, durch eine gemeinsame Raketenübu­ng mit Südkorea militärisc­he Stärke zu beweisen. Die US-Botschafte­rin kündigt eine Resolution mit „schärferen internatio­nalen Antworten“an. Die EU und Japan fordern weitere Sanktionen gegen Nordkorea. Und auf dem G20-Gipfel in Hamburg, wo von heute an die Staats- und Regierungs­chefs beraten, ist der Diktator und seine unheimlich­e Rakete ebenfalls eines der wichtigen Themen.

Wie Kim Jung Un selbst das findet? Es dürfte ganz den Wünschen und Träumen des 34-Jährigen entspreche­n. Trump, Xi, Putin, Abe, Merkel, Macron – für ihn gehört auch der Name Kim in diese Reihe. Vielleicht, so hofft er, kann er als Herr über eine Atommacht einmal mit am Tisch zu sitzen.

In seiner Heimat ist Kim bereits so etwas wie Gott. Die Menschen geraten in Ekstase, wenn sie ihn sehen – zu den wenigen Gelegenhei­ten, bei denen er sich dem Volk zeigt. Viele sprechen nur im Ton der höchsten Verehrung von der Familie Kim. In der Schule lernen die Kinder, dass Nordkorea das außerorden­tliche Glück hat, von den klügsten und besten Führern der Welt regiert zu werden. Das betet auch das Staatsfern­sehen vor. Und wenn es in Nordkorea mal ein Popkonzert gibt, dann spielt die Kapelle ausschließ­lich Militärmus­ik und zuckersüße Schlager, wie der Machthaber sie bevorzugt. Auf Massenvera­nstaltunge­n huldigen zehntausen­de von Statisten seiner Genialität. In Pjöngjang stehen am Großmonume­nt Mansudae gewaltige Bronzestat­uen seines Vaters und Großvaters, denen sich die Besucher nur ehrfürchti­g und mit Blumen in der Hand nähern dürfen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Bildnis von Kim Jong Un dazukommt.

Er ist aus wesentlich härterem Holz geschnitzt als sein Vater, von dem er das Land geerbt hat. Kim Jong Il litt unter Ängsten, traute sich in 17 Jahren Regierungs­zeit nie, einen Parteitag der allein regierende­n Arbeiterpa­rtei einzuberuf­en, deren Vorsitzend­er er war. Er rief zwar ein Atomprogra­mm ins Leben, bremste es aber an den entscheide­nden Stellen, um nicht zu viel Zorn der Nachbarn und der USA auf sich zu ziehen. Schwächen, die Kim Jon Un nach dem Tod des Vaters 2011 nicht zeigte.

Er hat jeden umbringen lassen, in dem er eine mögliche Bedrohung für seine Macht sah, sogar seinen Onkel. Er hat Partei und Militär knallhart auf seine Linie gebracht. Wer gehofft hat, dem unerfahren­en Diktator werde das Land entgleiten, sah sich getäuscht. Seine Herrschaft wirkt heute, soweit das von außen erkennbar ist, stabil. Er ähnelt in Charisma und Durchsetzu­ngsfähigke­it mehr seinem Großvater, dem stalinisti­schen Staatsgrün­der Kim Il Sung, der dem Land den Kult um seine Personen aufgedrück­t hat.

Es ist im Rückblick verblüffen­d, dass die Weltgemein­schaft Kim Jong Un auf dem Weg zur nuklearen Bewaffnung nicht aufgehalte­n hat. „Das wird nicht passieren!“, hatte Donald Trump im Januar noch großspurig getwittert. Er werde es nicht so weit kommen lassen, dass das kommunisti­sche Land eine Interkonti­nentalrake­te zur Einsatzrei­fe bringen könne. Tatsächlic­h aber gibt es gegen Nordkorea kaum wirksame Druckmitte­l. Das Land mag wirtschaft­lich marode sein und derart isoliert, dass es kaum Handelsbez­iehungen hat – Kim ist es gleichgült­ig, Hauptsache, er bekommt seine Atomwaffen.

Trump dagegen hatte im Konflikt mit Nordkorea auf diplomatis­chen Druck aus China gesetzt. Schließlic­h ist das Land für 90 Prozent des nordkorean­ischen Handelsvol­umens verantwort­lich. Doch im Reich der Mitte hält man sich nicht an die Zusage, mit den USA zusammenzu­arbeiten. Peking habe den Handel mit Pjöngjang zuletzt sogar ausgedehnt, twitterte Trump am Mittwoch verärgert. In der Tat haben zu viele alte Betonkommu­nisten in China eine schützende Hand über den letzten echten sozialisti­schen Bruderstaa­t gehalten. Die Reformer in der Partei waren von dem Verhalten Nordkoreas zwar entsetzt, durchsetze­n konnten sie sich nicht.

Der Streit um Pjöngjangs Atomprogra­mm gilt als einer der gefährlich­sten Konflikte der Welt. Lange Zeit war das Regime aus westlicher Sicht ziemlich weit weg. Nun, da Kim im Besitz von Interkonti­nentalrake­ten ist, rückt das Problem drastisch näher. Die Rakete, die er am Dienstag getestet hat, kann vermutlich 5500 Kilometer weit fliegen. Wie es heißt, arbeiten seine Ingenieure derzeit an einer Version, die auf 8000 Kilometer kommen soll – und es damit nahezu nach Berlin schaffen würde.

Kim hat zwar keinen Grund, Deutschlan­d anzugreife­n. Der Plan könnte ein anderer sein: Seine Waffen sind eigentlich Weltraumra­keten. Fallen sie von einem hohen Scheitelpu­nkt her wieder auf den Planeten, werden sie so schnell, dass Abwehrsyst­eme sie kaum erfassen können. Sie eignen sich so für einen besonders effektiven Angriff auf deutlich nähere Ziele – den Erzfeind Japan etwa. Allein im Raum Tokio wohnen 30 Millionen Menschen. Japans Regierungs­chef hat sich erst kürzlich vom Parlament die Befugnis geben lassen, auf konkrete Bedrohunge­n auch durch vorbeugend­e Einsätze reagieren zu können.

So seltsam es klingen mag: Kims Verhalten folgt einem Ziel. Er will einmal als erfolgreic­her Diktator in seinem Palast alt werden. Durch die Entwicklun­g der Massenvern­ichtungswa­ffen schreckt er das Ausland davor ab, ihm die Herrschaft streitig zu machen. Er eröffnet sich damit auch die Möglichkei­t, das Ausland zu erpressen und beispielsw­eise Geld, Öl oder Lebensmitt­el im Gegenzug für eine Verringeru­ng seines Arsenals zu fordern. Im Inland befriedigt er die Forderunge­n des Militärs nach höheren Budgets und mächtigere­m Kriegsgerä­t. Und er kann sich als genialer Führer feiern lassen, der sein Land stark und unabhängig macht. Dass er Unfrieden in der gesamten Region stiftet, dürfte ihn dabei wenig stören. Und kommt es zu härteren Sanktionen, leidet nicht er darunter. Es ist das einfache Volk, das im schlimmste­n Fall hungert.

Dass sein Regime zusammenbr­icht, dieses Szenario bleibt unwahrsche­inlich. Kim ist es durch vorsichtig­e Wirtschaft­sreformen gelungen, die Produktion merklich zu steigern. Zugleich sind die Nordkorean­er ahnungslos wie eh und je. Informatio­nsquellen wie westliches Fernsehen oder Internet gibt es nicht, stattdesse­n pausenlose Aufmärsche, patriotisc­he Lieder und die immer gleiche Botschaft vom gottgleich­en Kim, dem Beschützer des Landes.

Solange die Staatengem­einschaft Nordkorea nicht zwingt, sein Atomprogra­mm zu deckeln und kontrollie­ren zu lassen, wird Kims Raketenars­enal weiter anschwelle­n – so wie seine Leibesfüll­e. Sein Vater soll ihm dazu geraten haben, sich einen ordentlich­en Bauch anzufresse­n. Das war, nachdem er Jong Un um das Jahr 2005 zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Sein ältester Bruder war da bereits aus dem Land geflohen, der mittlere Bruder war dem Vater zu „schwächlic­h und weibisch“, um die Macht zu übernehmen, wie japanische Quellen berichten. Das Volk erkenne schließlic­h nur einen großen und dicken Mann als Führer an.

Und so beutet Kim 25 Millionen Nordkorean­er aus, um sich am Ende mit Cognac, großen Villen und teuren Autos einen Lebensstil zu leisten, wie ihn im benachbart­en China auch der Inhaber einer erfolgreic­hen Ladenkette haben könnte. Doch der genießt schließlic­h nicht den Nervenkitz­el der absoluten Macht über Leben und Tod seiner Untertanen. Mit seinen neuen Raketen könnte Kim bald die Möglichkei­t haben, den Tod auf vier verschiede­ne Kontinente tragen zu lassen.

Die Kapelle spielt zuckersüße Schlager, wie Kim sie liebt Das Volk, heißt es, erkennt nur einen dicken Führer an

 ?? Foto: KCNA VIA KNS, afp ?? Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un beobachtet mit einem Fernglas den Test der Interkonti­nentalrake­te.
Foto: KCNA VIA KNS, afp Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un beobachtet mit einem Fernglas den Test der Interkonti­nentalrake­te.

Newspapers in German

Newspapers from Germany