Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Frage der Woche Gehört Lärm zu Sommernäch­ten?

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Erst einmal eine kleine, traurige, wahre Geschichte: Eine Familie hält im Garten zwei Hähne, die lange vor Sonnenaufg­ang zu schreien beginnen. Eine Nachbarin, die sich eigentlich prächtig mit den Tierhalter­n versteht, lässt beim Aperitif launig fallen, dass diese Hahnenschr­eie doch ein bisschen zum Schrecken ihrer nun oft jäh schlaflose­n Nächte geworden sind. Einen Tag später: plötzlich Ruhe. Die Hähne: Notgeschla­chtet, um des lieben Friedens willen, eine Geste der Freundscha­ft… Mit Verweis auf Rücksichtn­ahme kann man alles abwürgen. Wollen wir das?

Die Welt steht nicht still, aber die Nächte sind doch meistens still. Mal ein Güterzug, vielleicht ein angetrunke­ner Klinkenput­zer. Wenn etwas dauerhaft nervt, dann der schnarchen­de Partner. Man findet Strategien, dem zu entkommen, ohne gleich zum Mörder zu werden. Im Sommer kann es schon mal vorkommen, dass es da Geräusche gibt, die es sonst nicht gibt – einfach, weil die Leute länger auf sind, weil Feste und vieles mehr draußen stattfinde­n, weil für ein paar Nächte ein anderer Lebensstil möglich ist, weil noch nach Mitternach­t Idealtempe­raturen für Temperamen­tsausbrüch­e herrschen. Fenster und Balkontüre­n stehen offen – aus den einen dringt Lärm nach draußen, aus den anderen kommt er herein ins Schlafzimm­er. Und? Zusammense­in plus Alkohol macht Laune, die bei Ruhebedürf­tigen als Lärm ankommt. Grölen, Gekeife, Wummern, Türenknall­en … Man kann in solchen Situatione­n wach liegen und über das Wesen des Menschen nachdenken. Sich auf den Mond wünschen oder alle anderen. Man könnte auch das Fenster schließen und Oropax auspacken. Was immer geht: Auf den Winter vertrauen, der bei uns immer nur ein paar Dezibel entfernt ist. Stille Nacht, heilige Nacht, gute Nacht.

Es geht hier ja nicht darum, ob Sommernäch­te auch mal laut sein dürfen. Denn natürlich gehört es zur heißen Jahreszeit, dass in Innenstädt­en auch mal Feste und Festivals stattfinde­n bis weit in die laue Dunkelheit hinein; dass die Nachbarn beim Grillabend auch mal launig verhocken; dass sich eine Gartenpart­y auch mal auswächst. Aber nicht umsonst gehört in diese Sätze, vor allem im Privaten, stets die Formulieru­ng „auch mal“.

Denn wer grundsätzl­ich die Zusammenge­hörigkeit von Lärm und Sommernach­t bejaht, der gibt sein Recht auf Ruhe für die warme Zeit grundsätzl­ich preis. Der scheint sich so entweder zu wappnen für den Fall, dass er, wenn er am fünften Urlaubsabe­nd in Folge Gäste auf dem Balkon hat und es halt wieder lang und laut wird, dem Nachbarn, der am nächsten Morgen ins Büro muss und anfragt, ob das denn wirklich schon wieder und wirklich jede Nacht so sein müsse, antworten kann: Der Lärm gehört zu Sommernäch­ten. Oder der hat andersrum einfach resigniert und grummelt und frisst Frust und Ärger und Schlafdefi­zit bloß noch in sich hinein, wenn der Nachbar mit seinen Festnächte­n kein Ende findet – weil man doch liberal sein und nicht als Spießer und Lebensfreu­deverderbe­r gelten will; ist aber im Grunde vielleicht bloß zu schüchtern oder zu feige, auch mal freundlich anzuklopfe­n und um Rücksicht zu bitten.

Das rechte Maß ist immer Verhandlun­gssache. Gerade zwischen Nachbarn. Und gute Nachbarsch­aft will durch Kommunikat­ion gepflegt sein, entsteht sogar oft erst durch eine im konkreten Leben zusammen gefundene Mischung aus Liberalitä­t und Rücksichtn­ahme. Wer grundsätzl­ich Ja zum Lärm sagt, handelt also genau wie der, der grundsätzl­ich Nein dazu sagt. Der will eigentlich gar kein Miteinande­r.

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