Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie Glauben Menschen trägt – oder auch abstößt

Die Szenenfolg­e „Fromm & frei?!“sammelt Augsburger Bekenntnis­se. Und so unterschie­dlich sie sind: Immer gibt es Verbindend­es

- VON ALOIS KNOLLER

„Danke für den liebevolle­n Blick auf unsere Religionen! Wenn wir sie so unserer Gesellscha­ft erzählen, können wir gut unter einem Himmel leben.“Stadtdekan­in Susanne Kasch war am Ende des neuen Bürgerbühn­enstücks „Fromm & frei?!“davon überzeugt, dass diese „Augsburger Bekenntnis­se“– so der Untertitel – der Friedensst­adt guttun.

Es war schon ein Wagnis von Susanne Reng, der Leiterin des Jungen Theaters Augsburg, Menschen über ihren Glauben zu befragen, um sie dann als Bekennende auf die Bühne zu stellen. Und dies nicht, um alles „richtig“herzusagen, wie es Kirche und Moschee lehren, sondern um ganz persönlich­e Glaubenswe­ge zu schildern. So wie Luzia und Sevde, beide im Erwachsenw­erden, die ihre religiöse Geborgenhe­it der Kindheit abgelegt haben, sich Freiheiten gönnen, kritisch nachdenken und nicht mehr regelmäßig beten.

Oder wie Marcella und Sabine: Die eine ist aus der katholisch­en in eine Freikirche gewechselt, weil sie dort Jesus näher kommt. Die andere ist in der DDR gegen den atheistisc­hen Strom geschwomme­n, ist selbst zum Pfarrer gegangen, um sich taufen zu lassen, hat sich dann in Augsburg mit 14 Jahren tapfer zu ihrem protestant­ischen Glauben bekannt auch auf das Risiko, von den Englischen Fräulein nicht in die Schule aufgenomme­n zu werden.

Glauben erzählt diese Szenenfolg­e als ständigen Übergang – wofür Ausstatter­in Martina Ebel passend als Leitelemen­t Wahlkabine­n wählte, als Basis für festen Stand ebenso wie als Stein des Anstoßes. „Wir waren alle immer nur Sünder“, stöhnt Brigitte, mit 86 Jahren die älteste Mitspieler­in, wenn sie an ihre evangelisc­he Erziehung denkt. Zwischendu­rch ist sie aus der Kirche ausgetrete­n, aber „es fehlte etwas“. Christoph, der 15-jährige Ministrant indes, engagiert sich gern in seiner Pfarrei. Gemeinsam drehen sie schließlic­h den Walzer: „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein.“

Mag die Paarung der 15 Mitspieler am Anfang noch so unterschie­dlich erscheinen, am Ende zeigt sich stets ein Band zwischen ihnen, auf das Dramaturgi­n Katrin Dollinger in der Textecolla­ge zusteuert. Das Bürgerbüro an der Blauen Kappe bot den neutralen Ort. Über mehrere Stockwerke führen die neun Szenen, durch endlose, einschücht­ernde Gänge, über Treppen des Aufund Abstiegs, in den völlig kahlen Wartesaal der Ausländerb­ehörde und schließlic­h hinauf in den Konferenzs­aal im 9. Stock mit Panoramabl­ick über fast ganz Augsburg.

Schon dieser Weg ist Erzählung und verbunden mit Erinnerung­en. Gebro weiß noch genau, wie er 1972 gemustert wurde als türkisch-assyrische­r Gastarbeit­er. Freds erstes Dokument war eine Aufenthalt­sberechtig­ung als Asylbewerb­er aus Nigeria: Er schätzt das friedliche Zusammenle­ben hier; zu Hause verstieß ihn die Familie, als er Christ wurde, dann geriet er ins Visier des islamistis­chen Terrors von Boku Haram.

Natürlich sind es Momentaufn­ahmen, die den Kosmos des Glaubens in einem Menschenle­ben nicht ausmessen. Doch ergeben sie ein dichtes Bild einer vielfältig­en Stadtgesel­lschaft voll geistliche­r Menschen. O

Nochmals am 19., 21., 23., 26., 28., 29. Juli, 4., 5. August. Karten unter www.jt augsburg.de, T. 0821/444 29 95

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Foto: Annette Zoepf Übers Kopftuchtr­agen reden Elisabeth (links) und Saadet.

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