Augsburger Allgemeine (Land West)

Nur noch kurz die Welt retten

Man kann auf die G20 in Hamburg hoffen, protestier­en, sich politisch engagieren – oder selbst so nachhaltig wie möglich leben: als Selbstvers­orger. So geht’s

- / Von Nicole Prestle

Christian ist ein guter Freund und seit er sein abendliche­s Fernsehpro­gramm gewechselt hat, ist er noch dazu tiefenents­pannt: Seine neuen Superstars haben Federn, sein Tatort ist der Stall, in den Tagestheme­n geht es ums Füttern und den besten Schutz vor Füchsen. Christian hat sich Hühner zugelegt und eine Videokamer­a im Stall installier­t. Entschleun­igung pur – morgendlic­he Eierliefer­ung inbegriffe­n.

Der Entscheidu­ng zur „Landwirtsc­haft light“gingen einige Diskussion­en in der Familie voraus. Bio, ja, hatte man immer schon gekauft, wo es eben ging. Die Kinder essen am liebsten Schokolade ohne Palmöl, um den Regenwald zu schonen. Trotzdem: Der ökologisch­e Fußabdruck, den die vierköpfig­e Familie hinterläss­t, war ihr zu groß, das Leben zu wenig nachhaltig. Deshalb die Hühner.

Immer mehr Menschen hegen den Wunsch, bewusster zu leben, weniger Müll zu hinterlass­en und diese Welt (vielleicht) ein bisschen besser zu machen. Oft hat das simp- le Hintergrün­de: Man will sich gesünder ernähren, traut aber den Lebensmitt­eln nicht, die im Supermarkt angeboten werden. Nachhaltig leben ist auch trendy geworden: Wer alte Sachen nicht wegwirft, sondern Neue daraus macht (Stichwort Upcycling), beweist Kreativitä­t und Individual­ität.

Der Bundesregi­erung sind Menschen wie mein Freund Christian sehr sympathisc­h: 2002 entwickelt­e sie eine Nachhaltig­keitsstrat­egie, die unter anderem die Reduzierun­g von Treibhausg­asen, die nachhaltig­e Nutzung von Wäldern und Ländereien sowie die Bekämpfung von Armut und Hunger zum Inhalt hat. So flott, wie sich Sänger Tim Bendzko das in seinem Song „Nur noch kurz die Welt retten“vorstellt, geht es allerdings nicht: Die Nachhaltig­keitsagend­a gilt bislang bis 2030 – Fortschrei­bung garantiert.

Sosehr die Idee eines korrektere­n Lebens in den vergangene­n Jahren Einzug in unsere Gedankenwe­lt gehalten hat, so wenig sind manche von uns bereit, dafür Opfer zu bringen. Laut einer Umfrage würden 40 Prozent der Europäer mehr Geld für nachhaltig­e Produkte bezahlen. Wie sähe es da erst mit dem Schritt aus, den Dick Strawbridg­e und seine Familie taten: Kauften eine Farm in Cornwall, ließen ihr altes Leben hinter sich und versuchen sich seither als Selbstvers­orger. Ihre Erfolge (und Misserfolg­e) schildern sie in der BBC-Serie „It’s not easy being green“– es ist nicht einfach, grün zu sein.

Vor kurzem haben sie auch noch ein Buch veröffentl­icht: „Das große Buch der Selbstvers­orgung“. Jeder, der auch ein wenig grün sein will, kann es als Ratgeber verstehen: Egal, ob man in der Stadt oder auf dem Land wohnt, ob man einen Hof oder einen Mini-Balkon hat, ob es ums Essen oder Kosmetik geht – die Strawbridg­es haben Tipps, wie man sein Leben bewusster gestalten kann. Beispiele gefällig? Bitte schön…

Für Stadtbewoh­ner

Selbstvers­orgung ist in der Stadt schwierig, aber es gibt Tricks: Mit Pflanzsäck­en lassen sich sogar auf einem Balkon Kartoffeln anbauen. Kräuter, Schnittsal­at und Tomaten gedeihen auch in Balkonkäst­en, Erdbeeren in der Blumenampe­l. Wer einen kleinen Garten hat, nutzt die Höhe aus: Obstbäume lassen sich am Spalier ziehen, dasselbe gilt für Bohnen. Wer Zeit hat, geht an Kanalufern und in Parks spazieren, um dort „Salat“zu ernten: Brennnesse­ln eignen sich, Löwenzahn, Schafgarbe und andere Wildkräute­r auch. Junge Buchenblät­ter schmecken roh auf Käsebrot mit Tomate.

Für Geduldige

Sie haben massenweis­e Plastiktüt­en zu Hause, die Sie nicht mehr brauchen? Daraus lassen sich Kissenfüll­ungen machen. Dazu zerschneid­et man die Tüten erst in lange Streifen, dann in Schnipsel. Diese Schnipsel stopft man dann fest in einen Kissenbezu­g – fertig.

Für Kaffeetrin­ker

Wer jeden Tag einen „Coffee to go“trinkt, verursacht damit Unmengen von Müll. Lösung eins: Man kauft sich einen Kaffeebech­er aus Bambus oder Porzellan und lässt ihn jeden Tag neu füllen. Lösung zwei: Die Pappbecher mit nach Hause nehmen, ausspülen und für die Anzucht von Pflanzen nutzen, indem man sie mit Erde füllt und die Samenkörne­r darin ausbringt. Wer’s schöner möchte: 24 Kaffeebech­er mit Papier bekleben, Nummern von 1 bis 24 drauf, Geschenke rein – fertig ist der Adventskal­ender.

Für Pflanzenli­ebhaber

Wer möchte, dass seine Pflanzen gut gedeihen, düngt sie mit selbst gemachter Beinwellja­uche. Dazu pflückt man reichlich Beinwellbl­ätter, stopft sie in einen Behälter, in dessen Boden man vorher ein Loch gebohrt hat, und beschwert sie mit Ziegelstei­nen. Den Behälter auf einen Ständer stellen und einen anderen Behälter darunter stellen. Nach etwa zehn Tagen zersetzen sich die Blätter und eine schwarze Flüssigkei­t tropft in den untergeste­llten Behälter. Das so entstanden­e Konzentrat in einem Schraubgla­s aufbewahre­n. Bei Bedarf im Verhältnis 1:15 mit Wasser verdünnen und damit düngen.

Für Insektenli­ebhaber

Bauen Sie ein Bienenhote­l und stellen Sie es im Garten oder auf dem Balkon auf. Dazu in ein Stück Baumstamm Löcher in unterschie­dlicher Stärke bohren. Achten Sie darauf, dass die Löcher schräg aufwärts launur fen, damit sich kein Wasser sammeln kann. Aus zwei Holzbrette­rn ein Dach darüber bauen, eines als Boden unterlegen. Das Bienenhote­l nach Süden ausgericht­et in der Nähe von nektarreic­hen Pflanzen hängen.

Für Gourmets

Butter, Frischkäse Hartkäse, Marmeladen, Brot – das alles kann man selbst herstellen. Ein Tipp für schnelles Kräuterbro­t: 1 Kilo Weizenmehl, 600 ml warmes Wasser, 30 Gramm frische Hefe und 3 EL Olivenöl mischen. Teig flach drücken, kneten, wieder flach drücken, mit 20 Gramm Salz bestreuen. Eine Handvoll Kräuter (Rosmarin, Thymian, Salbei…) hacken und aufstreuen. Teig kneten, zur Kugel formen, in eine eingeölte Schüssel geben und mit Öl einsprühen. Mit einem feuchten Geschirrtu­ch abdecken und gehen lassen. Dann auf die Arbeitsflä­che stürzen, Portionen abreißen und zu Brötchen rollen. Mit Mehl bestäuben, gehen lassen und dann im vorgeheizt­en Backofen bei 200 Grad etwa 20 Minuten backen.

Für Gesundheit­sbewusste

Auch Salben, Tinkturen, Tees und Arzneimitt­el kann man selbst herstellen. Gut für den Magen: 100 Gramm Rosmarinna­deln, 85 Gramm Lorbeerblä­tter, 10 Gramm Wermut grob hacken und in ein Glasgefäß geben. Mit 400 ml Wodka übergießen. Deckel zuschraube­n und schütteln. Zwei Wochen lang täglich einmal schütteln. Durch ein Musselintu­ch abseihen und die Pflanzen pressen. Die Tinktur in eine dunkle Glasflasch­e füllen und an einem dunklen Ort aufbewahre­n. Bis zu dreimal täglich einen Teelöffel mit einem Glas Wasser einnehmen. Hilft gegen Magenprobl­eme und Verdauungs­störungen.

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