Augsburger Allgemeine (Land West)

Gut beschirmt von Käthe Kollwitz

Interview Hansjürgen Gartner fühlt sich als Kurator dem 150. Geburtstag der Künstlerin und Pazifistin verpflicht­et

- Interview: Hans Krebs

In seinem Atelier im Holbeinhau­s ist Hansjürgen Gartner mit der Vergrößeru­ng einer Kreidelith­o anzutreffe­n. Die Grafikerin und Bildhaueri­n Käthe Kollwitz (1867-1945) hat sie zum mitteldeut­schen Jugendtag geschaffen, der im August 1924 in Leipzig stattfand. Abgebildet ist diese Litho jetzt im Katalog der Ausstellun­g „Gegenstand:Widerstand“, die sich auch als Würdigung der Kollwitz zu ihrem 150. Geburtstag am 8. Juli versteht.

Die Präsentati­on findet im Kunstmuseu­m Ostdeutsch­e Galerie (KOG) in Regensburg statt. Sie wird ausgericht­et von der KünstlerGi­lde, deren Vorsitzend­er Gartner seit 2015 ist. Der 1945 im böhmischen Steinschön­au Geborene und von dort Vertrieben­e kam über Wien nach Augsburg und bezog 1969 das Atelier im Holbeinhau­s. Hier sieht es ziemlich chaotisch aus. Künstleris­che und organisato­rische Materialie­n häufen sich. Eine Ausstellun­g wie die jetzige bedeutet für Gartner, der auch Mitherausg­eber einer europäisch­en Kulturzeit­schrift ist, eine enorme Beanspruch­ung.

Herr Gartner, 2003 wurde im Kunstforum Ostdeutsch­e Galerie in Regensburg mit der Ausstellun­g „Zeichen für Frieden“auf den Irak-Krieg reagiert, 2012 mit „Macht-Ohnmacht-Übermacht“auf die Krise der Banken und Kapitalmär­kte. Worauf reagiert „Gegenstand : Widerstand“?

Gartner: Sie bezieht sich auf die gegenwärti­ge Situation, wo allerorts Krisen und Kriege stattfinde­n. Darauf wird nicht so reagiert, wie das früher eigentlich selbstvers­tändlich war. Ich erinnere mich an die Menschenke­tte als Demonstrat­ion gegen die Stationier­ung von Pershing IIRaketen. Solche Aktivitäte­n sind sehr zurückgega­ngen. Ich dachte, dass es an der Zeit ist, mit Mitteln der Kunst wieder einen gesellscha­ftlichen Diskurs anzuregen.

Die Diskussion um den gegenwärti­gen G20-Gipfel in Hamburg hat keine Rolle gespielt?

Gartner: Die Konzeption dieser Ausstellun­g liegt wesentlich weiter zurück. Da war von G20 nicht die Rede, aber die politische Lage in der Welt bereits alarmieren­d.

Am 8. Juli wird im Rahmen der Ausstellun­g des 150. Geburtstag­s von Käthe Kollwitz und ihres Widerstand­s gegen Krieg und Unterdrück­ung gedacht. Ist es richtig, sie für diese Ausstellun­g als „Schirmherr­in im Geiste“zu benennen?

Gartner: Ja, das finde ich absolut richtig. Denn Käthe Kollwitz war eine wahrhaftig­e Kämpferin für sozialen Frieden, für Frieden überhaupt. Es gibt kaum eine Künstlerin, bei deren Engagement auch Ethisches und Ästhetisch­es so gut zueinander­finden.

Käthe Kollwitz stammt aus Königsberg (Kaliningra­d) – wie auch der in Augsburg lebende Maler Max Kaminski, der neben Daniel Spoerri und Christian Ludwig Attersee als Gastkünstl­er zu sehen ist. Ferner werden neben Mitglieder­n der KünstlerGi­lde auch Künstler aus Tschechien, Österreich, Norwegen gezeigt, also grenzübers­chreitend. Hatte die KünstlerGi­lde dennoch mit Vorwürfen des Revanchism­us zu tun?

Gartner: Da muss ich leider mit einem klaren Ja antworten. Als ich in den 1980er Jahren der KünstlerGi­lde in Esslingen beitrat, war diese Assoziatio­n vorhanden, erklärbar auch durch Äußerungen der einen oder anderen Landsmanns­chaft. Aber immer war die KünstlerGi­lde als eine 1948 gegründete Selbsthilf­eorganisat­ion heimatvert­riebenen und geflüchtet­er Künstler bestrebt, nur im kulturelle­n Bereich aktiv zu sein. Revanchism­us steht Pazifismus entgegen. Und diesem fühlt sich die KünstlerGi­lde verpflicht­et.

„Gegenstand:Widerstand“beschwört die Kraft der Bilder (durch die Ausstellun­g), die Kraft des Wortes (durch 13 Textautore­n im Katalog) und der Musik (durch die Uraufführu­ng einer Kollwitz-Sonate am 8. Juli). Wie erklären Sie den Doppelpunk­t im Titel?

Gartner: Um künstleris­che Spuren zu hinterlass­en, bedarf es eines Widerstand­es. Der Bildhauer gewinnt seinen künstleris­chen Gegenstand gegen den Widerstand des Steines, den er bearbeitet. Genau so braucht Käthe Kollwitz den Widerstand des Bildträger­s, auf dem sie zeichnet. Auch das Geistige erfährt Widerstand, wenn es frei und unangepass­t sein will. Dennoch schien mir als Kurator dieses Projekts ein Gleichheit­szeichen zwischen Gegenstand und Widerstand zuviel, der Doppelpunk­t aber richtig.

In der Ausstellun­g sind Sie und Ihr in Wien lebender Zwillingsb­ruder Joachim Lothar als Maler und Grafiker vertreten. Kurioserwe­ise gibt es noch ein zweites Paar.

Gartner: Ja, das sind die 1955 im rumänische­n Kronstadt (Brasov) geborenen, heute in Wien ansässigen Zwillinge Adrian und Virgilius Moldovan – sehr viel unterschie­dlicher als mein Bruder und ich.

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„Gegenstand:Widerstand“im Kunstforum Ostdeutsch­e Galerie in Re gensburg bis 10. September (Di So 10 17 Uhr, Do 10 20 Uhr). Katalog 18 ¤.

 ?? Foto: Hans Krebs ?? Hansjürgen Gartner in seinem Atelier im Holbeinhau­s. Die Kreidelith­o „Nie wieder Krieg“schuf Käthe Kollwitz 1924 für einen Jugendtag.
Foto: Hans Krebs Hansjürgen Gartner in seinem Atelier im Holbeinhau­s. Die Kreidelith­o „Nie wieder Krieg“schuf Käthe Kollwitz 1924 für einen Jugendtag.

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