Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Henker bekam einen Gratis Wasseransc­hluss

Geschichte Wer genau hinschaut, kann in Augsburg noch alte Wasserkäst­en entdecken. Bevor Leitungen in die Häuser kamen, wurden einzelne Bürger so versorgt. Ein Becken gibt bis heute Rätsel auf

- VON MARCUS BÜRZLE

Man spricht gerne vom kostbaren Nass. Wie kostbar Trinkwasse­r früher war, illustrier­en diese Zahlen: Ab Mitte des 16. Jahrhunder­ts konnten sich Augsburger eine Wasserleit­ung nach Hause legen lassen. Es floss dann in der Regel im Innenhof in einen Wasserkast­en. Wer sich diesen Luxus gönnen wollte, bezahlte einmal 200 Gulden oder zehn Gulden pro Jahr, schreibt Autor und Verleger Martin Kluger im neuen Buch „Augsburg und die Wasserwirt­schaft“. Zum Vergleich: Eine Magd verdiente pro Jahr vier Gulden; Unterkunft und Essen bekam sie gratis. Entspreche­nd klein war die Zahl dieser Anschlüsse.

Um das Jahr 1750 waren es nur 640 – der Rest der Augsburger versorgte sich an rund 50 öffentlich­en Brunnen. Unter den Privilegie­rten waren nicht nur wohlhabend­e Bürger, die es sich leisten konnten. Persönlich­keiten wie der Administra­tor der Fuggerei, Amtsperson­en, Waisenhäus­er und der Henker erhielten einen Gratis-Anschluss. Verbunden war er mit Becken oder Kästen, in die in der Regel im Hof das Wasser bei Tag und Nacht floss. Hähne gab es noch nicht. Martin Kluger hat sich auf die Suche nach den Kästen gemacht, die mit den ersten direkten Hausanschl­üssen 1879 überflüssi­g wurden.

Seine Funde sind in dem neuen Buch dokumentie­rt – ein weiteres Werk im Rahmen der Bewerbung um den Titel Unesco-Welterbe. 22 Fachleute beleuchten in 21 wissenscha­ftlichen Aufsätzen die Augsburger Wasserwirt­schaft und ziehen auch internatio­nale Vergleiche. Das Werk soll ein weiterer Schritt hin zur Bewerbungs­schrift sein, die spätestens im Februar 2018 fertig sein muss. 2019 wird ein Votum der Unesco erwartet.

Martin Kluger hat die Wasserkäst­en an ganz unterschie­dlichen Orten gefunden. Ein gusseisern­es Exemplar steht heute zum Beispiel im Hof des Gasthauses „Zum Adler“in Wollishaus­en im Landkreis Augsburg. Ein Stadtwappe­n erinnert an seine Herkunft. Steinerne Wasserbeck­en sind noch heute an Ort und Stelle zu finden, aber: „Selbst kunstvolle­re Becken fristen ein Schattenda­sein“, schreibt Kluger. Einige fand er mithilfe von Denkmalfüh­rern in Höfen von Privathäus­ern etwa in der Maximilian­straße. Andere sind öffentlich zugänglich. Im Vorhof der Basilika St. Ulrich und Afra steht noch ein gusseisern­er Wasserkast­en. Und im Innenhof des Höhmannhau­ses (neben Schaezlerp­alais) ist ein steinernes Becken zuletzt saniert worden. Demnächst soll dort laut Kluger wieder Wasser fließen. Ein wenig rätselhaft bleibt dagegen das Wasserbeck­en in den Badstuben der Fugger.

In dem Raumkunstw­erk in den Fuggerhäus­ern floss das Wasser wohl ebenso Tag und Nacht – allerdings im Gebäude, schreibt Fugger. Das wirft nach seinen Worten Fragen auf. Einerseits seien sich die Experten einig, dass in den Badstuben nie gebadet wurde und der Name nur durch eine falsche Überliefer­ung entstand. Anderersei­ts gibt es dieses Becken, habe es einst eine Schürkamme­r gegeben und existierte­n Hinweise auf eine „Art Becken“im Boden, schreibt Kluger. Er fragt, ob das nicht vielleicht doch auf eine frühe Nutzung des Wassers in dem Gebäude hindeutet.

Martin Kluger geht davon aus, dass es noch etliche Wasserkäst­en in der Innenstadt gibt. Er würde sie gerne dokumentie­ren und setzt auf die Hilfe unserer Leser. Daher: Wenn Sie einen kennen oder bei sich haben, können Sie sich in unserer Lokalredak­tion melden:

lokales@augsburger allgemeine.de

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„Augsburg und die Wasser wirtschaft“wird diese Woche vorge stellt. Es ist im Context Verlag erschienen und kostet 29,90 Euro.

Das Buch

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Foto: Martin Kluger Das sanierte Wasserbeck­en im Hof des Höhmannhau­ses in der Maximilian­stra ße.
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Foto: Fürst Fugger Zentralver­waltung, Martin Kluger Das Wandbecken in den Badstuben der Fuggerhäus­er.

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