Augsburger Allgemeine (Land West)

Augsburg, die Fahrradsta­dt

Verkehr Der Blick zurück zeigt: Vor mehr als 100 Jahren wurde die Stadt schon für ihre Wege und liberale Haltung gerühmt

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg ist bemüht, eine fahrradfre­undliche Stadt zu werden. Das Konzept „Fahrradsta­dt 2020“zeigt auf, wie das umsetzbar ist. Das Ziel: Der Anteil des Radverkehr­s am innerstädt­ischen Verkehrsau­fkommen soll auf 25 Prozent steigen. Dabei war Augsburg schon einmal radlerfreu­ndlich. Nachlesbar ist dies in Carl Steinbachs 1901 erschienen­en Vorschläge­n für „Rad-Ausflüge in der Umgebung Augsburgs“. Dieser erste Radtourenf­ührer ist dem 118-seitigen Wanderbuch „Neuer Führer durch Augsburgs Umgebung“von Professor Stauber angehängt.

Der Augsburger Kaufmann Carl Steinbach erarbeitet­e 44 „Rad-Ausflüge in der Umgebung Augsburgs“. Auf 24 Seiten macht er Routenvors­chläge „von einer Morgen- oder Abendausfa­hrt bis zur ausgedehnt­en Tagestour“. Im Vorwort schreibt er: „Der Radfahrspo­rt hat im letzten Jahrzehnt an Ausdehnung ungemein gewonnen und zwar in Kreisen, die ihn weniger als Sport betreiben, sondern weil ihnen das Rad einen weitgehend­en und häufigeren Verkehr mit der Natur ermöglicht.“

Die Umgebung sei aber kein „Eldorado für Radfahrer“: „Die Straßenver­hältnisse im südlichen Bayern lassen bekanntlic­h sehr viel zu wünschen übrig.“Seiner Heimatstad­t stellt er jedoch 1901 ein gutes Zeugnis aus: „Augsburg ist eine radlerfreu­ndliche Stadt, ging sie doch in Bayern damit voran, sämtliche Straßen mit wenigen absolut notwendige­n Ausnahmen dem Radfahrver- freizugebe­n. Noch größeren Dank verdiente sich die liberale Verwaltung der Stadt dadurch, dass sie den Bau eigener Radfahrweg­e in den ihr gehörigen Waldungen bei Siebentisc­h und Ablass gestattet und durch reichliche Zuschüsse ermöglicht hat.“

Bereits anno 1900 gab es im Siebentisc­hwald getrennte Wege für Kutschen, Reiter, Radfahrer und Fußgänger. Man hatte die „Unverträgl­ichkeit“unterschie­dlicher Verkehrste­ilnehmer auf einem einzigen Weg erkannt. Bis Siebenbrun­n war der Radweg weitergefü­hrt, doch bei Ausflügen in den Westen der Stadt blieben Radfahrer auf unbefestig­te Straßen angewiesen. So tragen die Tourenvors­chläge nach Göggingen und Wellenburg sowie nach Pfersee und Stadtberge­n den Zusatz: „Erst im Sommer gut befahrbar.“Das sagt einiges über die Wegeverhäl­tnisse anno 1900 aus.

Im Radsport genoss Augsburg um 1900 deutschlan­dweit hohes Ansehen. Die Augsburger Vereine bekamen 1901 die Ausrichtun­g des „16. Congresses der Allgemeine­n Radfahrer-Union“übertragen. Von Freitag, 19. Juli, bis Dienstag, 23. Juli 1901, beherrscht­en Tausende Radler Augsburg. Für die aus dem gesamten Deutschen Reich, aus Österreich und der Schweiz angereiste­n Vereinsvor­stände und Sportler gab es am Freitagabe­nd einen Empfang im Lichthof von „Drei Mohren“und am Samstagabe­nd einen „Fest-Commers“in der 6000 Personen fassenden „Sängerhall­e“im Stadtgarte­n. Am Sonntagnac­hmittag präsentier­ten sich über 1000 Radler bei einem „Fest- und PreisCorso“durch die Straßen der Innenstadt.

Am Sonntagvor­mittag richtete der „Velociped-Club Augsburg, gegr. 1881“auf seiner Bahn an der Friedberge­r Straße Radrennen aus. Dokumentie­rt ist die Meistersch­aft von Schwaben und Neuburg über 5 km. Daneben gab es eine 2-kmMeisters­chaft für Bayern sowie ein „30-km-Congreßfah­ren“. Meistersch­aften im Reigenfahr­en, Kunstfahre­n auf Niederrad und Hochrad fanden in der „Sängerhall­e“statt.

In einer Halle im Stadtgarte­n präsentier­te die Ausstellun­g „Radsportli­che Gegenständ­e“das neueste Outfit für Radsportle­r samt „reibungsar­mer“Unterwäsch­e. An Zubehör wurden die neuesten Acetylen-Laternen vorgestell­t. Auch „Selbstfahr­er vulgo Motore“waren zu sehen. Die Motorisier­ung des Zweirads hatte also bereits anno 1900 eingesetzt.

Eine „Stafettenf­ahrt“sollte den milikehr tärischen Nutzen des Fahrrads aufzeigen. Die Annahme: Von der 4. Division in Würzburg soll eine Depesche an die 3. Division in Nürnberg und an die 2. Division in Augsburg übermittel­t werden. Bahnlinie und Telegraph sind zerstört, eine Fahrradsta­fette ist zu bilden. Für die 243 km („schwierige­s Terrain, halbe Strecke Gegenwind“) wurden neun Stunden und zehn Minuten (Schnitt 27 km/h) benötigt. Jeweils zwei Fahrer waren zusammen unterwegs. Sie übergaben nach 15 bis 17 Kilometern die Depesche an das nächste Team, das letzte lieferte sie in der Augsburger Kommandant­ur ab. Das Ergebnis wurde von der Generalitä­t als „äußerst günstig“beurteilt. Ansonsten war das Militär musikalisc­h präsent: Augsburger Regimentsk­apellen sorgten bei Konzerten, Früh- und Dämmerscho­ppen für Schwung. Die angereiste­n Gäste bekamen ein üppiges Programm geboten. Dazu zählte eine Fahrt auf Radfahrweg­en zum Waldfest am Hochablass und auf dem Spickel. Den Abschluss des „16. Congresses der RadfahrerU­nion“bildete am Dienstag ein Ausflug per Extrazug nach Füssen mit Besichtigu­ng der Königsschl­össer zum halben Eintrittsp­reis. Diese Tour ohne Fahrrad war frühzeitig ausgebucht.

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Fotos: Sammlung Häußler Das Fahrrad im Rampenlich­t: Zahlreiche Menschen schauen zu, als ein Radlercors­o in der Fuggerstra­ße fährt.
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Werbung fürs Rad: Der durchtrain­ierte Radler stand für den Rad Bun destag im Jahr 1914. Opel warb mit einer Radlerin für seine Drahtesel.
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