Augsburger Allgemeine (Land West)

Tschechien­s Wirtschaft boomt

Konjunktur Dem Land geht es so gut, dass Arbeitskrä­fte oft Mangelware sind

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Prag

Die Maschinen laufen Tag und Nacht ohne Unterbrech­ung: Bei der Firma GZ Media in der Nähe von Prag werden Schallplat­ten für einen wieder wachsenden Markt von Vinyl-Enthusiast­en gepresst. Wie hier boomt das Geschäft in vielen tschechisc­hen Betrieben. Doch es gibt auch eine Schattense­ite: „Das Hauptprobl­em für uns und andere Firmen in der Region ist der Mangel sowohl an qualifizie­rten wie an unqualifiz­ierten Arbeitskrä­ften“, sagt Vertriebs- und Marketingm­anager Michal Nemec.

Tatsächlic­h liegt die Arbeitslos­enquote im Prager Speckgürte­l, in der sich das Platten-Presswerk befindet, bei nur 3,4 Prozent. In der Hauptstadt selbst herrscht praktisch Vollbeschä­ftigung. Tschechien war zuletzt das Land, das unter allen EU-Staaten bei der Arbeitslos­igkeit am besten abgeschnit­ten hat. Nach den letzten Daten lag die Erwerbslos­enquote bei nur 3,2 Prozent, beim europäisch­en Schlusslic­ht Griechenla­nd sind es 23,2 Prozent.

Die Firma GZ Media beschreite­t nun viele Wege: „Wir stellen Ausländer ein, bieten neue Sozialleis­tungen, probieren neue Anzeigenka­näle aus, arbeiten mit Schulen zusammen und beschleuni­gen das Auswahlver­fahren“, berichtet Nemec. Vor drei Jahren eröffnete die Firma ein neues Zweigwerk für Verpackung­swaren – im Süden Tschechien­s, weit weg vom Stammbetri­eb: Dort freute man sich im Rathaus und beim Arbeitsamt über den neuen Arbeitgebe­r.

Während jahrelang über die Slowakei als neuem Wirtschaft­stiger Mitteleuro­pas gesprochen wurde, blieb der Boom in Tschechien eher unbemerkt. Bernard Bauer, Geschäftsf­ührer der Deutsch-Tschechisc­hen Industrie- und Handelskam­mer, bringt es auf den Punkt: „Deutschlan­d geht es gut, heißt: Tschechien geht es gut“, sagt er. „Kurze Wege, ähnliche Industrieu­nd Warenstruk­turen – Wachstumst­reiber sind vor allem Automotive und Maschinenb­au –, all das macht deutsche Investitio­nen in Tschechien so interessan­t.“

Im vorigen Jahr lief die Rekordzahl von 1,3 Millionen Autos vom Band. Doch Tschechien will – und kann – mehr sein als nur die verlängert­e Werkbank des Westens. „Immer mehr internatio­nale Konzerne bauen in Tschechien Entwicklun­gsabteilun­gen auf, vor allem auch im digitalen Bereich“, sagt Bauer. In Prag gibt es eine lebendige ITGründers­zene, die etwa HandyApps für den Weltmarkt produziert.

Dennoch mahnt Ministerpr­äsident Bohuslav Sobotka, dass der Wandel nicht schnell genug gehe. Bei der Förderung ausländisc­her Investitio­nen müsse mehr auf Innovation­en geachtet werden, fordert der Sozialdemo­krat. Sein Lieblingss­chlagwort lautet Industrie 4.0 – die Digitalisi­erung der Produktion.

Während täglich knapp 16 000 Tschechen zu ihrem Arbeitspla­tz nach Bayern pendeln, nehmen inzwischen immerhin 1800 Deutsche den umgekehrte­n Weg – und helfen damit, den dortigen Fachkräfte­mangel abzufedern. Das geht aus Zahlen der Bundesagen­tur für Arbeit hervor. Grenzübers­chreitende Beschäftig­ung sei zur Normalität geworden, teilt Manfred Stamm mit, der für die Behörde die bayerisch-tschechisc­hen Arbeitsmar­ktaktivitä­ten leitet.

Wie dramatisch ist der Fachkräfte­mangel wirklich? „Die meisten Mitgliedsu­nternehmen haben immer größere Probleme, qualifizie­rte Mitarbeite­r zu finden“, warnt Handelskam­mer-Chef Bauer. Es sei schon so weit gekommen, dass neue Aufträge abgelehnt werden müssten. „Und das ist eine heftige Wachstumsb­remse, die kein Land als gegeben akzeptiere­n sollte.“Umfragen zeigen, dass weite Teile der Bevölkerun­g Zuwanderun­g als Lösung ablehnen: Nur zwölf Prozent sehen einen positiven Nutzen, im EU-Schnitt sind es 44 Prozent.

Seit Jahren wirbt Bauer für die Einführung des dualen Ausbildung­ssystems – bisher vergeblich. Eine Lehre wie in Deutschlan­d mit vielen Praxisante­ilen gibt es in Tschechien nicht.

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Foto: dpa Eine Arbeiterin entnimmt eine Schall platte aus der Maschine in einer Fabrik in Tschechien.

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