Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Gnade der frühen Geburt

- VON WOLFGANG LANGNER wla@augsburger allgemeine.de

Irgendwie ist die jüngere Generation heutzutage schon arm dran. Wenn sie von früher spricht, sind Tamagotchi, Dr. Alban, Sailor Moon oder Pierre Littbarski gemeint. Allein deshalb darf man dankbar sein für die Gnade der frühen Geburt: Bonanza-Fahrrad, The Troggs, Am Fuß der blauen Berge und Helenio Herrera. Letzterer war immer untrennbar mit dem Fußball verbunden.

Schon allein der Name des 1910 in Buenos Aires geborenen strahlte Ehrfurcht aus. Herrera war ein Trainer der ganz alten Schule und lange Zeit ihr populärste­r Vertreter. Es war die Zeit, als Spieler noch zitterten, wenn sie ins Training mussten. Herrera galt auf dem Platz als Diktator. Er, der auch in den Medien als „Magier“bezeichnet wurde, warf einmal mit Bällen nach seinen Spieler und brüllte: „Warum werden wir gewinnen?“

Und seine Spieler antwortete­n im Chor wie in einer Militäraka­demie: „Wir gewinnen, weil wir gewinnen wollen.“Herrera der als Erfinder des berühmten „Catenaccio“(Riegel) gilt, soll auch der erste gewesen sein, der seine Spieler in ein Trainingsl­ager einberief. Später sagte er einmal, warum: „Das schuf eine ganz neue Kategorie von Spielern. Vorher hatte man Spieler, die Whisky getrunken haben und Huren hatten, obwohl sie verheirate­t waren.“

Helenio Herrera hatte in dieser Zeit und später ganze Heerschare­n von Erben. Trainer, die zu Peinigern wurden. Die gab es nicht nur im Ausland auch bei uns überflutet­en Übungsleit­er das Land, die ihre Spieler „Gras fressen“ließen. Wenn man Überliefer­ungen trauen darf, gehörte der ehemalige Bundestrai­ner Sepp Herberger ebenso dazu wie Max Merkel, Otto Rehhagel, Rudi Gutendorf, Werner Lorant oder Felix Magath.

Diese Generation ist abgetreten. Die früheren Fans, die ein Poster von Pierre Littbarski an den Wänden hatten, mit einem Tamagotchi spielten, Dr. Alban hörten oder gebannt vor dem Fernseher bei Sailor Moon hockten, stehen jetzt auf der Kommandobr­ücke. Wobei auch das Wort Kommandobr­ücke im Fußball langsam verschrott­et werden darf. Egal, wie sehr man den alten Zeiten auch nachtrauer­t, der Fußball kann sich glücklich schätzen, dass die meisten dieser alten Relikte ausgemuste­rt wurden. Der Fußball hat sich heimlich, still und leise neu erfunden und er ist dabei auch nicht schlechter geworden. Im Gegenteil. Julian Nagelsmann, Alexander Nouri, Manuel Baum oder Hannes Wolf haben zwar allesamt noch nicht allzu viel für den deutschen Fußball getan, sind aber dabei, ihn zu entstauben. Manche Dinge, zugegeben, sind heutzutage einfach besser als früher.

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