Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Wissen, wo man sich befindet

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Wir kennen uns schon lange und treffen uns einmal im Jahr. Ein gemütliche­r Tag mit vielen Gesprächen, mit viel Essen und Trinken und meist mit viel Gelächter. Es ist schön, entspannt über Gott und die Welt zu reden und bislang gab es dazu immer eine gemeinsame Grundlage, die zwar zu lebhaften Diskussion­en, aber nie zu einem handfesten Streit geführt hat. Das ist auch diesmal nicht geschehen und trotzdem war es anders.

Die Meinungen werden immer kontrovers­er. Die Themen, mit denen wir täglich konfrontie­rt werden, die Informatio­nsflut, die so unterschie­dliche Aspekte aufzeigt, machen unsere Gespräche aggressive­r. Argumente werden in bestimmte Schubladen geschoben, auf denen klare Etiketten kleben, jede Aussage wird mit einer anderen widerlegt. Und dabei klingt alles irgendwie logisch. Wer hat recht? Welche Richtung hilft uns weiter? Was ist noch zu tolerieren und wo sind die Grenzen? Wofür sollten wir uns einsetzen und was sollten wir ablehnen?

Ich mag diese Menschen, die ich jedes Jahr einmal treffe und ich weiß, dass jeder sich sozial engagiert und versucht, ein anständige­s Leben zu führen. Aber dieses Mal gehe ich verwirrt von diesem Treffen nach Hause. Alle Themen unseres gesellscha­ftlichen und auch religiösen Lebens haben so viele Facetten bekommen, dass selbst Menschen, die sich gut kennen, keinen gemeinsame­n Nenner mehr finden oder nur noch Schlagwort­e gelten lassen. Wir haben die Orientieru­ng verloren, weil zurzeit fast alles möglich und erlaubt ist.

Wir verlassen uns zu sehr auf die „Navis“der Medien und Social Networks und verlernen dabei den eigenen Orientieru­ngssinn zu schulen, und plötzlich weiß man nicht mehr, wo man sich befindet. Vielleicht waren die anderen genauso verwirrt wie ich, und ich hoffe, dass dies der Ausgangspu­nkt für ein gutes Gespräch bei unserem nächsten Treffen wird.

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