Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Kleid der Mutter

Anna Katharina Hahn liest in St. Stephan

- VON GERLINDE KNOLLER

Es ist ein kleines Kunststück – mit diesen roten, hochhackig­en Pumps auf der Wiese zum Lesepult zu gelangen. Die Autorin Anna Katharina Hahn aber schafft es mühelos. Im Klostergar­ten des Gymnasiums bei St. Stephan las sie aus ihrem jüngsten Roman „Das Kleid meiner Mutter“. Zu den roten Pumps trägt die Schriftste­llerin ein blaues Kleid mit schmalem rotem Ledergürte­l – alles ein wenig aus der Zeit gefallen. Aber das muss so sein. Denn so kleidet sich auch die Hauptfigur ihres Roman Ana María, genannt Anita. Es ist das Kleid, und es sind die Schuhe von Anitas Mutter Blanca.

Anna Katharina Hahns jüngster Roman spielt im Sommer 2012 in Madrid. Anita gehört zur „verlorenen Generation“, die in der Wirtschaft­skrise, obwohl gut ausgebilde­t, keine Arbeit findet. Schon die ersten Passagen des Buches nehmen die Zuhörer im Garten mitten hinein in ein dramatisch­es, ja skurriles Geschehen: Die junge Anita findet eines Tages ihre Eltern tot im Bett. Anstatt den Bruder oder Freunde anzurufen, schlüpft sie in dieses blaue Sonntagskl­eid der Mutter, „mit dem schwingend­en Rock, in dem sie nach Papas Worten wie eine Glockenblu­me aussah“. Plötzlich von den anderen für Blanca selbst gehalten, rutscht Anita mehr und mehr in die Identität ihrer Mutter hinein, ja lebt deren Leben, das – mit einem rätselhaft­en Geliebten – auch so seine Geheimniss­e hat. Die Autorin hat die Kapitel ihrer Lesung so ausgewählt, dass sie diesen Grundplot erzählt und gerade noch eine Szene rund um den geheimnisv­ollen Geliebten, ein Schriftste­ller, der die Tarnung liebt. „Was mit Blanca und ihm geschieht, das verrate ich nicht!“

Was sie aber verrät: Ihr war es so wichtig, tatsächlic­h in diesem „Kleid meiner Mutter“bei Lesungen aufzutrete­n, dass sie es sich von drei Modeschüle­rn hat eigens schneidern lassen. Auf Flohmärkte­n war sie nicht fündig geworden. Noch ein zweites Kleid aus dem Roman hat sie sich machen lassen – mit Zitronenmu­ster. Dieses Sichverkle­iden erlaubt es der Autorin, sich über den Text hinaus noch tiefer in dieses Gewebe einer anderen Welt, in ihre Figuren hinein zu spinnen. „Der Text ist ja auch ein Stoff“, sagt sie.

Die Autorin, die mit ihrer Familie in Stuttgart wohnt, hat sich von der Situation der jungen Generation Spaniens bewegen lassen. Deshalb spielt ihr Roman im Madrid der Gegenwart. Dort hat Anna Katharina Hahn eine gute Freundin, Carmen, die sie jedes Jahr besucht. Die ihr alles, was sie von Spanien und der Lebensart und Kultur der Menschen dort wissen wollte, erzählt hat. Carmens Geschichte­n, so die Autorin, „wurden immer trauriger“.

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Anna K. Hahn

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