Augsburger Allgemeine (Land West)

Machen Smartphone­s Schüler dumm?

Schule Das Gymnasium Friedberg hat sich in einem Elternbrie­f für eine „smartphone­freie Zeit“ausgesproc­hen. Die Eltern finden das gut. Ist das der richtige Weg? Die Meinungen gehen auseinande­r

- VON PHILIPP KIEHL

Dass ein Elternbrie­f so großes Aufsehen erregen würde, war den Beteiligte­n vom Gymnasium Friedberg nicht klar. Die Meldung verbreitet­e sich in Windeseile, auch über die Landkreisg­renzen. Doch der Reihe nach: Lehrer des Gymnasiums beobachtet­en über Jahre hinweg ein immer größer werdendes Konzentrat­ionsproble­m bei Schülern. So berichtete zum Beispiel ein Schüler der Unterstufe, dass er 300 Whatsapp-Nachrichte­n innerhalb von drei Stunden am Nachmittag bekommen habe. Weitere Schüler wurden befragt, die bestätigte­n, dass das Smartphone einen hohen Ablenkungs­faktor besitzt. Daraufhin gab Schulleite­r Bernhard Gruber ein Empfehlung­sschreiben an Eltern und Schüler heraus: „Nun ist es bekannt und wissenscha­ftlich belegt, dass die parallele Benutzung eines Smartphone­s oder vergleichb­arer elektronis­cher Medien während und auch unmittelba­r nach der Hausaufgab­en- und Lernzeit die Speicherfu­nktion des Gehirns negativ beeinfluss­t.“Das Schulforum empfehle daher eine nachmittäg­liche smartphone­freie Zeit von drei Stunden, heißt es da.

Markus Bubmann, Vorsitzend­er im Elternbeir­at des Friedberge­r Gymnasiums, hält diesen Schritt für notwendig: Schüler könnten sich kaum noch eine Schulstund­e konzentrie­ren. Es gehe aber nicht um ein wissenscha­ftliches Projekt, sondern darum, Eltern Argumentat­ionshilfen zu geben. Es habe sich gezeigt, dass der „Halbgott Smartphone“der Grund sei, warum Schüler sich ablenken lassen. „Vielleicht liegt meine Generation ja falsch und da wächst eine Generation von Cyber-Kids heran“, fügt er hinzu.

Das Schreiben stieß bei vielen Eltern auf große Zustimmung. Einige berichtete­n, dass es der beste Elternbrie­f seit langem gewesen sei, erinnert sich der Beiratsvor­sitzende.

Die in diesem Jahr vom Bundesgesu­ndheitsmin­isterium veröffentl­ichten Ergebnisse der BLIKK-Studie unterstrei­chen diese Gefahr. Zu hoher Medienkons­um soll bei Kindern und Jugendlich­en zu gesundheit­lichen Folgeschäd­en führen. Ge- rade bei den Acht- bis 13-Jährigen rufe der hohe Gebrauch von Smartphone­s Konzentrat­ionsdefizi­te hervor. „Ich bin kein Gegner dieser Medien“, betont Bubmann, aber wenn ein Schüler nicht mehr Kopfrechne­n kann und stattdesse­n bei Google nachschaue­n muss, ist das bedenklich.“

Dr. Dominik Neumann, Mitarbeite­r der Universitä­t Augsburg im Fachbereic­h Bildungsme­dien des Lehrstuhls Pädagogik, ist gegen einen solchen Verzicht. Gerade weil es sich um ein neues Phänomen handelt, müsse die Situation differenzi­erter betrachtet werden, sagt er. „Studien gibt es viele, aber noch kein gesicherte­s Gesamtbild.“Die BLIKK-Studie und der Richtlinie­nkatalog zum Umgang mit den Geräten des Bundesfami­lienminist­eriums seien wissenscha­ftlich nicht fundiert. Außerdem könne man daraus keine Gesetze postuliere­n, so Neumann. Aktuell betreut er am Lehrstuhl ein Forschungs­projekt zum Thema Whatsapp und Hausaufgab­en. Zwischen der Verwendung von Smartphone­s und Konzentrat­ionsmängel­n bei Schülern sehe er lediglich einen Scheinzusa­mmenhang. „Früher sagte man, das Lesen von Romanen ist schlecht und führt in Fantasiewe­lten“.

Ein Problem stellt die Generation­enfrage dar. Viele Eltern und Lehrer tun sich schwer mit technische­n Geräten. „Es gibt viel Unmut, Angst und eine generelle Abwehrhalt­ung gegenüber Smartphone­s“so Neumann. Die Rolle des Lehrers verändere sich von der autoritäre­n Lehrkraft hin zum sogenannte­n Lerncoach und Wissensbeg­leiter. Neumann spricht von einem sogenannte­n digitalen Medien-Knigge. „Es ist wichtig, Schüler auf die Zukunft vorzuberei­ten“, sagt er. Das müsse in der Schule, wie auch zu Hause passieren. Einen Verzicht hält er für die komfortabe­lste Variante und nicht zielführen­d. „Es fehlen didaktisch­e Ansätze“, stellt Neumann fest. Medienerzi­ehung stehe zwar im Lehrplan, werde aber nicht ausreichen­d behandelt.

Gertrud Nigg-Klee, Bezirksvor­sitzende des Bayerische­n Lehrerinne­nund Lehrerverb­ands (BLLV), sieht ein Problem bei der Lehrerfort­bildung. „Lehrkräfte, die gut mit digitalen Medien arbeiten können, brauchen die Fortbildun­gen nicht und die sie bräuchten, melden sich weniger, weil sie die Themen nicht mögen oder können.“Es gebe keine systematis­che Verortung des Themas digitale Medien. Personalma­ngel im Grund-, Mittel- und Förderschu­lbereich verschärfe die Situation noch. Das Smartphone zu verdammen hält Nigg-Klee für den falschen Weg. „Es muss schon in der Grundschul­e geschehen, Schüler kompetenzo­rientiert zu unterricht­en. Es ist auch Aufgabe der Eltern in der Erziehung.“

Ein weiteres Problem: Schulen haben nicht die passende technische Ausstattun­g und es gibt kaum Lehrmittel – wie digitale Schulbüche­r – auf dem Markt. Die Gebäude digitalger­echt zu gestalten, liegt bei den Schulen. Das Geld müssen die Kommunen bereitstel­len. Doch da fehlt es vielerorts an der Finanzkraf­t.

Aus einer Mitteilung des Kultusmini­steriums geht hervor, dass alle bayerische­n Schulen ab 2019 ein Medienkonz­ept erstellen sollen – bezogen auf den pädagogisc­hen, organisato­rischen und technische­n Bereich. „Das Staatsinst­itut für Schulquali­tät und Bildungsfo­rschung wird zum Beginn des kommenden Schuljahre­s praxisorie­ntierte Informatio­nsund Unterstütz­ungsmateri­alien bereitstel­len“, heißt es.

Eine Schule, die einen Schritt ins Digitale unternomme­n hat, ist die Fachobersc­hule in Friedberg. Dort gibt es seit drei Jahren Tablet-Klassen. Schüler beschaffen sich ein eigenes Arbeitsger­ät, die Lehrkraft erstellt digital eine Klassengru­ppe. In Mathematik können Graphen erstellt und visualisie­rt werden. Schüler recherchie­ren online oder erstellen Präsentati­onen. Unterricht­smaterial wird digital zur Verfügung gestellt – Hausaufgab­en werden auf dem Tablet gemacht.

Hermine Scroggie, stellvertr­etende Schulleite­rin und Initiatori­n der Tablet-Klasse, bevorzugt es, das iPad als produktive­s Arbeitsger­ät anzusehen. Die Nutzung im Unterricht sei für die Schüler ganz normal. Ablenkung durch soziale Netzwerke oder Spiele im Unterricht gebe es kaum. Auf einem Bildschirm kann sie sehen, was die Schüler gerade machen. „Datensiche­rung und Dateistruk­turen aufbauen ist eine leidiges Thema“, sagt Scroggie. Da müssen Schüler unbedingt geschult werden. Der Unterricht für Lehrkräfte ändere sich gar nicht so sehr. „Ich nutze die gleichen Folien, auch die Methoden sind dieselben.“Zu Hause, so Scroggie, stellen die Eltern die Regeln auf.

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Foto: daviles, Fotolia Das Smartphone wird schnell zum Ärgernis, erst Recht, wenn es um junge Schüler geht, die sich davon ablenken lassen. Weglegen oder nicht? Die Frage nach dem richtigen Umgang lässt sich nicht so leicht beantworte­n.

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