Augsburger Allgemeine (Land West)

Kittel packt wieder die Flügel aus

Radsport Der Topsprinte­r gewinnt die sechste Tour-Etappe und liegt mit elf Siegen nur noch einen Erfolg hinter dem ehemaligen Telekom-Star Eric Zabel

- VON HARTMUT SCHERZER

Troyes

Marcel Kittel zum Zweiten. Vor den Power-Beinen und der kühlen Intelligen­z des Thüringers musste im Massenspri­nt die Konkurrenz einmal mehr kapitulier­en. Der 29-Jährige hatte wieder die Flügel ausgepackt, wie L’Équipe schon nach dem Triumph auf der zweiten Etappe auf der Titelseite geschwärmt hatte: „Kittel a des ailes“. André Greipel, Dritter hinter dem einmal mehr rüde drängelnde­n Franzosen Arnoud Démare, konnte nur noch staunen: „Marcel ist mit zehn km/h schneller an mir vorbeigera­uscht. Das ist ziemlich deprimiere­nd. Aber Chapeau.“

Kittel hat seine Taktik geändert: Er kommt von hinten herangeflo­gen. „Früher habe ich den Sprint etwas zu früh angezogen. Jetzt achte ich auf das richtige Timing. Man muss auch smart sein. Es sind nicht allein die Beine.“Auch Cleverness brachte ihm den elften Tour-Etappensie­g. Damit fehlt ihm nur noch ein Triumph, um am ehemaligen Telekom-Sprintstar Erik Zabel vorbeizuzi­ehen.

Als Démare sich gestern durch eine Lücke zwängte, wo keine war, riss Marco Haller wütend die rechte Hand hoch. „Démare hat meinen Lenker berührt“, erzählte der Österreich­er später am Bus. Haller und Rick Zabel hatten zähneflets­chend für den Norweger Alexander Kristoff vom Team Katusha-Alpecin den Spurt angezogen. Der Norweger wurde Vierter. Bemerkensw­ert an der Hatz: John Degenkolb mischte zwei Tage nach seinem schweren Sturz wieder mit: Der Oberursele­r kämpfte sich auf den zehnten Platz. Ob er noch Schmerzen habe? „Es geht einigermaß­en“, antwortete er tapfer.

Der Showdown nach den 216 Kilometern von Vesoul nach Troyer war der erste ohne den „extrem brutal wirkenden Fahrstil“(Erik Zabel) von Peter Sagan und Mark Cavendish. Ausgerechn­et diese beiden Rowdys waren auf der vierten Etappe in Vittel aneinander­geraten. Aus für beide. Der Brite landete mit Schulterbr­uch im Krankenhau­s, der Doppelwelt­meister wurde nach Hause geschickt.

Die Affäre ging am Donnerstag weiter. Sagan ließ durch zwei Anwälte den Internatio­nalen Sportgeric­htshof (CAS) anrufen und in einem Eilantrag die Aussetzung der Disqualifi­kation fordern. Der Eilantrag wurde eilends abgelehnt.

Auf der Sonnenfahr­t durch die Ebene des Departemen­ts HauteMarne passierte das Peloton die nationale Gedenkstät­te Colombey-lesDeux-Églises. Der legendäre General und Staatspräs­ident Charles de Gaulle wohnte zuletzt bis zu seinem Tod 1970 in dem 660-Seelen-Ort. Hunderttau­send Franzosen pilgern alljährlic­h zur Grabstätte und dem Lothringer Kreuz, das auf Wunsch de Gaulles als Denkmal für ihn errichtet wurde. Der übertragen­de TV-Sender France 2 blendete in Schwarz-Weiß die Szene von der historisch­en Begegnung der Tour de France mit der Legende 1960 ein. Auf der Etappe Besancon–Troyes entdeckte Tour-Direktor Jacques Goddet den wegen seiner Körpergröß­e nicht zu übersehend­en Kriegsheld­en in der dritten Reihe der Zuschauerm­enge. Der L’ÈquipeChef­redakteur ließ das Peloton anhalten, de Gaulle trat vor das Fahrerfeld und begrüßte mit Handschlag die Prominenz in der ersten Reihe: Gastone Nencini im Gelben Trikot, den französisc­hen Meister Henri Anglade und Weltmeiste­r André Darrigade.

Goddets Nachfolger Christian Prudhomme hatte, selbstvers­tändlich, den einzigen Zwischensp­rint des Tages in Colombay-les-DeuxÉglise­s angesetzt. Doch dass mit dem Belgier Frederik Backaert ein „Nobody“eines Ausreißer-Trios als Erster über die Linie rollte, war sicherlich nicht im Sinn des Erfinders. Da legten sich die Sprinter aus dem Peloton heraus schon mächtig ins Zeug. Hätte Arnaud Démare das Trikot des französisc­hen Meisters und nicht das grüne Hemd getragen, man hätte auf den Gedanken kommen können, er sprintete zu Ehren de Gaulles und nicht um läppische 13 Punkte auf den vierten Platz.

Übrigens: Christophe­r Froome behielt natürlich das Gelbe Trikot.

 ?? Foto: Jeff Pachoud, afp ?? Im Sprint kaum zu schlagen: Marcel Kittel feierte gestern seinen zweiten Etappensie­g bei der diesjährig­en Tour de France.
Foto: Jeff Pachoud, afp Im Sprint kaum zu schlagen: Marcel Kittel feierte gestern seinen zweiten Etappensie­g bei der diesjährig­en Tour de France.

Newspapers in German

Newspapers from Germany