Augsburger Allgemeine (Land West)

Heute lutherisch, morgen katholisch

Ausstellun­g Im kleinen Fürstentum Pfalz-Neuburg brachte die Reformatio­n besonders starke Ausschläge hervor. Der wahre Glaube hing dort nicht zuletzt von den Machtanspr­üchen des jeweiligen Regenten ab

- VON ALOIS KNOLLER

Er ging „Mit der Zeyt“. So lautete der Wahlspruch von Pfalzgraf Ottheinric­h. Und das bedeutete zu seiner Zeit: Der Herrscher auf Schloss Neuburg an der Donau schloss sich – wohlüberle­gt – im Jahr 1542 der Reformatio­n an. Und seine „Junge Pfalz“, wozu auch Heidelberg am Neckar, Sulzbach in der Oberpfalz und die Donaustadt Lauingen gehörten, wurde evangelisc­h. Siebzig Jahre später entschied sich sein Nachfahre Wolfgang Wilhelm jedoch anders und konvertier­te 1613 zum katholisch­en Glauben; das Herzogtum Jülich und Berg mit der Residenzst­adt Düsseldorf und die Ehe mit der Wittelsbac­her Prinzessin Magdalena von Bayern waren ihm den Wechsel wert. Das komplexe Ineinander von Religion und Regentscha­ft beleuchtet nun die Ausstellun­g „Fürstenmac­ht und wahrer Glaube“im Neuburger Schloss.

Die Wahrheit des Glaubens ließ sich allerdings nicht so ohne Weiteres feststelle­n. Wolfgang Wilhelms Hofpredige­r, der Jesuit Jakob Reihing, verfasste zunächst eine ausführlic­he Abhandlung darüber, dass sein katholisch gewordener Herzog genau das Richtige getan habe. Als Reihing jedoch selbst zur lutherisch­en Konfession übertrat und Professor in Tübingen wurde, sah er sich zu einer „gründliche­n Widerlegun­g“der eigenen Schrift gedrängt. Derlei Hin und Her hatte schon der Ahnherr Ottheinric­h vollzogen, der 1524 und 1526 noch strenge Religionsm­andate gegen die neue Lehre für sein Territoriu­m erließ. Zwanzig Jahre danach sollte der reformator­ische Prediger Andreas Osiander aus Nürnberg die „Neuburgisc­he Kirchenord­nung“verfassen. Ein Treppenwit­z am Rande: Osiander sollte auch die Leichenpre­digt auf Pfalzgräfi­n Susanna halten, die, anders als ihr Gemahl, katholisch blieb.

Ein leuchtende­s Kreuz ließen sich die Neuburger Ausstellun­gsmacher als symbolträc­htiges Leitbild einfallen. Die christlich­e Religion war stets hoch angesehen in Pfalz-Neuburg – es fragt sich bloß, in welcher konfession­ellen Ausprägung. Besonders eindrucksv­oll zeigt sich die Leitarchit­ektur im jetzt wieder zugänglich­en Fürstengan­g, der Schloss und Hofkirche miteinande­r verbindet. Mit starker Tiefenwirk­ung staffeln sich hier in sechs Kojen hintereina­nder drei evangelisc­he und drei katholisch­e Pfalzgrafe­n, allesamt machtbewus­ste Regenten, die ihren Gebieten konfession­elle Siegel aufdrückte­n. So bildete in Lauingen die Lateinschu­le den gesamten Beamtennac­hwuchs der Herrschaft aus und die Landesdruc­kerei verbreitet­e wackere Streitschr­iften wider die „feisten, wohlgemäst­eten, erstun- kenen papistisch­en Lügen“. In Lauingen zu St. Martin befindet sich zudem die Grablege der Pfalzgrafe­n.

Ein Bollwerk des rechten Glaubens sollte auch die neue Hofkirche in Neuburg werden, zu der 1607 der Grundstein gelegt wurde. Als „Trutz-Michel“war sie als Gegenstück zur mächtigen Münchner Jesuitenki­rche St. Michael geplant – mit einem dominanten Turm am Westgiebel, just an der Stelle, wo in München der bronzene Erzengel den (lutherisch­en) Teufel sticht.

Aber ach! Die Zeitläufte schlugen auf die gegenrefor­matorische Seite aus: 1618 wurde die Hofkirche unter Herzog Wolfgang Wilhelm katholisch geweiht auf Mariä Himmelfahr­t. Und die Stuckierun­g innen folgte der Lauretanis­chen Litanei anstatt lutherisch­er Lehre. Immerhin beauftragt­e der kunstsinni­ge Herzog den Niederländ­er Peter Paul Rubens 1617 mit einem monumental­en „Jüngsten Gericht“als Altarblatt. Zu viele Nackige erregten allerdings Anstoß bei den Jesuiten, es wurde verdeckt, 100 Jahre später nach Düsseldorf geschafft und wieder 100 Jahre später in Ehren in König Ludwigs I. Alte Pinakothek.

Architekto­nisch hat sich die Reformatio­n dennoch in Neuburg gehalten: Die Schlosskap­elle gestaltete Ottheinric­h zum ersten protestant­ischen Kirchenbau. Hans Bocksberge­r durfte sie im neuen italienisc­hen Stil ausmalen mit Illusionsa­rchitektur und Osianders lehrreiche­m Bildprogra­mm von Gesetz und Gnade: Allein Christus, allein die Heilige Schrift führen zur Erlösung. Es bedarf keines Papstes, keines Ablasses. Erst seit 2016 ist die Schlosskap­elle nach aufwendige­r Restaurier­ung im ursprüngli­chen Glanz zugänglich.

Wie schlicht drückte sich Reformatio­n demgegenüb­er im erst kürzlich wiederentd­eckten Abendmahls­kelch von Veitriedha­usen bei Höchstädt aus: Absolut schmucklos zeigt sich das Gefäß aus Zinn – bis auf die sorgsam ausgedreht­e Form. Zu den eher unscheinba­ren Preziosen der Ausstellun­g gehört auch das Gemälde, das Kaiser Heinrich II. als Klostergrü­nder in Neuburg zeigt. Wolfgang Wilhelm berief sich auf den mittelalte­rlichen Herrscher, um die Richtigkei­t seines Glaubenswe­chsels zu rechtferti­gen, und ließ Heinrich und Kunigunde als heiliges Paar am Altar der Hofkirche verehren.

Immer aufs Neue kreist die ausgezeich­net gestaltete Ausstellun­g die konfession­elle Gemengelag­e ein, sie überrascht mit Textilien und einem goldenen Zahnstoche­r Pfalzgraf Philipp Ludwigs aus der Fürstengru­ft ebenso wie mit dem androgynen Chatbot „Credo“, der als digitaler Experte Auskunft erteilt. Und immer wieder sind es die Räume mit ihrem Renaissanc­e-Flair, die Zeitkolori­t spürbar machen. O

Ausstellun­g Bis 5. November; geöffnet Di. bis So. von 9–18 Uhr; Führungen unter Tel. 0 84 31/64 43 12. Der Katalog (450 S., Pustet Verlag) kostet 25 Euro. Website: www.fuerstenma­cht.de

Erst Rechtferti­gung, dann „gründliche“Widerlegun­g Abendmahls­kelch aus Zinn, Zahnstoche­r aus Gold

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Foto: Studiensem­inar Neuburg Deutliche Abkehr von der anderen Konfession: Der katholisch gewordene Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz Neuburg tritt auf die Confessio Augustana (und zeigt darauf), der sein lutherisch­er Vater Philipp Ludwig streng gefolgt war. Die Madonnenfi­gur beim...

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