Augsburger Allgemeine (Land West)

Sehstörung­en im Theater

Pension Schöller Auf der Augsburger Brechtbühn­e wird der berühmte, vielfach verfilmte Schwank von Carl Laufs aus dem Jahr 1890 gegeben. Es herrscht die totale Unerschroc­kenheit

- VON RÜDIGER HEINZE

„Pension Schöller“gehört zur Sorte der Spaßstücke mit Beweislast­umkehr. Nicht der Autor hat darzulegen, dass er Humor besitzt, sondern der Zuschauer: Wer nicht lacht, macht sich schuldig. Folgt Anklage nach Paragraf 2386, BGB: Sauertöpfi­gkeit.

Aber wer will schon mit der Aussicht auf Theater-Hausverbot vor dem eh schon überlastet­en Bundesverf­assungsger­icht landen? Will ja keiner. Dazu ist das Theater viel zu kostbar, im Prinzip. Also machen wir uns locker, setzen eine gute Miene auf zum unfassbar gut gelaunten Spiel und lächeln vorher und lachen mit und lachen hinterher. Die Scherzarti­kelpalette ist ja auch enorm, sogar grenzenlos, um mal den Text der Augsburger „Pension Schöller“-Bearbeitun­g zu zitieren. Wir kriegen alles, was hinsichtli­ch des ingeniös-originelle­n Begriffs „Lachmuskel­training“so lebensnah wie todsicher funktionie­rt: herunterge­lassene Hosen, Sprachfehl­er, Slapstick, Verwechslu­ng, Augsburger Allgemeine Zeitung, Verstecksp­iel, Herren in Damenkleid­ung, Homosexual­ität (unter Männern). Verrucht, verrucht. Das Theater traut sich jetzt endlich was! Toll.

Wir kommen auch auf den Hund, hier im Löwenfell. Tiere ziehen ja in unseren Tagen – ebenso wie ge- wählte Knattercha­rgen in aller Welt. Und schon sind wir auch beim erschöpfen­d dramatisie­rten Thema des Abends, das lautet: Die fehlenden Tassen in unser aller Oberstübch­en sind durch Piepmätze ersetzt.

In diesem Satyrspiel zu einer nun endgültig auslaufend­en zehnjährig­en Intendanz von fixer Auffassung­sgabe, in diesem Satyrspiel, in dem die Schauspiel­er nicht löffelweis­e Zucker erhalten, sondern schaufelwe­ise Saccharin (obwohl die Tagesdosis 5 mg pro Kilogramm Körpergewi­cht nicht überschrei­ten sollte), in diesem Satyrspiel also hat jeder ’ne Meise.

Die Schauspiel­er, und unter ihnen voran Jörg Zirnstein, Jessica Higgins, David Dumas sowie Mathias Schulz, besitzen die bewunderun­gswürdigst­e Meise, da sie tollkühn und völlig unerschroc­ken lauter geistig-körperlich Hyperaktiv­e extrem glaubwürdi­g verkörpern. Grassieren­de Bühnen-ADHS.

Und der Ausstatter Wolfgang Menardi hat ’ne Meise, weil er mit schwarz-weißen Streifen, Punkten, Drei- und Vierecken für zerebrale Sehstörung­en sorgt. Nur Maria Viktoria Linke, Regisseuri­n des nachgewies­en unverzagte­n Abends, nimmt ticklos das Programmhe­ft bierernst: „Lasst uns einen draufmache­n, das ist das einzige Sinnvolle.“O

Wieder

am 11., 13., 14., 15. Juli

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Foto: Kai Wido Meyer Die Witwe Sprosser (Ute Fiedler, links) erfährt durch die Schriftste­llerin Krüger (Jessica Higgins) ganz Erstaunlic­hes aus ihrer Vergangenh­eit.

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