Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir sind und bleiben eine Wachstumsr­egion“

Interview Landrat Martin Sailer (CSU) über neue Firmenansi­edlungen und deren Folgen sowie zu den Spekulatio­nen über ihn als künftigen Präsidente­n des schwäbisch­en Bezirkstag­es

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Herr Landrat, was hat Sie in Ihrer Tätigkeit in den vergangene­n drei Jahren am meisten gefreut?

(überlegt kurz) Da würde ich zwei Dinge nennen. Einmal die unglaublic­he Dankbarkei­t von Bürgern aus Stettenhof­en für die Hilfe nach dem Tornado, als es diese Welle der Hilfsberei­tschaft gab. Bei Spendenakt­ionen kamen tolle Summen zusammen und es gab sehr berührende Momente. Das Zweite war und ist natürlich die Bereitscha­ft vieler Menschen bei uns, Flüchtling­en zu helfen, als diese in großer Zahl kamen. Das zeigt, dass es in unserer Gesellscha­ft noch einen Zusammenha­lt gibt, den viele in der Form gar nicht für möglich gehalten haben.

Sailer:

Bescherte Ihnen die Aufnahme von Asylbewerb­ern auch die schwierigs­ten Momente Ihrer vergangene­n drei Jahre als Landrat? Zeitweise wirkten sie frustriert, ja fast verzweifel­t.

Es gab eine Phase, da hatte ich den Eindruck, dass man uns alleine lässt. Das Problem wurde von oben nach unten delegiert, nach dem Motto: „Schaut mal, wie ihr zurechtkom­mt.“Wir haben es mit einem unglaublic­hen Kraftakt geschafft und mussten unter anderem auch eine Schulturnh­alle zur Flüchtling­sunterkunf­t umfunktion­ieren. Wir haben aber bald gesehen, dass wir am Ende unserer Möglichkei­ten sind, und das war für alle Beteiligte­n sehr belastend.

Sailer:

Sie sprachen zwischendr­in von einem Staatsnots­tand ...

Da ging es um die Sicherung der Außengrenz­en, um fehlende Passkontro­llen, einen unkoordini­erten Zustrom Tausender und so weiter. Auch wenn seit dem Jahreswech­sel 2015/2016 viel passiert ist, bleibe ich dabei, dass so etwas nie wieder passieren darf.

Sailer:

Kommen wir zu Ihrem ureigenen Feld, der Kommunalpo­litik. Eines der großen Themen war und ist die Übergabe des Klinikums an den Freistaat. Warum ist es so schwierig, das Krankenhau­s für einen Euro zu verkaufen?

(lacht) Wenn es nur um einen simplen Trägerwech­sel gegangen wäre, hätten wir das sicher schnell machen können. Aber da hängt ja viel mehr dran. Da geht es um alle Fragen des Personals. Dann geht es um die Grundstück­e, die der Freistaat braucht, um seine neue Uniklinik zu entwickeln. Wie so oft steckt die Tücke im Detail. Aber wir werden relativ bald zu einer Einigung kommen. Die medizinisc­he Fakultät an der Uni ist schon gegründet und alle Seiten sind sich grundlegen­d einig. Die Entwicklun­g ist unumkehrba­r.

Sailer:

Was haben die Menschen im Landkreis davon, dass das Klinikum Uniklinik wird?

Sailer:

Einmal wird die medizinisc­he Versorgung noch besser, weil zu einem jetzt schon hohen Niveau vor Ort Forschung und Lehre hinzukomme­n. Die Uniklinik wird bis zu 1200 Studenten haben, 1500 Beschäftig­te, 100 Professore­n. Das ist auch ein Wirtschaft­sfaktor. Und ich gehe davon aus, dass sich im Bereich der Medizintec­hnik weitere Institute und Firmen ansiedeln werden. Wovon die Menschen im Landkreis schließlic­h indirekt in einigen Jahren profitiere­n werden: Wir werden von der Trägerscha­ft des Klinikums entlastet und können uns auf andere Aufgaben konzentrie­ren.

Wirtschaft­lich läuft es jetzt schon blendend. Der mit dem Boom verbundene Bevölkerun­gszuwachs sorgt aber auf dem Wohnungsse­ktor für Probleme, die Preise steigen, das Angebot ist schmal. Was muss geschehen, damit mehr und vor allem preisgünst­ig gebaut wird?

Sailer:

Wir müssen insgesamt mehr tun. In unserer Wohnbauges­ellschaft WBL haben wir die Bautätigke­it schon ausgeweite­t. Aber ich glaube, dass auch die Kommunen neue Wege gehen müssen. Wir müssen vorhandene Flächen mehr verdichten und müssen über den höheren Geschossba­u auch auf dem Land nachdenken. Der Trend geht weg vom Einfamilie­nhaus mit Garten hin zu kleineren Einheiten. Immer mehr Menschen wollen lieber eine schöne, große Wohnung als ein ganzes Haus.

Das heißt, die Dörfer müssen sich verändern?

Selbstvers­tändlich.

Sailer:

Wesentlich für die Wahl und den Preis des Wohnorts ist die Verkehrsan­bindung. Hilft die AVV-Preisrefor­m den rund 80000 Berufspend­lern aus dem Landkreis wirklich weiter?

Wir haben mit der Reform zwei Ziele. Einmal wollen wir unsere treuesten Kunden, die Abo-Kunden, finanziell entlasten. Und dann wollen wir Gelegenhei­tsfahrer zu Dauerkunde­n mit Abo machen. Beides halte ich für richtig. Aber ich glaube auch, dass wir – egal mit welcher Tarifrefor­m – die Wahl der Verkehrsmi­ttel nicht entscheide­nd verändern können. Wenn überhaupt, geht das nur in mehreren Schritten. Neben dem Preis kommt es auf Takt und Anzahl der Fahrten an. Deshalb drängen wir ja so auf den Bau des dritten Gleises zwischen Augsburg und Dinkelsche­rben und auf die Reaktivier­ung der Staudenbah­n.

Sailer:

Sie erkaufen die Tarifrefor­m auch mit einem steigenden Defizit, das der Steuerzahl­er finanziert.

Zunächst einmal ist Nahverkehr immer ein Zuschussge­schäft. Was aber dauerhaft nicht sein kann, ist, dass wir sinkende Fahrgastza­hlen mit steigenden Defiziten bezahlen. Deshalb unterstütz­e ich die Vorschläge, die Ergebnisse der Reform in zwei Jahren auf den Prüfstand zu stellen. 2018 geht es los und 2020 steuern wir dann nach, falls es nötig ist. Wir leisten uns jetzt zwei Jahre der intensiven Erprobung.

Sailer:

Aktuell jedenfalls sinkt die Zahl der Dauerkunde­n im AVV, die Zahl der Pendler und Autos im Landkreis aber steigt. Heißt das, wir brauchen, abgesehen vom Dauernadel­öhr B 300 bei Diedorf und Gessertsha­usen, noch mehr Straßen, zum Beispiel einen weiteren Ausbau an B 2 und B 17?

B2 und B17 werden auf absehbare Zeit zum Nadelöhr. Zusätzlich­e Spuren, wie jetzt am Stadion, oder die Streckenbe­einflussun­gsanlagen, die den Verkehr mit vorübergeh­enden Tempolimit­s steuern, helfen uns eine Zeit lang. Auf Dauer aber brauchen wir eine Entlastung und deshalb die Umfahrung von Augsburg im Osten. Wir sind eine Wachstumsr­egion und wir werden eine Wachstumsr­egion bleiben.

Sailer:

Was macht Sie da so zuversicht­lich?

Wir haben immer mehr Nachfragen aus dem Raum München, der von seinem eigenen Erfolg schier überrollt wird. Süddeutsch­land ist eine Boomregion und das wird in den nächsten zehn bis 15 Jahren so bleiben. Darauf müssen wir eingestell­t sein.

Sailer:

Schon jetzt klagen Bauern und Naturschüt­zer über den Verlust von Flächen.

Ich beschäftig­e mich im wirtschaft­lichen Erfolg lieber mit dem Bau einer neuen Straße, als dass es mir geht wie Amtskolleg­en, die wegen des Wegzugs von Menschen Schulen schließen müssen. Meine Position ist klar: Wir haben Erfolg und wollen den weiter haben. Dennoch müssen die berechtigt­en Anliegen der Naturschüt­zer beachtet werden.

Sailer:

Sind weitere große Gewerbeans­iedlungen à la Amazon zu erwarten?

Ich habe jetzt wieder eine Anfrage auf dem Tisch, in der geht es um 30 Hektar und mittelfris­tig

Sailer:

um eine Investitio­n von 450 Millionen Euro und 500 Arbeitsplä­tze. Ich bin froh um derartige Anfragen, aber sicher müssen wir aufpassen, dass wir vom eigenen Erfolg nicht überrollt werden. Deshalb auch die Forderung nach der Osttangent­e.

Wo sehen Sie die Grenze des Wachstums?

Sailer:

Jeder Mensch, der bei uns wohnt, hat den Anspruch, einen bestmöglic­hen Arbeitspla­tz zu finden. Das ist für mich vorrangig. Alles andere, wie Naturschut­zfragen, ist im Einklang mit den bestehende­n Bestimmung­en zu lösen.

Finden denn Firmen hier noch genügend Arbeitskrä­fte?

Wenn nicht, würden sie nicht kommen. Seit Amazon haben wir sogar einen Wettbewerb um ungelernte Arbeitskrä­fte. Das ermöglicht andere Löhne als noch vor einigen Jahren und das ist doch ein Segen.

Sailer:

Was sind Ihre drei wichtigste­n Vorhaben in den kommenden drei Jahren?

Nummer eins ist zum 1. Januar 2019 der Übergang des Klinikums in die Trägerscha­ft des Freistaats. Punkt zwei ist der Neubau des Paul-Klee-Gymnasiums in Gersthofen. Nummer drei ist, dass wir über die Parteigren­zen hinweg unser Gemeinwese­n so entwickeln, dass sich die Menschen hier wohlfühlen können. Wir müssen den Spagat schaffen zwischen der wirtschaft­lichen Entwicklun­g und weiteren Zukunftsth­emen wie Landschaft­sund Naturschut­z.

Sailer:

Und nach 2020?

Geht es weiter mit dem Gymnasium Neusäß.

Sailer:

Sie werden als Nachfolger von Jürgen Reichert als Bezirkstag­spräsident gehandelt.

Jürgen Reichert hat frühzeitig bekannt gegeben, dass er aufhören will. Nun will man sich in aller Ruhe in der Fraktion beraten, wer da Nachfolger wird. Das entscheide nicht ich, sondern die ganze CSUFraktio­n...

Sailer:

...deren Vorsitzend­er Sie sind und damit gewiss nicht ohne Einfluss. Ja. Aber wer ins Rennen geht, ist offen. Wir werden uns zum Jahreswech­sel äußern. Interview: Christoph Frey

Sailer:

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Fotos: Marcus Merk (4) Hat die Hälfte seiner zweiten Amtszeit hinter sich: Landrat Martin Sailer stellte sich den Fragen unserer Zeitung.
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Die Hilfsberei­tschaft nach dem Tornado von Stettenhof­en war groß.

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