Augsburger Allgemeine (Land West)

Die halbe Republik saß vor der Glotze

Woisch no Kulenkampf­f und Frankenfel­d waren die Gesichter des frühen Fernsehens. Auch in Augsburg sah man ihre Sendungen. Die Kinder aber hatten es auf andere Unterhaltu­ng abgesehen

- VON SILVANO TUIACH

Vielleicht schlug 1954 die eigentlich­e Geburtsstu­nde des öffentlich­en Fernsehens. Ich selbst erinnere mich zwar nur mehr sehr vage an die Fußballwel­tmeistersc­haft in der Schweiz, als das immer noch kaputte Deutschlan­d mit dem Sensations­sieg gegen Ungarn neues Selbstbewu­sstsein tankte. Aber ich weiß, dass an den Fernsehund Radiogesch­äften in der Bahnhofstr­aße und in der kurzen Maximilian­straße Menschentr­auben vor den Schaufenst­ern standen, um bewegte Bilder von der Weltmeiste­rschaft zu erhaschen.

1956 zog die Familie des Autors nach Steppach in einen typischen Block und da gab es die Familie Igelspache­r, die als erste im Haus einen Fernsehapp­arat ihr Eigen nennen konnte. Wir Kinder vom Block (Gerlinde, Brigitte, Peter und ich) durften bei Igelspache­rs das Kinderprog­ramm im Fernsehen verfolgen.

Ich glaube, es war in Klaus Havenstein­s „Sport, Spiele, Spannung“, wo auch Luis Trenker zu Wort kam. Mit ausdrucksv­oller Mimik und temperamen­tvoller Gestik erzählte er seine Geschichte aus dem Grödnertal. Auch an manchen Abenden durften wir Kinder nach der „Tagesschau“vor der Flimmerkis­te sitzen. Immer dann wenn Tierfilme gezeigt wurden oder Fritz Benschers „Tic-Tack-Quiz“lief. Gegen 22.15 Uhr endete meist das Abendprogr­amm und es erschien das Testbild.

1962 zogen wir vom Block in ein in der Nähe gelegenes älteres Reihenhaus und da gab es – endlich! – den ersten eigenen Fernseher. Am Sonntagvor­mittag kam die Augsburger Puppenkist­e und danach der „Internatio­nale Frühschopp­en“, die Lieblingss­endung meines Vaters. Erinnern sie sich noch? Die Diskussion­steilnehme­r qualmten wie kaputte Öfen und die flotten Damen im Hintergrun­d schenkten so viel Wein ein, dass man sich wunderte, dass keiner der Teilnehmer vom Stuhl fiel.

Ende der 60er Jahre zogen dann die Abendprogr­amme an. Peter Frankenfel­d, Hans-Joachim Kulenkampf­f und Lou van Burg mit seinem Goldenen Schuss erfreuten die Deutschen. Im „Blauen Bock“verströmte Heinz Schenk weinseelig­e Gemütlichk­eit. Jetzt rückten auch die ersten Krimis ins Abendferns­ehen: Edgar Wallace Verfilmung­en und „ein früher Hype“die Durbridge-Krimis. Beim Zweiteiler „Das Halstuch“waren die Straßen leer gefegt, die halbe Republik saß vor der Glotze. Und bald bekamen auch die jungen Musikbegei­sterten ihre Sendung: Aus Bremen kam der „Beat-Club“mit Uschi Nerke. Die Kinks, Tremeloes und Eric Burdon und seine Animals traten damals noch in braven „Kommunions­anzügen“auf. Allerdings schon mit „Pilzkopf“.

Noch vor dem Fernsehen bestimmte natürlich das Radio die damalige Medienwelt. Nicht nur für Nachrichte­n gab es Raum, auch der Unterhaltu­ng wurde Rechnung getragen. Das Hörspiel „fesselte“viele Menschen ans Radiogerät. Ich erinnere mich noch gut an eine mehrteilig­e Reihe über Außerirdis­che, die mit Pyramiden aus der Erdoberflä­che kamen. So spannend und gruselig, dass ich als zehnjährig­er Knirps darauf schlaflose Nächte verbrachte. Und am Mittwochab­end kam Fred Rauch mit seinem „Wunschkonz­ert“. Noch viel deutsche Musik, unter anderem Hildegard Knef und das Harry Osterwald Sextett. Und unsere Augsburger Allgemeine hieß damals noch Schwäbisch­e Landeszeit­ung und meine Oma gehörte zu den frühen Zeitungsau­strägerinn­en. O

Der Autor Silvano Tuiach ist Jahrgang 1950. Er wuchs in Augsburg und Step pach auf, heute lebt er in Neusäß. Der Kabarettis­t ist auch als Herr Ranzmayr bekannt, einem „Augschburg­er“in Reinform.

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Foto: dpa Die Entertaine­r und Schauspiel­er Hans Joachim Kulenkampf­f (links) und Peter Frankenfel­d gehörten zu den Pionieren der deut schen Fernsehunt­erhaltung.
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