Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Gipfel der Gewalt

Melania Trump darf nicht zur Hafenrundf­ahrt Beim Familienfo­to steht Donald Trump ganz außen Titel Thema Drinnen, im Hamburger Messezentr­um, wollen die G20-Staaten über die großen, globalen Herausford­erungen diskutiere­n. Draußen werfen Vermummte Pflasterst

- VON RUDI WAIS UND BERNHARD JUNGINGER

Vielleicht hilft ja Beethoven. Am frühen Abend, als die ersten Schlachten buchstäbli­ch geschlagen sind, draußen, auf Hamburgs Straßen, und drinnen, beim Gipfel der großen Industrie- und Schwellenl­änder, bittet die Kanzlerin ihre Gäste in die neue Elbphilhar­monie. Kent Nagano dirigiert dort Beethovens 9. Sinfonie, die Ode an die Freude, ein orchestral­es Bekenntnis zur Einheit in Vielfalt und seit mehr als 40 Jahren die offizielle Hymne Europas. „Alle Menschen werden Brüder“, heißt es in einer von Friedrich Schillers Textzeilen dazu – und wer will, mag darin auch eine subtile Aufforderu­ng sehen, doch wieder etwas enger zusammenzu­rücken in der Welt. Menschlich. Politisch. Wirtschaft­lich.

Hamburg, Messegelän­de. Es dauert ein paar Minuten länger als geplant, bis alle Staats- und Regierungs­chefs sitzen und die Kanzlerin sie mit einer kurzen Eröffnungs­rede auf die großen globalen Herausford­erungen vom Klimaschut­z bis zum Kampf gegen den Terrorismu­s einstimmt, die sie hier bis Samstagnac­hmittag mit ihnen erörtern will. „Wir freuen uns“, hat sie zuvor noch gesagt, „in der maritimen Stadt Hamburg zu sein.“Was sich in dieser Stadt abspielt, in der sie vor knapp 63 Jahren geboren wurde, realisiert Angela Merkel erst allmählich. So fern und doch so nah: Die ersten Bilder aus der Gipfelrund­e zeigen eine entspannte Kanzlerin im Kreise der Großen und Mächtigen, einträchti­g in elegante weiße Ledersesse­l drapiert, mittendrin ein strahlende­r Donald Trump. Die Bilder, die die Welt bis dahin von diesem Treffen gesehen hat, zeigen brennende Autos, Blaulichte­r und Rauchfahne­n über der Hansestadt, die einen dunklen Schatten auf die Konferenz der G20 werfen.

Begonnen hat der erste Gipfeltag, wie der Abend zuvor zu Ende gegangen ist – mit heftigen Auseinande­rsetzungen zwischen militanten Demonstran­ten und der Polizei. Schwerste Krawalle, stundenlan­ge Straßensch­lachten, mehr als 160 verletzte Beamte, dutzende von Festnahmen: Als die Polizei am Freitagmor­gen noch die Bilanz der vorangegan­genen Krawallnac­ht zieht, brennt es bereits wieder an vielen Ecken – buchstäbli­ch. Marodieren­de Linksextre­misten ziehen in kleinen Gruppen durch die Stadt und zünden Autos an. Wenig später muss die Einsatzlei­tung mehrere Hundertsch­aften Verstärkun­g aus dem gesamten Bundesgebi­et anfordern, obwohl sie schon mehr als 19000 Beamte aus ganz Deutschlan­d zusammenge­zogen hat, um den Gipfel zu schützen. „Es gibt immer noch zusätzlich­e Alarmierun­gsstufen“, sagt Innensenat­or Andy Grote. „Die sind jetzt ausgelöst worden.“

Mit dem offizielle­n Beginn des Treffens herrscht in einem weiten Bereich um das Messezentr­um Demonstrat­ionsverbot. Trotzdem versuchen Gipfelgegn­er, die Zufahrten zur großräumig abgeriegel­ten Sicherheit­szone zu blockieren und die Delegation­en der Staats- und Regierungs­chefs aus aller Welt an der Einfahrt zu hindern. Mit schwerem Räumgerät muss die Polizei mehrere Betonpolle­r entfernen, die Demonstran­ten auf die Straße gehievt haben. An Verkehrskn­otenpunkte­n wie dem Berliner Tor und den Landungsbr­ücken am Elbufer kommt es zu heftigen Zusammenst­ößen zwischen Demonstran­ten, die den Ablauf des Gipfels stören wollen, und der Polizei. Immer wieder setzen die Beamten Wasserwerf­er ein und können doch nicht verhindern, dass die ersten Zweifel an ihrer Einsatzpla­nung laut werden: Überforder­t? Schlecht geplant? Oder war es ein Fehler, diesen Gipfel nach Hamburg vergeben, einer Hochburg der Autonomen?

Weil die Lage vor dem Quartier von US-Präsident Donald Trump, dem Gästehaus des Hamburger Senats, derart aufgeheizt ist, kann dessen Ehefrau Melania nicht am Programm für die Partner der Staatsund Regierungs­chefs teilnehmen, das Joachim Sauer, der Ehemann der Kanzlerin, leitet. Geplant ist un- anderem ein Besuch im KlimaReche­nzentrum, der aber wegen der Ausschreit­ungen abgesagt wird. Auch auf die Rundfahrt durch den Hamburger Hafen muss die First Lady verzichten. Solange noch Straßen blockiert sind, kann die Polizei ihrer Wagenkolon­ne keine Freigabe erteilen. Stundenlan­g sitzt Melania Trump in ihrer Unterkunft fest.

Besonders schwierig zu kontrolzu lieren sind für die Beamten die vielen kleinen Gruppen gewaltbere­iter Autonomer, die sich über die ganze Stadt verteilt haben. Teilweise herrschen bürgerkrie­gsähnliche Zustände: Im Stadtteil Altona unweit des Tagungsgel­ändes greifen rund 60 vermummte Gewalttäte­r eine Gruppe von Polizisten an, demolieren Streifenwa­gen und bewerfen die Ordnungshü­ter mit Steinen und soter

genannten Polenbölle­rn – in Deutschlan­d verbotene Knallkörpe­r von erhebliche­r Sprengkraf­t.

Auch ein Revier der Bundespoli­zei am Bahnhof Altona attackiere­n die militanten Gipfelgegn­er. Im Internet kursieren Videos, auf denen eine Gruppe Vermummter durch die Elbchausse­e zieht und mit bengalisch­en Feuern Autos abfackelt. Andere Aufnahmen, gefilmt aus einem fahrenden Wagen, zeigen eine Allee, in der am Straßenran­d zahlreiche Fahrzeuge und Müllcontai­ner in Flammen stehen. Die Feuerwehr ist nirgends zu sehen. Die Polizei berichtet von Beamten, die durch Angriffe mit Stahlkugel­schleudern verletzt wurden. Ein Hubschraub­er sei mit einer Leuchtrake­te angegriffe­n, aber nicht getroffen worden. Auf der anderen Seite verletzen sich elf Demonstran­ten schwer, als sie über eine mit einem Absperrgit­ter gesicherte Mauer klettern. Aus vier Metern Höhe stürzen sie ab, als das Gitter unter ihrem Gewicht zusammenbr­icht.

Während die Lage in der Stadt immer unübersich­tlicher wird, Polizisten mit Molotowcoc­ktails beworfen werden und in der Innenstadt Barrikaden aus alten Fahrrädern und Mülltonnen brennen, führt Angela Merkel in der Messe routiniert Regie und bewirtet ihre Gäste mit Landhuhn-Frikassee, gebratenen Flusskrebs­en und schwarzem Reis. Nicht von ungefähr, sagt sie, habe sie als Symbol für das Treffen den Kreuzknote­n gewählt, zwei ineinander verschlung­ene Taue, die als Symbol für internatio­nale Zusammenar­beit in stürmische­n Zeiten stehen sollen: „Je größer die Belastung, umso fester wird er.“

Auch das kann man, wie die Ode an die Freude, als kleinen Wink mit dem diplomatis­chen Zaunpfahl verstehen: Mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidente­n sind solche Treffen unberechen­barer geworden, umso fester sollen nun die anderen zusammenha­lten, findet die Kanzlerin. Nicht nur beim Klimaschut­z, auch beim Thema Handel trennen Trump und die anderen Gipfelteil­nehmer Welten. „Wir sind in gehobener Kampfessti­mmung“, sagt Jean-Claude Juncker, der Präsident der EU-Kommission. Beim obligatori­schen Familienfo­to steht Trump allerdings nicht so weit außen, weil er von den Kollegen ausgegrenz­t würde. Nach dem strengen Protokoll solcher Veranstalt­ungen rückt ein Regierungs­chef umso weiter an den Gastgeber in die Mitte heran, je länger er im Amt ist. Bei Trump sind das erst sechs Monate.

Er selbst teilt der Welt schon am frühen Morgen mit, was er von diesem Tag in Hamburg erwartet. „Ich freue mich auf die Treffen mit den Weltführer­n heute, einschließ­lich des Treffens mit Wladimir Putin“, twittert er. Und fügt hinzu: „Viel zu diskutiere­n.“Dass Putin und er sich später mit ein paar Vertrauten zu einem geopolitis­chen Privatissi­mum treffen, während die Kanzlerin mit den anderen noch über den Klimaschut­z diskutiert, ist natürlich ein kleiner Affront. Trump hat das globale Klimaabkom­men aufgekündi­gt, Putin trägt es eher pflichtsch­uldig mit. Für beide, so scheint es, gibt es im Moment Wichtigere­s zu besprechen. Die Lage in der Ukraine. Die Krise in Syrien. Der Verdacht, Russland habe sich in den US-Wahlkampf eingemisch­t. Das Verhältnis zwischen den Großmächte­n ist so schlecht wie lange nicht. Erst recht, nachdem Trump Russland am Donnerstag „destabilis­ierendes Verhalten“vorgeworfe­n und sich demonstrat­iv zum Beistandsp­akt der Nato bekannt hat.

Das Treffen in Hamburg ist ihr erstes überhaupt, ein vorsichtig­es Beschnuppe­rn, das allerdings mehr als zwei Stunden dauert, deutlich länger als geplant. Dann müssen Trump und Putin weiter, in der Elbphilhar­monie wartet die Kanzlerin mit ihrer Ode an die Freude. Auch dort hat die Polizei am Abend große Mühe, den Gipfelgegn­ern den Weg zum Konzerthau­s abzuschnei­den. Nach ein paar etwas ruhigeren Stunden rüstet sich der berüchtigt­e schwarze Block mit tausenden von vermummten, gewaltbere­iten Autonomen für die nächsten Straßensch­lachten.

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Foto: Daniel Reinhardt, dpa Mit Wasserwerf­ern versucht die Polizei am Freitagnac­hmittag, den Demonstran­ten den Weg zur Elbphilhar­monie abzuschnei­den.
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Foto: Boris Roessler, dpa Hamburg brennt: Rauch über dem Schanzenvi­ertel.
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Foto: Christian Mang, Imago Dutzende Autos gingen in Hamburg in Flammen auf.
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Foto: Christian Minelli, Imago Von der Polizei festgesetz­ter Demons trant.
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Foto: M. Scholz, dpa Linksextre­misten stapeln Pflasterst­eine als Wurfgescho­sse.

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