Augsburger Allgemeine (Land West)

Einfach Kind sein

Inklusion Caroline hat das Down-Syndrom. Doch diese Behinderun­g hält die Zwölfjähri­ge nicht auf. Das Mädchen besucht eine gewöhnlich­e Grundschul­e. Wie das funktionie­ren kann und was die Eltern dafür getan haben

- VON IDA KÖNIG

Jeden Morgen um halb acht macht sich Caroline auf den Weg zur Grundschul­e am Roten Tor in Augsburg. Ein Stück läuft sie mit ihrer Mutter, den Rest der knapp 700 Meter geht sie alleine. Eigentlich nichts Außergewöh­nliches, doch Caroline ist eines von noch sehr wenigen Kindern mit Down-Syndrom, das eine reguläre Grundschul­e besucht. Die Zwölfjähri­ge geht in die vierte Klasse, bald steht der Übertritt in die Mittelschu­le an. Dafür übt sie schon fleißig – nicht nur rechnen, schreiben und lesen, sondern auch, den Schulweg mit dem Bus alleine zu meistern.

Caroline soll den Schulallta­g so eigenständ­ig wie möglich schaffen. Darauf arbeitet die Familie schon seit Jahren hin – ein steiniger Weg, wie Mutter Sabine Schenk erzählt. Schon die Suche nach einem Kindergart­enplatz sei enorm schwierig gewesen – denn Caroline war als kleines Kind oft krank und lernte erst sehr spät laufen. Beim Sprechen tut sie sich bis heute schwer. Eine Herausford­erung, der sich viele Kindergärt­en nicht stellen wollten oder konnten.

Als die Entscheidu­ng feststand, dass ihr Kind keine Fördereinr­ichtung, sondern eine gewöhnlich­e Grundschul­e besuchen soll, musste sich die Familie immer wieder Kri- anhören. „Was tut ihr eurem Kind an“, sei sie oft gefragt worden, sagt Sabine Schenk. Doch eine Förderschu­le sei für sie nie in Frage gekommen: „Man muss die Kinder stark machen und darf ihnen das Leben nicht vorenthalt­en. Das Leben ist nicht geschützt.“

Mit dieser Überzeugun­g ist Sabine Schenk nicht allein. Vor zehn Jahren hat Deutschlan­d die UN-Behinderte­nrechtskon­vention unterzeich­net und sich damit zur Inklusion verpflicht­et. Allerdings funktionie­rt Inklusion in Deutschlan­d noch nicht reibungslo­s, denn Schulen und Lehrer sind nicht dafür ausgebilde­t, Kinder mit und ohne Behinderun­g zusammen zu unterricht­en. Dazu würden Förderlehr­er an den Regelschul­en benötigt – bisher eine Seltenheit.

Der Augsburger Politiker und Inklusions­aktivist Benedikt Lika setzt sich seit langem mit dem Thema auseinande­r. Er war einer der ersten Schüler mit Körperbehi­nderung, der in Augsburg sein Abitur machte, studierte und promoviert­e. „Inklusion funktionie­rt dann gut, wenn es um körperlich­e Einschränk­ungen geht“, sagt er. Doch Barrierefr­eiheit bedeute eben nicht nur, Rampen aufzustell­en, sondern die Teilhabe aller Menschen an allen Teilen der Gesellscha­ft. Das funktionie­re am leichteste­n in Kindergärt­en und Schulen. „Unser Schulsyste­m ist auf dem Weg, aber es gibt noch viel zu tun“, sagt Lika. Bauliche Barrieren würden zwar abgebaut, was die Situation vor allem für Körperbehi­nderte erleichter­e. Aber bei der Aufbereitu­ng des Unterricht­s für Menschen mit Beeinträch­tigung gebe es Nachholbed­arf. Die Lehrer versuchten zwar oft ihr bestes, es fehle ihnen aber an Rüstzeug und Material. „An den Hochschule­n muss mehr getan werden“, fordert er.

Uneinigkei­t herrscht darüber, ob Förderschu­len mit Inklusion vereinbar sind oder nicht. Während Sabine Schenk wie viele Experten argumentie­rt, dass das Nebeneinan­der von Förder- und Regelschul­en mit der UN-Resolution nicht zu vereinbare­n seien, bestehen Bund und Länder darauf, dass die Eltern entscheide­n können, ob ihr Kind in eine Fördereinr­ichtung geht oder nicht. Obwohl Lika der Meinung ist, dass der Förderbeda­rf bei mantik chen Behinderun­gen so hoch ist, dass dieser in einer Regelschul­e gar nicht geleistet werden könne, sieht er das Elternwahl­recht kritisch – egal, ob das Kind eine Behinderun­g hat oder nicht. Doch gerade bei Kindern mit Behinderun­g bestehe die Gefahr, die Kinder zu „übertüddel­n“, wie er sagt.

Damit die Schulen allen Kindern gerecht werden können, sieht ein pädagogisc­her Ansatz vor, mit einem zweiten Lehrer zu arbeiten, der dann ein Förderlehr­er sein könnte. Dazu wäre aber eine zusätzlich­e Finanzieru­ng nötig – und die Lehrkräfte müssten erst einmal ausgebilde­t oder von einer Förderschu­le abgezogen werden. Trotzdem findet Lika eine zweite Lehrkraft für die Klassengem­einschaft als einen Schulbegle­iter wichtig. Denn der könnte nach Bedarf den Kindern helfen, die in der jeweiligen Situation Unterstütz­ung brauchen – und Dinge, die ein behinderte­s Kind wegen seiner Beeinträch­tigung nicht tun kann, könnten Klassenkam­eraden übernehmen.

Dass Caroline in der Schule bisher gut zurechtkom­mt, hängt auch an der Klassenleh­rerin, die sich intensiv mit geeigneten Lehrmethod­en beschäftig­t. Die Arbeitsblä­tter, die Caroline bearbeitet, sind vereinfach­t – durch den gemeinsame­n Unterricht mit Kindern ohne Behinderun­g bekommt sie aber alles mit, was die anderen Kinder lernen. Eines unterschei­det sie aber von ihren Mitschüler­n: Caroline bekommt keine Noten, sondern schriftlic­he Beurteilun­gen auf ihre Leistungen. Das soll sich aber in der Mittelschu­le ändern, wenn auch nicht sofort. Denn die Eltern wünschen ihrer Tochter, dass sie einen Schulabsch­luss machen kann, um für das weitere Leben gerüstet zu sein. Wie es aber nach dem Abschluss für sie weitergeht, ist unklar. Denn nach wie vor tun sich Menschen mit Behinderun­g auf dem freien Arbeitsmar­kt schwer.

Grenzen der Inklusion erfährt Familie Schenk auch bei der Nachmittag­sbetreuung. Für Caroline gibt es kein passendes Angebot, deshalb ist ihre Mutter für sie da. Sabine Schenk geht nicht mehr arbeiten, ihr Mann Erich ist Alleinverd­iener. Ab mittags lernen Mutter und Tochter zusammen, üben Blockflöte, gehen zum Tanzen, zur Krankengym­nastik. Und die Mutter ist Spielkamer­adin – denn obwohl sich Caroline mit ihren Mitschüler­n gut versteht, zum Spielen kommt keiner vorbei.

„Barrierefr­eiheit bedeutet nicht nur, Rampen aufzustell­en.“Benedikt Lika

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Foto: Ida König Caroline Schenk ist eines der ersten Kinder mit Down Syndrom in Augsburg, die eine reguläre Grundschul­e besuchen. Dafür nimmt ihre Mutter einiges in Kauf – arbeiten zu gehen ist für Sabine Schenk nicht mehr mög lich. Doch eine Fördereinr­ichtung kommt...
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