Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie soll die Stadt in 30 Jahren aussehen?
Stadtentwicklung Wohngebiete, Verkehr und Grünflächen: Die Verwaltung blickt mit einem neuen Plan in die Zukunft. Welche Rolle der Klimawandel und die Digitalisierung dabei spielen
Augsburg ist momentan dabei, sich neu zu erfinden: In den kommenden eineinhalb Jahren will die Stadt zusammen mit Bürgern und Fachleuten einen Plan fertigstellen, wie sich Augsburg in den nächsten 30 Jahren entwickeln soll. Die Frage, wo neue Wohngebiete entstehen, wird darin genauso behandelt wie neue Straßenbauprojekte, Gewerbegebiete und Grünflächen. Jetzt steht ein Vorentwurf. „Es wird die Weichenstellungen in der Stadtentwicklung der kommenden Jahrzehnte entscheidend beeinflussen“, sagt der Leiter des Stadtplanungsamtes, Norbert Diener.
Das Konzept soll unter anderem helfen, wenn es konkurrierende Ziele gibt. Beispiele sind die geplante BMW-Ansiedlung vor knapp 20 Jahre n– Arbeitsplätze contra Frischluftschneise – oder ganz aktuell die Flugplatzheide – Wohnungen contra Artenvielfalt. „Das Konzept setzt sich mit diesen Konkurrenzen auseinander, indem abgestimmt ist, Nutzung wo kann“, sagt Diener.
Auf acht thematischen Karten ist verzeichnet, wo sich was entwickeln kann. Beispiel Wohngebiete: Hier sind die jetzt schon geplanten Areale wie Sheridan-Nord oder der Mittlere Ladehof eingezeichnet, bis hin zum neuen Großgebiet Haunstetten-Südwest. Sollte dies in 25 Jahren einmal vollständig bebaut sein, sind Flächen für eine weitere mögliche Wohnentwicklung eingezeichnet, vor allem im Süden von Göggingen, Inningen und Hochzoll. Allerdings sind das Überlegungen, die wohl erst die nächste Generation betreffen.
Zumindest muss bei diesen Flächen sichergestellt sein, dass sie keine sensiblen ökologischen Bereiche betreffen und verkehrlich erschließbar sind. „Die Dinge sind soweit schon in Deckung gebracht“, sagt Diener. Wohnen, Mobilität, Stadtteilentwicklung, Umwelt, Grünflächen, Soziales, Bildung, Kultur und Wirtschaft – all diese Bereiche, für die es teils schon gesonderte Kon- entstehen zepte gibt, sollen aufeinander abgestimmt entwickelt werden.
Ein einfaches Beispiel, das aber Zusammenhänge verdeutlicht: Über Bebauungspläne sollen große Einzelhandelsprojekte am Unteren Talweg verhindert werden. So soll eine weitere Schwächung des Haunstetter Zentrums gestoppt werden. Das soll ein Baustein dabei sein, Viertel lebenswert zu erhalten.
Um das Konzept zu formulieren, hat die Stadt zusammen mit Bürgern Ziele erarbeitet und Stärken und Schwächen analysiert. Die Bandbreite ist groß. Der Punkt, dass in Augsburg zu wenig Konzernzentralen sitzen, taucht ebenso auf wie das hohe Armutsrisiko.
Immer heiß diskutiert ist das Thema Mobilität. Das Konzept sieht vor, den Nahverkehr auszubauen, weitere P+R-Plätze zu errichten (z. B. am Inninger Bahnhof) oder die Konrad-Adenauer-Allee zur Fahrradstraße zu machen. Geprüft werden soll für den Autoverkehr der Bau der Entlastungsstraße am Bahnhof, die Nordtangente zwiwelche schen Plärrer und MAN und die MAN-Spange als Lückenschluss zwischen Berliner Allee und Sebastianstraße. Explizit gefordert werden diese Straßen im Konzept nicht.
Im neuen Viertel HaunstettenSüdwest wird wohl schon vieles, was man sich konzeptionell überlegt, umgesetzt. Es kann mit Abstrichen eine Art Blaupause dafür sein, wie sich Augsburg entwickelt. Wohnen, Grün, Gewerbe, Schule, Geschäfte liegen in fußläufiger Nähe. „Der beste Verkehr ist der, der gar nicht erst entsteht“, sagt Diener. Aus diesem Grund wird es weiterhin Gewerbegebiete im ganzen Stadtgebiet geben, auch wenn es eine Konzentration im Osten gib.
Ein anderes Beispiel: Weil es künftig mehr Starkregenereignisse geben wird, soll in HaunstettenSüdwest Regenwasser nicht nur klassisch über die Kanalisation entsorgt werden. Als in Berlin vor einigen Tagen die Regenmenge eines Monats an einem Tag fiel, war die Stadt lahmgelegt. Eine Idee ist für Augsburg, Grünanlagen gezielt so anzulegen, dass sie einen Meter tiefer liegen und Wasser über die Straßenoberfläche dorthin fließt und versickert. Denn schon heute gibt es etwa in Teilen Lechhausens oder in Bergheim Schwierigkeiten, alle Niederschläge über die Kanalisation wegzubekommen.
Auch das Thema „Smart City“wird im Stadtentwicklungskonzept eine Rolle spielen – in Augsburg wurde die Thematik bisher ausgeblendet. Wie geht die Stadt mit der Digitalisierung um und wie nutzt sie diese Möglichkeiten – bevor es andere tun? „Was ist, wenn zum Beispiel Google Nutzern einen Service anbietet, sie zu freien Parkplätzen im Straßenraum zu lotsen?“, fragt Ulrike Bosch, die das Konzept mit betreut. Welche Parkplätze dann – verbunden mit entsprechendem Verkehr – verstärkt angesteuert würden, sei für die Stadt zunächst nicht nachvollziehbar. Am 18. Oktober werden die bisherigen Ergebnisse im Rathaus den Bürgern vorund zur Diskussion gestellt. Es folgt ein Online-Dialog.
»Kommentar
Das Stadtentwicklungskonzept wird nicht dafür sorgen, dass Augsburg in 30 Jahren überall toll und schön ist. Das ist nicht realistisch. Es wird dem Konzept so gehen wie allen bestehenden Konzepten von Wohnen und Verkehr bis hin zu Spielplätzen: Viele Ideen (aber nicht alle) sind gut, nicht alles lässt sich in der Praxis umsetzen, Geld ist ohnehin wenig da. Und selbst wenn es klappt, sieht man Erfolge, speziell im sozialen Bereich, nicht direkt.
An all dem ändert auch das Stadtentwicklungskonzept nichts. Gut angelegt sind die knapp 500 000 Euro aber trotzdem. Die Stadt hat sich die Zeit genommen, strategisch zu überlegen, wohin sie will. Die Bürger durften und dürfen dabei mitreden. Es sind viele Dinge dabei, die auf der Ebene der Alltagspolitik kontrovers diskutiert werden, etwa Verkehrsprojekte wie die Straßenbahnlinie 5 oder die sogenannte Entlastungsstraße und die MANSpange. Der Vorteil des Stadtentwicklungskonzeptes kann es sein, diverse Interessen unter einen Hut zu bringen, wobei sich nicht jeder Konflikt in Luft auflöst. Natürlich ist das Konzept nicht ein für alle Mal festgeschrieben – in 30 Jahren können sich Dinge ändern. Trotzdem muss der Politik eines klar sein: An das, was sie in eineinhalb Jahren beschließen wird, sollte sie sich dann auch halten. Wo das Konzept zum Beispiel ökologisch wichtige Grünflächen sieht (unabhängig vom formalen Schutzstatus), ist ein Bauprojekt schwierig vorstellbar. Kippt die Stadt bei erster Gelegenheit um, hätte sie sich das Konzept besser gespart.