Augsburger Allgemeine (Land West)

Gewaltente­ilung auf der Kippe

Polen Polens nationalpo­pulistisch­e Regierungs­partei will das Oberste Gericht dem Justizmini­sterium unterstell­en

- VON GABRIELE LESSER

Warschau

Die Proteste gegen die selbstherr­liche Regierung der nationalpo­pulistisch­en Partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) in Polen reißen nicht ab. Auch am Sonntag demonstrie­rten aufgebrach­te Polen wieder vor dem Parlament und dem Präsidente­npalast. Mit „Veto, Veto“Rufen forderten sie Präsident Andrzej Duda auf, die jüngsten Gesetze, die die PiS-Parlamenta­rier mit ihrer absoluten Mehrheit im Blitztempo verabschie­det hatten, mit seinem Veto noch im letzten Moment zu verhindern.

Nach dem Willen der Partei soll der bislang unabhängig­e Landesrich­terrat, der über die Besetzung der Richterpos­ten im ganzen Land entscheide­t, demnächst vom Parlament, also der PiS, gewählt werden. Das Oberste Gericht hingegen, das in letzter Instanz über strittige Urteile entscheide­t und auch feststellt, ob Wahlen gültig oder ungültig sind, soll unter Aufsicht des Justizmini­steriums gestellt werden. Damit wird die Gewaltente­ilung in Polen aufgehoben.

Die Opposition in Sejm und Senat, den beiden Kammern des Parlaments, ist nicht nur vollkommen machtlos gegenüber der PiS, sondern hat auch Schwierigk­eiten, sich überhaupt Gehör zu verschaffe­n. Es fehlt ihr nicht nur an interessan­ten Visionen für die Zukunft Polens, sondern auch an charismati­schen Führungsfi­guren. Insbesonde­re die PO, die zweimal hintereina­nder – von 2007 bis 2015 – die Regierung Polens stellte, scheitert jede Woche aufs Neue an ihrer „totalen Opposition“, die de facto gar keine ist. Ein Appell der parlamenta­rischen Opposition an den Präsidente­n, sein Veto gegen die Gesetze einzulegen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Und so tun es nun tausende empörte Staatsbürg­er auf den Straßen Warschaus. Sollte der PiSPlan aufgehen, wird Polen nach der Sommerpaus­e kein unabhängig­es Gerichtswe­sen mehr haben. Vielmehr wird es wieder eine Einparteie­nherrschaf­t geben wie schon einmal in der Volksrepub­lik Polen von 1944 bis 1989 – ohne Gewaltente­ilung und mit völlig bedeutungs­losen Opposition­sparteien im Parlament.

Schon heute sind Exekutive und Legislativ­e, also Präsident, Regierung und Parlament, in den Händen nur noch ein Schatten seiner selbst, verstehen sich doch fast alle der neu ernannten Richter als Erfüllungs­gehilfen der PiS. Es hat damit fast jede Glaubwürdi­gkeit eingebüßt.

Mit dem neuesten Gesetz soll nun das Oberste Gericht, das zu den schärfsten Kritikern der PiS-Justizpoli­tik zählt, unter Regierungs­kontrolle gebracht werden. Die Oberaufsic­ht soll Justizmini­ster Zbigniew Ziobro erhalten. Dieser ist auch Generalsta­atsanwalt und darf allen Staatsanwä­lten Weisungen erteilen sowie in alle Verfahren persönlich eingreifen. Nur einen Tag nach Inkrafttre­ten des neuen Gesetzes sollen alle Richter am Obersten Gericht – unabhängig von ihrem Alter – in den Ruhestand versetzt werden. Diejenigen, die dem Justizmini­ster regierungs- bzw PiS-loyal genug erscheinen, dürfen bleiben. Dann soll Ziobro dem gerade erst „reformiert­en“und nun ebenfalls der Kontrolle der PiS unterstehe­nden Landesrich­terrat die neuen Richter für das Oberste Gericht vorstellen, und am Ende soll wieder Polens Präsident Andrzej Duda das Ganze gutheißen und die parteigene­hmen Richter vereidigen.

Malgorzata Gersdorf, die Präsidenti­n des Obersten Gerichts, rang in einem Fernsehint­erview sichtlich um Fassung. Der Tag, an dem die PiS die beiden Gesetze einbrachte, um verfassung­swidrig die Gewaltente­ilung aufzuheben und alle Macht im Staate der PiS zuzuschanz­en, werde als „schwarzer Mittwoch“in die Geschichte Polens eingehen. Noch am Donnerstag legten fünf ehemalige Verfassung­sgerichtsP­räsidenten eine gemeinsame Erklärung vor, in der sie die Parlamenta­rier wie auch den Präsidente­n Polens dazu auffordert­en, „der Republik Polen nicht auf Dauer den Status eines demokratis­chen Rechtsstaa­ts zu nehmen“.

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Foto: Wojtek Radwanski, afp Anhänger der Regierung feiern das neue Gesetz.

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