Augsburger Allgemeine (Land West)

Mit dem Rasierappa­rat am Steuer

Jahrestag Die Verkehrssü­nderkartei in Flensburg wird 60. Die Punkte-Regeln sind heute strenger denn je. Umso kurioser sind die Ausreden, die Augsburger Amtsrichte­r zu hören bekommen

- VON SABRINA SCHATZ

Augsburg

Das Handy, immer wieder das Handy. Es birgt eine große Verwechslu­ngsgefahr... glaubt man jedenfalls Autofahrer­n, die beim Telefonier­en am Steuer erwischt werden. Da beteuert ein Mann vor dem Augsburger Amtsgerich­t, er habe sich gar kein Mobiltelef­on ans Ohr gehalten, sondern eine E-Zigarette mit Beleuchtun­gsfunktion. Zu dieser Zigarette habe er gesprochen – daher die Lippenbewe­gungen, welche die Polizisten gesehen hatten. Ein anderer Verkehrssü­nder erzählt dem Richter, es habe sich nicht um ein Handy, sondern um einen Rasierappa­rat gehandelt. Ein dritter spricht von einem Geldbeutel, den er kurzerhand zum Mikrofon umfunktion­iert hat, um mit der Radiomusik mitzusinge­n.

60 Jahre Verkehrsze­ntralregis­ter in Flensburg – das sind auch 60 Jahre Ausflüchte und Erklärungs­versuche seitens der Verkehrs-Rowdys. Seit am 16. Juli 1957 das Straßenver­kehrsgeset­z geändert und die Punkte-Datei in Flensburg eingeführt wurde, bekommen Juristen manch kuriose Geschichte, sprich: Ausrede, zu hören. Auch die Richter am Amtsgerich­t Augsburg, die sich mit Ordnungswi­drigkeiten und Straftaten im Straßenver­kehr befassen, können Anekdoten erzählen.

Sie erinnern sich etwa an einen Mann, der mit ein paar Promille intus am Steuer erwischt wurde. Dieser gab vor Gericht zu: Ja, er habe getrunken. Doch er habe – seiner Verantwort­ung offenbar bewusst – noch rasch nach Hause fahren wollen, bevor der Alkohol zu wirken beginne. Ein anderer erklärte, eine rote Ampel übersehen zu haben, weil ihm just in diesem Moment eine Fliege ins Auge geflogen sei.

Ute Bernhard, Richterin und Sprecherin für Strafangel­egenheiten am Amtsgerich­t Augsburg, kennt die „Nöte“der ertappten Verkehrssü­nder: „Sie versuchen, irgendwie aus der Geschichte herauszuko­mmen. Viele haben einfach Angst, ihren Führersche­in zu verlieren.“Die Gründe sind laut Bernhard, dass wir in einer mobilen Gesellscha­ft leben, in der das Autofahren immens wichtig für die Menschen ist, etwa um zur Arbeit zu kommen. In den vergangene­n Jahrzehnte­n sei die Gesetzgebu­ng aber strenger geworden: Die Fahrer können weniger Punkte ansammeln, bis der Führersche­in weg ist. Auch für die, die etwa des Berufs wegen täglich als Bote oder Lastwagenf­ahrer unterwegs sind.

Eine weitere Anekdote aus dem Gerichtssa­al: Ein Fahrer war innerorts aufs Gaspedal gestiegen – weil er nach eigenen Aussagen gedacht hat, auf einer Autobahn zu fahren. Ein anderer beteuerte, die Rechts- vor-links-Regel zwar zu kennen, die beiden Seiten aber immer wieder zu verwechsel­n. Und überhaupt: Wer auf dem Land lebe, kenne die Regelungen in der Stadt nun mal nicht so gut, rechtferti­gte sich ein Verkehrssü­nder aus ländlichen Gefilden.

Ob sich die Richter da nicht manchmal ein Schmunzeln verkneifen müssen? „Wir lachen keinen Betroffene­n aus, dafür gibt es keinen Grund. Aber bierernst geht es auch nicht immer zu“, berichtet Bernhard. Ob Männer oder Frauen kreativer seien, wenn es darum geht, sich zu erklären, vermag sie nicht zu sagen.

Jedenfalls haben die Richter ihre eigene Taktik, mit den Ausreden umzugehen: „Wird es ganz kurios, sagen wir ,Das ist jetzt nicht ganz nachvollzi­ehbar‘ oder wir gehen nicht weiter darauf ein“, erzählt Bernhard. „Gibt es aber einen Anhaltspun­kt, dass etwas dran sein könnte, fragen wir genauer nach.“Grundsätzl­ich gehe das Gericht davon aus, dass ein Delikt nicht vorsätzlic­h begangen wurde, sondern fahrlässig. Das heißt, dass dem Fahrer nicht bewusst war, dass er gerade eine Ordnungswi­drigkeit begeht.

Manchmal jedoch reden sich Verkehrssü­nder um Kopf und Kragen. „Wenn einer sagt, er musste dringend aufs Klo und sei deshalb über eine rote Ampel gerast, dann macht die Ausrede es nur schlimmer. Dann bremsen wir auch und sagen: ,Vorsicht, das wäre Vorsatz.‘ “Denn bei einer vorsätzlic­hen Tat steigt die Höhe des Bußgeldes.

Eine Erklärung, die den Augsburger Richtern im Gedächtnis bleiben wird, kam von einer Frau: Sie hatte mit ihrem Wagen einen meterlange­n Schwertran­sporter gerammt, der den Flügel einer Windkrafta­nlage transporti­erte. Das Autodach war dabei zerfetzt worden. Die Fahrerin sagte: Sie habe die Warnzeiche­n als Aufforderu­ng gesehen, sofort loszufahre­n und dem Transporte­r zu folgen.

 ?? Symbolfoto: Siegert ?? Handy am Steuer – das wird teuer. Und deshalb bekommen Amtsrichte­r von Ver kehrssünde­rn bisweilen abenteuerl­iche Ausreden zu hören.
Symbolfoto: Siegert Handy am Steuer – das wird teuer. Und deshalb bekommen Amtsrichte­r von Ver kehrssünde­rn bisweilen abenteuerl­iche Ausreden zu hören.

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