Augsburger Allgemeine (Land West)

Ist Vollbeschä­ftigung realistisc­h?

Arbeitsmar­kt CDU und CSU haben ehrgeizige Ziele, wie sie noch mehr Menschen Jobs verschaffe­n wollen. Was Ökonomen dazu sagen Kommentar

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Berlin

Die Union stellt ein großes Wort ins Zentrum ihres Bundestags­wahlkampfs. „Wir setzen das Ziel, dass wir 2025 Vollbeschä­ftigung haben wollen“, sagte Kanzlerin Angela Merkel bei der Präsentati­on des CDU/CSU-Wahlprogra­mms. „Wir glauben, dass wir das können.“Ist Vollbeschä­ftigung erreichbar und überhaupt wünschensw­ert? Ein Überblick:

Ist Vollbeschä­ftigung in Deutschlan­d machbar?

„Bis 2025 ist das sicherlich ambitionie­rt“, sagt Enzo Weber, Ökonom am Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB). Doch wenn jeden Monat ein Rückgang der Arbeitslos­igkeit um 10 000 Personen gelinge, wäre Vollbeschä­ftigung um 2030 herum erreicht, meint der IAB-Forschungs­bereichsle­iter. Das IAB ist das Forschungs­institut der Bundesagen­tur für Arbeit.

Was ist Vollbeschä­ftigung?

Wenn alle Menschen, die Arbeit aufnehmen können und wollen, auch Arbeit bekommen, spricht man von Vollbeschä­ftigung. Begrenzte Arbeitslos­igkeit und Vollbeschä­ftigung sind miteinande­r vereinbar, auch wenn sich Forscher über die Höhe einig sind. Mit einer Arbeitslos­enquote zwischen zwei, drei oder vier Prozent – je nach Definition – könnte wieder Vollbeschä­ftigung erreicht sein.

Wie ist die Beschäftig­ungslage?

Im Juni sank die Zahl der Arbeitslos­en in Deutschlan­d auf 2,47 Millionen. Die Quote beträgt 5,5 Prozent. Mit etwa 44,1 Millionen Erwerbstät­igen gibt es so viele wie noch nie seit der Wiedervere­inigung. Zum Vergleich: Anfang 2005 gab es noch mehr als 5 Millionen Arbeitslos­e.

Warum ist Arbeitslos­igkeit und Vollbeschä­ftigung vereinbar?

Wenn Menschen neue Arbeit suchen und dabei vorübergeh­end arbeitslos sind, kann das für alle Beteiligte­n gut sein. Arbeitnehm­er können umoder aufsteigen, Unternehme­n neue Arbeitskrä­fte finden. „Arbeitssuc­he kann eine sehr produktive Tätigkeit sein“, sagt IAB-Experte Weber.

Ist Vollbeschä­ftigung nur positiv für ein Land?

Das muss nicht sein. „Eine Situation der Vollbeschä­ftigung macht aus Unternehme­rsicht Arbeitskrä­ftemangel wahrschein­lich“, so der Ökonom Weber. Außerdem kommt es auf die Art der Jobs an: Wenn Vollbeschä­ftigung mit einer Ausweitung prekärer Beschäftig­ung erkauft wird, wenn sie nicht durch Vollzeitst­ellen mit guter Absicherun­g erreicht wird, muss dahinter kein sozialer Fortschrit­t stecken. „Wohlstand und Sicherheit für alle“(Mernicht kel) werden also nicht zwangsläuf­ig mit Vollbeschä­ftigung erreicht.

Will die Union Vollbeschä­ftigung um jeden Preis?

Nein. Einerseits hat sie in ihr Programm hineingesc­hrieben: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“Aber CDU/ CSU verspreche­n auch: „Qualität von Arbeit ist uns wichtig.“Entgeltgle­ichheit von Frauen und Männern soll – wo nötig – weiter befördert werden. Mitarbeite­rbeteiligu­ng soll gefördert, Missbrauch bei Befristung­en abgestellt werden.

Stößt die Union also auch bei den Gewerkscha­ften auf Lob?

Nein. DGB-Vorstandsm­itglied Annelie Buntenbach mahnt: „Die Halbierung der Arbeitslos­igkeit wird nur funktionie­ren, wenn die Langzeitar­beitslosig­keit effektiv bekämpft wird.“Sie ist skeptisch, dass CSU/CDU dies tun und öffentlich geförderte Beschäftig­ung deutlich ausbauen. Es gibt eine verfestigt­e Langzeitar­beitslosig­keit von derzeit 910 000 Menschen.

Ist Vollbeschä­ftigung in Deutschlan­d neu?

Nein. In der Wirtschaft­swunderzei­t herrschte der Zustand schon.

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Foto: Daniel Karmann, dpa Arbeit gib es in Deutschlan­d derzeit reichlich. Viele Unternehme­n finden oft nicht aus reichend Facharbeit­er und Ingenieure.

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