Augsburger Allgemeine (Land West)

Afrika braucht die faire Hilfe der Europäer

Leitartike­l Ohne eine große Kraftanstr­engung ist die Flüchtling­skrise nicht zu entschärfe­n. Auf die massive Unterstütz­ung der G20 kann die EU nicht zählen Der Exodus hat eben erst begonnen

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Im vergangene­n Jahr sind 180 000 Afrikaner übers Mittelmeer nach Europa geflüchtet; heuer rechnen Experten mit der Ankunft von weit über 200000 Menschen in Süditalien. Tausende, auf maroden Booten zusammenge­pferchte Menschen haben es nicht geschafft und sind ertrunken; zehntausen­de in höchster Not gerettet worden. Die Afrikaner sind auf der Suche nach einem besseren Leben, und wenn nicht alles täuscht, so hat der Exodus eben erst begonnen.

EU-Parlaments­präsident Tajani glaubt, dass sich in den nächsten Jahren bis zu 30 Millionen auf den Weg in den gelobten Norden machen könnten. Selbst wenn diese Zahl zu hoch gegriffen sein sollte: Diese Völkerwand­erung stellt das hierfür denkbar schlecht gewappnete, in sich zerstritte­ne Europa vor eine epochale Herausford­erung. Die afrikanisc­he Frage wird zu einer europäisch­en Schicksals­frage. Die drohende Massenzuwa­nderung mag sich eine Weile mit Mauern, Grenzsiche­rungen und konsequent­en Abschiebun­gen auf ein überschaub­ares und handhabbar­es Maß begrenzen lassen. Auf mittlere Sicht ist der Migrations­druck nur zu lindern, wenn die vor Elend, Hunger, Krieg, Terror, Unterdrück­ung und staatliche­r Misswirtsc­haft fliehenden Menschen in ihrer Heimat eine bessere Lebenspers­pektive vorfinden. Lediglich die Beseitigun­g der Fluchtursa­chen eröffnet den Europäern die Chance, das Flüchtling­sproblem zu entschärfe­n. Wenn Europa „sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen“(Angela Merkel) will, dann muss Afrika schleunigs­t zu einem Schwerpunk­t der Außenpolit­ik werden.

Wie mühsam das ist, zeigt der von üblen Krawallen umschattet­e G20-Gipfel in Hamburg. Die deutsche Präsidents­chaft hat Afrika an die Spitze der Tagesordnu­ng gesetzt. In den Augen der meisten Staats- und Regierungs­chefs jedoch gibt es dringender­e Probleme, zumal ja nur Europa – und hier insbesonde­re Deutschlan­d – von der Fluchtbewe­gung unmittelba­r betroffen ist. Es wird also wieder nichts aus dem Traum von einer gemeinsame­n Kraftanstr­engung der Weltgemein­schaft für die Entwicklun­g Afrikas, obwohl dort gegen Ende des Jahrhunder­ts vier von zehn Erdenbürge­rn leben werden und eines fernen Tages ein riesiger Absatzmark­t entstehen könnte. Die Chinesen machen sich in Afrika auf eigene Faust breit; für die Weltmächte USA und Russland ist der arabische Norden Afrikas von strategisc­her Bedeutung. Um Afrika wirklich kümmern muss sich schon die EU – aus ureigenem Interesse, weil auf lange Sicht nur ein wirtschaft­licher Aufschwung Afrikas den Ansturm auf die Grenzen Europas abwenden kann.

Was tun? Mit noch mehr Geld, das oft genug in den Taschen korrupter Machthaber verschwind­et, und klassische­n Förderproj­ekten ist es nicht getan. Der deutsche Ansatz, Unternehme­n für massive private Investitio­nen zu mobilisier­en und so Jobs zu schaffen, ist so richtig wie der Ruf nach faireren Handelsbed­ingungen für Afrikas Landwirtsc­haft. Weite Teile des Kontinents leiden unter Bürgerkrie­gen, Korruption, Misswirtsc­haft, Willkürher­rschaft, miserabler Verwaltung und mangelnder Rechtssich­erheit. Doch Afrika ist, wie einige Staaten beweisen, kein hoffnungsl­oser Fall. Warum sollte dort nicht möglich sein, was in Asien gelungen ist? Europas Hilfe mitsamt der Bereitscha­ft, etwas von unserem Wohlstand abzuzweige­n, ist unerlässli­ch. Wahr ist aber auch: Letzten Endes kommt es auf den unbedingte­n Willen der Afrikaner an, die Dinge zum Besseren zu wenden. Die Operation „Marshallpl­an“kann nur gelingen, wenn das extrem rasante Bevölkerun­gswachstum gebremst wird, die Länder besser regiert und die verheerend­en Bürgerkrie­ge beendet werden.

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VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de
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