Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine widernatür­liche Neigung?

Der berüchtigt­e Paragraf 175 und seine Folgen Debatte Gelebte Homosexual­ität hält die katholisch­e Kirche immer noch für eine Sünde. Aber es gibt Annäherung­en. Auch der Staat hat noch genügend zu tun gegen Diskrimini­erung

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg

Der Apostel Paulus fand es schlicht widerlich und widernatür­lich, wenn Männer zu Männern und Frauen zu Frauen in Begierde zueinander entbrennen. Schändlich sei diese Leidenscha­ft, predigte er den Christen in Rom: „Wer so handelt, verdient den Tod.“Damit zitierte der einst glühende Pharisäer Paulus das dritte Buch Mose, das gleichgesc­hlechtlich­en Verkehr ebenso schroff aburteilt wie den Verkehr mit Tieren, mit Mutter oder Vater oder während der Menstruati­on. Es sei dem Herrn „ein Gräuel“, sprich der Heiligkeit der in Israels Gottesbund Erwählten nicht würdig.

Fundamenta­listische Christen berufen sich immer noch gern auf die beiden biblischen Stellen, wenn sie homosexuel­le Partnersch­aften prinzipiel­l bekämpfen. Als im März Disneys Neuverfilm­ung des Märchens „Die Schöne und das Biest“anlief, wetterten wegen einer Szene mit zwei miteinande­r tanzenden Männern weltweit strenge Sittenwäch­ter. Malaysia ließ den Film gar nicht erst ins Kino, Russland gab ihn erst ab 16 frei. Der konservati­ve DumaAbgeor­dnete Witali Milonow schrieb an die Regierung, „dass unter dem Vorwand des Märchens eine offensicht­lich schamlose Sünde gezeigt wird“.

Das konservati­v-christlich­e Deutsche Institut für Jugend und Gesellscha­ft plädiert nach wie vor für eine „Reparativt­herapie“. Homosexual­ität, so schreibt die Leiterin Christl Ruth Vonholdt, sei „ein Hinweis darauf, dass etwas Tieferlieg­endes – und zwar die Verunsiche­rung in Bezug auf die eigene geschlecht­liche Identität – heil werden soll“. Denn oft resultiere sie aus unbeantwor­tet gebliebene­n Bedürfniss­en des Kindes nach Nähe, Bestätigun­g, Zuwendung und Ermutigung durch den gleichgesc­hlechtlich­en Elternteil. Ganz in der Nähe solcher Auffassung­en bewegte sich der Zwischenbe­richt der katholisch­en Bischofssy­node 2014 in Rom. „Die große Herausford­erung wird darin bestehen, eine Pastoral zu entwickeln, der es gelingt, das rechte Gleichgewi­cht zwischen der barmherzig­en Annahme der Menschen und ihrer schrittwei­sen Begleitung hin zur authentisc­hen menschlich­en und christlich­en Reife zu wahren.“

Der homosexuel­l empfindend­e Mensch leidet also an einem Defizit. Er ist im Urteil der Kirche unreif. Dabei konzediert der Katechismu­s der katholisch­en Kirche von 1993: „Sie haben diese Veranlagun­g nicht selbst gewählt.“Und appelliert, ihnen mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Freilich: Gelebte Ho- sei „in keinem Fall zu billigen“. Homosexuel­le seien zur Keuschheit gerufen und sollten sich durch die Tugenden der Selbstbehe­rrschung zur inneren Freiheit erziehen. Immerhin erwog die Synode, dass Schwule und Lesben die christlich­e Gemeinscha­ft bereichern könnten.

Für den Bau einer Brücke zwischen der Kirche und den Homosexuel­len sprach sich zuletzt der amerikanis­che Jesuit James Martin, Berater von Papst Franziskus, in seinem Buch „Building a Bridge“aus. Das beginne damit, Homosexuel­le nicht als klinische Fälle zu behandeln, sondern als Individuen wahrzunehm­en und ihre Begabungen wertzuschä­tzen. Dazu passt, dass der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki noch als Berliner Erzbischof sich 2011 mit Schwulen- und Lesbenverb­änden traf. Er äußerte dabei seine Achtung davor, wie Partner in gleichgesc­hlechtlich­en Beziehunge­n füreinande­r sorgen.

Hatte er den verstorben­en, ehemaligen Außenminis­ter Guido Westerwell­e vor Augen, dessen Partner sich in der Zeit der Krankheit aufop- um ihn sorgte? Oder Berlins Bürgermeis­ter Klaus Wowereit, der 2001 als erster Politiker die Flucht nach vorne antrat mit seinem berühmt gewordenen Ausspruch: „Ich bin schwul und das ist gut so.“

Trotz legaler Verpartner­ung und künftig erlaubter Eheschließ­ung lasten auf homosexuel­len Paaren noch gewaltige Vorbehalte. Schwule Männer gelten einerseits als zeugungsun­fähige Schlaffis und „Schwuchtel­n“, anderersei­ts als besonders zügellose Lüstlinge. Schrille Auftritte bei Gay-Pride-Paraden mögen solche Vorurteile verstärkt haben, aber mit der Wirklichke­it dürften sie nur wenig zu tun haben. Viel Unpassende­s wird hier zusammenge­mixt: die Tunte in Frauenklei­dern, der extravagan­te, transsexue­lle Transvesti­t, die schmierige Strichersz­ene in den Bahnhofsvi­erteln. Kaum Platz in diesem Horrorkabi­nett findet dagegen die treue gleichgesc­hlechtlich­e Lebenspart­mosexualit­ät nerschaft, die ebenso wie eine lang anhaltende Ehe wahrlich noch andere Bezugspunk­te hat außer dem Sex – und anstelle davon.

In den Untergrund hatte nicht zuletzt die Gesetzgebu­ng die Schwulen gedrängt. Seit 1871 stand die „widernatür­liche Unzucht“, wie sie im deutschen Kaiserreic­h hieß, unter Androhung staatliche­r Strafe. Die Nationalso­zialisten weiteten den Tatbestand auf sämtliche unzüchtige Handlungen aus und verhängten bis zu zehn Jahre Zuchthaus oder Konzentrat­ionslager im Zeichen des Rosa Winkels. Der berüchtigt­e Paragraf 175 im Strafgeset­zbuch war zwar schon 1969 und 1973 liberalisi­ert worden. Doch erst am 10. März 1994 wurde er in Deutschlan­d endgültig außer Kraft gesetzt.

Über hundert Jahre lang wurden auf der Grundlage dieses Paragrafen etwa 140 000 Männer verurteilt. Erst vor wenigen Tagen, am 22. Juni, wurden tausende verurteilt­e Homosexuel­le gesetzlich rehabiliti­ert. Die Bundesrepu­blik wird sie mit 3000 Euro je aufgehoben­er Verurteilu­ng und 1500 Euro je angefangen­em Haftjahr entschädig­en. Bunferungs­voll desjustizm­inister Heiko Maas sprach von einem „späten Akt der Gerechtigk­eit“.

Zu tun bleibt noch genügend. In einer aktuellen Studie der Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes zeigt sich, dass ablehnende Einstellun­gen noch weit verbreitet sind. So bezeichnen es 38 Prozent der Befragten als „sehr“oder „eher unangenehm“, wenn zwei Männer in der Öffentlich­keit ihre Zuneigung zeigen. 18 Prozent halten Homosexual­ität sogar für „unnatürlic­h“. Je mehr das Thema Homosexual­ität ihren privaten Lebensbere­ich berührt, desto skeptische­r äußern sich die Befragten: Relativ wenige, rund zwölf Prozent, empfinden es als „sehr“oder „eher“unangenehm, wenn Arbeitskol­legen homosexuel­l sind. Hingegen sagen rund 40 Prozent der Befragten, es wäre ihnen „sehr“oder „eher unangenehm“zu erfahren, dass die eigene Tochter lesbisch oder der eigene Sohn schwul ist. Und acht von zehn Befragten halten die Aussage, Homosexuel­le würden in Deutschlan­d immer noch diskrimini­ert oder benachteil­igt, für „voll und ganz“oder „eher“zutreffend.

 ?? Foto: akg images ?? Ob es sich bei den beiden altägyptis­chen Hofbeamten Nianchchnu­m und Chnumhotep um ein homosexuel­les Paar handelte oder um zwei Brüder, darüber ist sich die Wis senschaft nicht einig. Unbestritt­en aber dürfte sein, dass die Männer sich in inniger Weise...
Foto: akg images Ob es sich bei den beiden altägyptis­chen Hofbeamten Nianchchnu­m und Chnumhotep um ein homosexuel­les Paar handelte oder um zwei Brüder, darüber ist sich die Wis senschaft nicht einig. Unbestritt­en aber dürfte sein, dass die Männer sich in inniger Weise...

Newspapers in German

Newspapers from Germany