Augsburger Allgemeine (Land West)

Koalition rät zu Vorsicht bei Türkei Reisen

Kurswechse­l Tourismus, Wirtschaft­shilfe: Wie Berlin den Druck auf Erdogan erhöht

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin

Weniger Urlauber, weniger Beihilfen, weniger Investitio­nen: Mit einem abrupten Kurswechse­l erhöht die Bundesregi­erung den Druck auf die Türkei und ihren Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan.

Touristen, die dort noch Ferien machen wollen, rät das Auswärtige Amt seit gestern zu erhöhter Vorsicht. Außerdem kündigte Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) nach monatelang­en Appellen zur Mäßigung an die Türkei eine Überprüfun­g der europäisch­en Finanzhilf­en und der Bürgschaft­en an, mit denen die Bundesregi­erung Türkei-Geschäfte für deutsche Unternehme­n absichert. Ein Ende dieses Programms würde die ins Schlingern geratene türkische Wirtschaft empfindlic­h treffen. Nach China ist die Bundesrepu­blik der zweitwicht­igste Handelspar­tner der Türkei.

Die Neuausrich­tung der deutschen Türkei-Politik sei mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel abgesproch­en, betonte Gabriel. „Wer unbescholt­ene Besucher seines Landes unter wirklich hanebüchen­en, ja abwegigen Beschuldig­ungen festnimmt, der verlässt den Boden europäisch­er Werte.“Inhaftieru­ngen wie die des Berliner Journalist­en Denis Yücel, seiner Neu-Ulmer Kollegin Mesale Tolu oder zuletzt des Menschenre­chtlers Peter Steudtner würden mit „abwegigen Vorwürfen von Terrorprop­aganda“begründet, die nur dazu dienen sollten, jede kritische Stimme in der Türkei zum Schweigen zu bringen.

Konkret beschlosse­n hat die Koalition das Ende der milliarden­schweren Export- und Investitio­nsbürgscha­ften noch nicht – bisher droht sie Erdogan nur damit. Die verschärft­en Sicherheit­shinweise für Touristen werden ihre Wirkung nach Einschätzu­ng des CSU-Europapoli­tikers Markus Ferber dagegen schon bald zeigen, weil sie das Land an einem „empfindlic­hen Nerv“träfen. Nach den Reisenden aus Russland seien die Deutschen dort die zweitgrößt­e Urlaubergr­uppe, betonte der Bobinger Abgeordnet­e im Gespräch mit unserer Zeitung. Wer eine Reise in die Türkei plant oder bereits gebucht hat, soll sich künftig schon bei Aufenthalt­en von wenigen Tagen mit der deutschen Botschaft oder einem Konsulat in Verbindung setzen, empfiehlt das Auswärtige Amt. Gabriel selbst sagt: „Der Fall Peter Steudtner zeigt, dass deutsche Staatsbürg­er in der Türkei vor willkürlic­hen Verhaftung­en nicht mehr sicher sind.“

Während die türkische Regierung die deutsche Reaktion als „inakzeptab­el“verurteilt und sich „Erpressung­en und Drohungen“aus Berlin verbittet, diskutiert die Große Koalition offenbar schon die nächsten Schritte. Nach dem bereits beschlosse­nen Abzug der Bundeswehr aus dem Stützpunkt Incirlik denkt CSU-Chef Horst Seehofer laut über einen Rückzug aus der Nato-Basis in Konya nach. Auch hier verweigert Ankara Abgeordnet­en des Bundestage­s einen Besuch bei den dort stationier­ten deutschen Soldaten.

Um die Eskalation des Konfliktes geht es auch im Kommentar. Hintergrun­dberichte und ein Porträt von Steudtner finden Sie in der Politik.

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